Warum gab es durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende hindurch jene Doppelzüngigkeit, mit der gewerbliche sexuelle Dienstleistungstätigkeiten und Dienstleisterinnen einerseits geduldet, andererseits verachtet wurden? Sie lässt sich nur begreifen, wenn man sich klar macht, dass Prostitution und Ehe miteinander verschwisterte Institutionen und geschichtlich wohl ungefähr gleichzeitig aufgetreten sind, nämlich bei der Entstehung unserer Zivilisation einige tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung im Südwesten Asiens. Verschiedentlich wurde gesagt, sie seien Konnexinstitute, aber der Grund dafür ist schwer zu entschlüsseln. Neuere Überlegungen sprechen dafür, dass hier eben „Zucht“ und „Unzucht“ zusammengekoppelt sind: Die Ehe – damals unter uneingeschränkter Vorherrschaft des Ehemanns – war für die Ehefrau zwar ökonomisch nicht ungünstig, dies aber um den Preis völliger sozialer Abhängigkeit vom sogenannten Familienvater, seiner „Zucht“; während das „Hurendasein“ eine ökonomisch zwar nicht völlig sichere, aber doch sozial wirklich selbstständige Existenz bedeutete, eine im besten Sinne des Wortes „unzüchtige“ Lebensweise – ich betone, dass das Wort „unzüchtig“ hier eine positive Bedeutung hat. Wenn die jeweilige Gesellschaft Ehe und Familie für förderungswürdige Institutionen hielt, was aus wirtschaftlichen Gründen geboten war, musste sie die entgeltliche Sexualdienstleistung schlechtmachen; jenes Gewerbe, das eine stärkere Selbstbestimmung derjenigen Frauen über ihren Lebenswandel erlaubte, die aus verschiedenen Gründen nicht verehelicht waren und sich ihren Lebensunterhalt selbst beschaffen mussten, was ihnen in diesem Gewerbe möglich war. So entstand Prostitution als gesellschaftliche Einrichtung zur Reglementierung und Diskriminierung der beruflichen, gewerblichen sexuellen Dienstleistungstätigkeit, die eben deshalb reglementiert und diskriminiert wurde, weil sie anderenfalls viel attraktiver als die Ehe hätte sein können..."
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