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mcnep schrieb am 6.1. 2005 um 16:13:23 Uhr über

Preßlufthammergesänge

Heute kam das bestellte Buch, die RockDrill Cantos (Preßlufthammergesänge) von Pound, in der englischen Erstausgabe von 1957. Umschlag slightly worn wie es auch hieß, das schöne schwarze Leinen durch einen kleinen weißen, etwas spermatisch wirkenden Fleck auf der Rückseite verunziert, doch Papier und Bindung in guter Qualität. Leider, so möchte ich fast sagen, hat sich der Vorbesitzer nicht namentlich auf dem Vorsatzblatt verewigt; Poundbücher, die Werke des poet's poet, haben oft interessante Vorgeschichten. Meine 1933er Lieferung der Cantos etwa hat einem literarischen Kleinmeister aus dem Umfeld der amerikanischen Surrealisten gehört, die Frauen von Trachis standen zuvor bei einem schwulen Linguisten aus dem Badischen. Hier nun, bei der 'Section: RockDrill 85–95 de los Cantares', wie ihr vollständiger Titel in der zunehmend verrätselten Sprache des Spätwerkes lautet, bleibt mir der Erstbesitzer vermutlich immer unbekannt, doch eine Kleinigkeit entzündet meine diesbezügliche Phantasie. Eingeklebt in der Innenseite des Deckels ist der Name der Buchhandlung:

Galignani
224 Rue de Tivoli - Paris (1er [Arrondissement])
Tel: Opera 5698

Galignani, die berühmte Kunstbuchhandlung in der Nähe der Tuilerien, seit Jahrhunderten eine Institution, sicher keiner der großen Pariser des letzten Jahrhunderts, der dort nicht seinen Fuß hineingesetzt hätte. Picasso grüßt beim Reingehen Duchamp, der gerade mit einem Band seines Freundes Man Ray herauskommt, den der ihm eigentlich als Freiexemplar versprochen hat, aber typisch Ray, wieder mal irgendein Weib im Kopf und den ganzen Tag im Fotostudio. Dort nun also betritt im Herbst 1957 - ich vermute mal, daß es Herbst war, gute Bücher (und auch schlechte) erscheinen bevorzugt im Herbst, denn gut sein allein genügt nicht, wer gute Bücher liest, hat oft auch eine unglückliche Inklination zur Armut, und so können wenigstens wohlmeinende Verwandte das bevorstehende Weihnachtsfest zum Anlaß des Kaufes nehmen, Bücherfreunde sind sensibel und wissen meist, wo das Herz schlägt, der Hammer hängt und die Kacke am Dampfen ist - Herbst 1957, nochmal, betritt also ein Mensch, den ich mir wie alle sympathisch imaginierten Personen zunächst als etwas füllig zu denken gewillt bin (in Wirklichkeit schreit Pound geradezu nach der Askese, den ganzen Tag Wörterbücher und Historienschreibungen rumwuchten, da bleibt nicht viel Zeit für Hüftengold) die ehrwürdigen, bis an die Decke mit Folianten und Magazinen vollgestopften Hallen, stellt seinen Regenschirm achtsam am Eingang ab, zuvor kam ein heftiger, aber kurzer Schauer die großzügigen Boulevards des Monsieur Haussmann heruntergefegt und nasse Regenschirme und Bücher werden niemals Freunde, das weiß unser bis jetzt immer noch gesichtsloser Kunde selbstredend, anders als viele dumme Riemen und Schnepfen, die eine Buchhandlung ohnehin nur betreten, um sich einen Reiseführer für Phuket oder Menorca zu holen. Er tritt auf den Verkäufer zu, einen noch jungen Mann, vorschriftsmäßig adrett in einen Anzug gekleidet, doch in einer frechen Geste der Auflehnung mit einer zeittypischen Haartolle verunziert, was er sich leisten kann, gilt er doch als der beschlagensten Verkäufer einer, selbst rarste Privatdrucke des aufstrebende Jean Dubuffet sind bereits durch seine Hände gewandert und der Herr mit dem Regenschirm, der jetzt im Eingangsbereich, doch gut einsehbar vor fremdem Zugriff geschützt steht, sagt zu der Kulturtolle: »Je veux acheter le nouveau libre d'Ezra Pound, les Rockdrill-Cantos...«, wie man an seinem etwas unbeholfenen Französisch hört, ist es ein Engländer oder Amerikaner, wenn Amerikaner, dann jedoch von der Nordostküste, zu prononciert kommen die Vokale, und der Verkäufer im nur am kaum einsehbaren Ärmelbereich bereits etwas glänzenden Anzug sagt so etwas wie »Ah oui monsieur, c'est une bonne choice, je juaboirepoiteauxvieuxlamerinacationneterifique«, das konnte ich nicht verstehen, weil mein Französisch leider doch ausgesprochen schlecht ist. Nun wartet unser Kunde einen Moment, während Tolle durch die Regale flitzt, nein huscht, jetzt sehe ich auch gerade kurz das Gesicht des Wartenden, auf Mitte 40 würde ich ihn schätzen, als erstes fallen die schönkonturierten Augenbrauen auf, ein fast etwas unzeitgemäßer Oberlippenbart ziert das dank der rund zehnprozentigen Übergewichtigkeit faltenlose Gesicht, in der linken Hand trägt er eine Plastiktüte mit frischem Gemüse (Legumes, das Wort kenne ich noch, das fiel etwa bei Lektion 3 unseres Lehrbuches, die Kinder so früh ans Gemüse zu führen ist eines der vielen Verbrechen der spezialdemokratischen Kulturpolitik), die er neben einem der bequemen Fauteuils (das sind französische Sessel, glaube ich) abstellt, und in dem Moment fällt mir gerade ein, daß Gemüse, aber auch zum Beispiel bœuf damals sicher noch nicht in Plastiktüten verkauft wurde, ob die Kunden da immer einen Korb mithatten? Oder saßen vor den Markthallen alte Frauen, sogenannte Einkaufsnetzstrickerinnen, das französische Wort dafür ist mir gerade nicht präsent? Jedenfalls ist der Verkäufer, während ich so rumgeschwafelt habe, schon zurückgekehrt und reicht dem Kunden unter Abfeuerung einer Vielzahl sehr diphtongisiert klingender Laute, die ich wieder mal nicht verstehe, zumal er dem Dialekt nach aus einer eher ländlichen Region Frankreichs zu kommen scheint, Bretagne oder Guyana vielleicht, das in hochwertigstes (das ist wichtig, das ist Fetisch!) Leinen eingebundene Buch, gerade mal 108 Seiten stark, er macht es auf und: Ach du liebe Güte! Alles voll chinesischer Schriftzeichen, Hieroglyphenkartuschen, Altgriechisch sowieso, noch heftiger als bei der letzten Lieferung, den Pisaner Cantos und die waren schon anstrengend, aber eben auch, wie der damals nicht einmal in Planung befindliche Toschibar sagen würde, ganz großer Sport. Der Kunde zahlt, in landesüblicher Währung, ob alte oder neue Franc kann ich auf die Entfernung nicht gut sehen, alte vermutlich, für ein so dünnes Buch einen stattlichen Betrag, aber das Schriftbild allein, der Drucker brauchte sicher auch eine Gefahrenzulage. Kunde also raus - gerade im Weggehen fallen seine breiten Schulter, durch den gewählten Schnitt des Anzugs noch betont, besonders auf - und sein Weg führt ihn, da die letzten warmen Sonnenstrahlen des späten Oktobers gerade wieder über der Rue de Tivoli herausgebrochen sind, in die Tuilerien, wo er sich zwischen zwei Bäumen, das könnten Linden sein, oder doch eher Haseln? Sowas haben wir in der Schule nicht gelernt, nur, wieviel osmotischer Druck pro Quadratmillimeter bei einer idealtypischen Kambiumschicht herrscht, oder ist das Kambium doch ein Erdzeitalter? Jedenfalls sitzt er da, schlägt das Buch auf, das damals natürlich noch herrlich knistrige Geräusche macht und nicht den Stockflecken auf dem Vorsatzblatt hat und liest:

LING²

Our dynasty came in because of a great sensibility.
All there by the time of Y Yin
All roots by the time of Y Yin
Galileo index'd 1616,
Wellington's peace after Vaterloo
chih³
a gnomon,
Our science is from watching of shadows;

und der in meinen Augen überaus attraktive Mittvierziger läßt das Buch zum ersten Mal sinken, gleichermaßen überwältigt wie strapaziert, der kommenden intellektuellen Wechselbäder eingedenk und beschließt, zunächst auf der Bank, die er zuvor (wir erinnern uns: noch vor einer halben Stunde Regen) mit einem richtigen gebügelten Stofftaschentuch abgewischt hatte, sitzen zu bleiben, als sein Blick plötzlich auf den eines anderen Herren trifft der den feinbekiesten Weg entlangflaniert, gerade vor der Globalisierung wurde nicht einfach gegangen, die Wegstrecken waren noch nicht optimiert, nicht alle Fußgängerüberwege, ja kaum einer war als blindenfreundlich zu bezeichnen, aber man kam doch immer irgendwie durch, da half einem auch immer jemand über die Straße, aber unsere beiden Herren sind ja nicht blind, sehen vielmehr einander, und dem Rockdrillkäufer fällt als erstes die große physiognomische Ähnlichkeit des Passanten auf, der jetzt ungefähr auf gleicher Höhe an ihm vorbeischreitet, bemerkt des weiteren ein paar überaus gepflegte Schuhe (wenngleich durch den vorausgegangenen Regen in wenngleich schwache Mitleidenschaft gezogen) und ferner, daß dieser Herr, der in so vielem das Spiegelbild unseres Lesers zu sein scheint, etwa zehn Meter von ihm entfernt stehenbleibt, eine filterlose Gauloises (natürlich) aus einem eleganten Zigarettenetui nimmt und nach seinem Feuerzeug greift. Beziehungsweise danach sucht. Rechte Manteltasche, linke Manteltasche, Innentasche links, rechts schaut er gar nicht, da er als Rechtshänder da ohnehin nichts hineingibt, die Taschen der eleganten Tuchhose... Da nun erbarmt sich unser Held, steht auf, geht auf sein entferntes Spiegelbild zu und sagt in seinem akzentgefärbten Französisch einen Satz, den ich der besseren Verständlichkeit willen lieber direkt in Deutsch wiedergebe: »Ich würde Ihnen liebend gerne Feuer geben, bemerke jedoch, daß ich es zuhause gelassen habe...« Jedem einigermaßen sensibilisierten Menschen, und somit auch dem Flaneur mit den minimal beschlammte Schuhen ist in diesem Augenblick klar, auf welchen großen französischen Literaten dieser Satz anspielt (weniger Kundige müssten sich im Blaster durch das Stichwort 'Hummel' blättern) und die Herren sehen sich einen Augenblick lang an, ein um Sekundenbruchteile verlängertes Blinzeln der Augen ist ein letztes Unterpfand, und in einem der restriktiven Gesetzeslage der Zeit angepassten verzögerten Abstand schreiten beide, nun der Schuhe erst recht nicht achtend, in einen Seitenweg, von dort, an einem Rhododendronbusch abbiegend, eine kurze Strecke durch niedriges Gehölz, keine Glasscherben oder Papierreste, die ihnen vorauseilend Hänsel und Gretel machten und sie gelangen schließlich an eine baumumschlossene Stelle, an der Mister Galignani, sage ich der Einfachheit halber mal, seine nichtexistente Plastiktüte auf einen verwitterten Baumstumpf legt, die RockDrill de los Cantares darauf, sie einerseits vor Bodennässe zu schützen, sie andererseits vor Verknitterungen zu bewahren, denn unmittelbar darauf greift ihm schon sein Gegenüber in den Schritt, was er mit der Einbringung des Zeigeund Mittelfingers in den Mund des anderen erwidert, dabei das Ohrläppchen knabbernd, während der anonyme Flaneur bereits das mehr als halb erigierte Glied des Poundianers aus der Hose geknöpft, ich betone: geknöpft hat. Was nun folgt, sind gegenseitige manipulative Handlungen, wie sie in dieser Form schon vielfältig beschrieben worde sind, unseren Protagonisten jedoch ganz offensichtlich ein ungeteiltes Vergnügen zu bereiten scheinen, den nach wenigen Minuten entladen sich beide unter nur mäßig unterdrücktem Seufzen in die herbstlich verfärbte Landschaft. Auch das danach fällt nicht so stilvoll aus, wie man es vielleicht von einem Poundrezipienten erwarten dürfte, zudem wird der Abschied durch einen einsetzenden erneuten Regenschauer beschleunigt, wobei Mister Galignani bemerkt, daß er seinen Regenschirm in der gleichnamigen Buchhandlung stehengelassen hat. Hastig stopft er die Preßlufthammergesänge des größten Lyrikers des zwanzigsten Jahrhunderts in seine Tasche, ohne dabei zu bemerken, daß ein Tropfen des Weihrauchs vom Altare Amors, welcher sich ihm erst kurz zuvor entrungen hat, auf den Rücken des druckfrischen Buches gelangt ist - er hatte das Datum der Ersterscheinung natürlich aus der angesagtesten literarischen Revue Paris entnommen - und eilt nach Hause in seine nachgerade typisch zu nennende Altbauwohnung im vierten Bezirk, als ihn während der Bereitung eines Tees über welchem er zumindest Canto 85 und 86 zu einem vorläufigen Ende zu lesen gedenkt ein in seinem Alter gänzlich überraschenden Hinterwandinfarkt gefällt, dauerhaft, mausetot zu Boden streckt. Erst fünf Wochen später findet die Concierge seine Leiche, da er einen mangels Lebendigkeit ungeheizten Kohlenofen besitzt und die Temperaturen in diesem Jahr überraschend schnell gesunken sind, so daß das üblicher Sommergejammere der Mitmieter entfiel und nur die sich über den langen Zeitraum doch anhäufende Post (eigentlich hatte er sich aus den USA weitgehend ohne Hinterlassung einer neuen Anschrift verabschiedet, aber die Werbeleute fanden einen schon immer) ins Blickfeld geriet. Das Buch lag noch neben ihm, als sie es fanden, fast wie um eines poetischen Abschlusses willen auf der letzten Seite, auf die es gefallen war, als es ihm aus den krampfenden Händen glitt, bevor er in das Meer aller Abgeschiedenen glitt:

That the wave crashed, whirling the raft, then
Tearing the oar from his hand, broke mast and yard–arm
And he was drown down under wave,
The wind tossing,
Notus, Boreas,
as it were thistle-down.
Then Leucothea had pity,
"mortal once
Who now is a sea–god:
nostou
gaíes Phaiékon..."


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