|
Ich bin 92 Jahzre alt. Als Junge bin ich nie verprügelt worden. Es gab höchstens Ohrfeigen, aber immer Moralpredigten, Stubenarrest, Taschengeldentzug. Ich beneidete die Freunde, die verhauen wurde – und damit war alles erledigt.
Im Krieg wurden wir ausgebombt und wohnten in den ersten Nachkriegsjahren im Laborgebäude einer stillgelegten Fabrik. Die lag im Ruhrgebiet weit außerhalb der nächsten Stadt. Außer uns lebte dort nur ein Ehepaar mit zwei 12 und 14-jährigen Jungen in einer Baracke. Der Vater, Frührentner soff und verprügelte, wenn er heim kam die Jungs. Sie mussten sich über den Klotz legen, wo sonst Holz gehackt wurde. Den jüngeren der beiden musste die Mutter festhalten, den ältere nicht. Das Schmerzgebrüll hörte man bis zu uns. Warum wurden die beiden so oft geschlagen? Die Mutter der beiden erzählte meiner Mutter: „Mein Mann fragt, was sie wieder ausgefressen haben. Wenn mir nichts einfällt, schlägt er mich.“
Die Jungs wurden auch sonst sehr schlecht behandelt. Sie trugen bis es schneite verschlissene Shorts, mussten nach der Schule barfuß laufen, waren mager.
Richtig leid taten sie mir nicht. Heimlich schlich ich aus dem Haus und versteckte mich hinter einer kleinen Mauer vor der Baracke und hatte einen Steifen in der Lederhose. Einmal entdeckte mich der Mann: „Komm rüber, Junge, kannst zusehen wie ich die Mistkerle erziehe.“ Er sah mir in die Augen: „Die brauchen das. Sie gewöhnen sich daran, irgendwann sind sie stolz, was sie aushalten können.“
Am nächsten Tag traf ich Hannes, den Älteren mittags nach der Schule. Wir hatten Nachtfrost. Er war barfüßig und trug nur Turnhosen. „Extrastrafe? fragte ich ihn. - „Der Lehrer soll auch seinen Spaß haben“, war seine Antwort. „Warum läufst du nicht weg? - Mir macht es nix mehr aus. Mein Jonny mag es. Deiner doch auch?“ Wir wurden Freunde. Die Eltern durften es nicht wissen.
|
