Phasenübergang
Ein Phasenübergang bzw. eine Phasentransformation ist die Umwandlung einer oder mehrerer Phasen in andere Phasen. Die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine solche Umwandlung besteht darin, dass die freie Enthalpie der Reaktionsprodukte geringer ist als die der Edukte. Die freie Enthalpie hängt von den so genannten Zustandsvariablen des Systems ab: dem Druck, der Temperatur, der chemischen Zusammensetzung und der magnetischen Feldstärke. Eine graphische Antwort auf die Frage, bei welchen Kombinationen dieser Bedingungen welche Phase stabil ist, liefern Phasendiagramme. In diesen Diagrammen sind die Stabilitätsbereiche durch Phasengrenzlinien begrenzt, an denen die Phasenübergänge ablaufen.
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Klassifizierung
2 Beispiele
3 Theorie
4 Bedeutung für natürliche Prozesse
5 Bedeutung für technische Prozesse
6 Siehe auch
7 Literatur
Klassifizierung [Bearbeiten]
Phasenübergänge können zwischen festen, flüssigen und gasförmigen Phasen auftreten. Für Phasenübergänge zwischen bestimmten Aggregatzuständen gibt es spezielle Bezeichnungen:
Schmelzen (Übergang von fest zu flüssig)
Verdampfen (Übergang von flüssig zu gasförmig)
Sublimieren (Übergang von fest zu gasförmig)
Erstarren oder auch Gefrieren (Übergang von flüssig zu fest)
Kondensieren (Übergang von gasförmig zu flüssig)
Resublimieren (Übergang von gasförmig zu fest)
Ionisieren (Übergang von gasförmig zu Plasma)
Rekombinieren (Übergang von Plasma zu gasförmig)
In einigen Stoffsystemen verschwinden oberhalb eines kritischen Punktes, der durch eine kritische Temperatur und einen kritischen Druck gekennzeichnet ist, die Phasengrenzflächen zwischen flüssiger und gasförmiger Phase. Damit sind Flüssigkeit und Gas unter diesen Bedingungen nur noch eine Phase, die »überkritisch« genannt wird. Somit kann es dort auch kein Verdampfen und Kondensieren mehr geben. Ebenso kann es in einigen Stoffsystemen einen Tripelpunkt geben, an dem sowohl eine feste, als auch eine flüssige und eine gasförmige Phase im Gleichgewicht miteinander stehen und dementsprechend alle sechs erstgenannten Formen des Phasenübergangs gleichzeitig ablaufen.
Für Phasenübergänge in Festkörpern unterscheidet man drei Klassifikationsprinzipien:
Thermodynamische Klassifikation
Strukturelle Klassifikation
Kinetische Klassifikation
Thermodynamisch unterscheidet man nach der Ehrenfest-Klassifikation Phasenübergänge unterschiedlicher Ordnung. Dazu betrachtet man Größen wie Volumen, Enthalpie oder Entropie in Abhängigkeit von einer (oder mehreren) Variablen, meist der Temperatur. Bei Phasenübergängen erster Ordnung besitzen diese Größen in der Umgebung des Phasenübergangs eine Sprungstelle. Bei Phasenübergängen höherer (n-ter) Ordnung verlaufen diese Größen stetig, erst die n-te Ableitung ist unstetig. Da diese thermodynamischen Größen im Zusammenhang mit makroskopischen Eigenschaften wie zum Beispiel der Doppelbrechung oder der Deformation des Kristallgitters stehen, kann man auch letztere zur Klassifikation von Phasenübergängen heranziehen (Landau-Theorie). Beispielsweise ist reines Wasser bei Normaldruck und einer Temperatur von Null Grad Celsius, also an seinem Schmelzpunkt, entweder eine Flüssigkeit oder ein Feststoff. Zur Überführung vom festen in den flüssigen Zustand muss zusätzlich Wärmeenergie (in Form von latenter Wärme) zugeführt werden, ohne dass es zu einer tatsächlichen Temperaturerhöhung kommt. Das Schmelzen von Eis ist also ein Phasenübergang erster Ordnung. Ein ferromagnetischer Stoff verliert hingegen ab einer kritischen Temperatur (der Curie-Temperatur) seine ferromagnetische Ordnung und wird paramagnetisch, ohne dass dabei zusätzlich latente Wärme auftritt. Dieses Verhalten kennzeichnet einen kontinuierlichen Phasenübergang.
Nach der strukturellen Klassifikation unterscheidet man zwischen diskontinuierlichen (=rekonstruktiven), martensitischen und kontinuierlichen Phasenübergängen. Diskontinuierliche Phasenübergänge sind durch den Bruch chemischer Bindungen charakterisiert. Ein Beispiel ist die Umwandlung von Graphit in Diamant. Bei martensitischen Phasenübergängen wird das Kristallgitter geschert. Ein Beispiel ist die Umwandlung von γ- zu α-Eisen. Martensitische Phasenübergänge werden nochmals in athermale und isothermale Phasenübergänge gegliedert. Im Unterschied zu ersteren ist der Umwandlungsgrad bei letzteren zeitabhängig. Kontinuierliche Phasenübergänge sind nur mit einer Ordnung der Kristallstruktur verbunden. Man unterscheidet zwei Subtypen: Displazive und Ordnungs-Unordnungs-Phasenübergänge. Bei ersterem kommt es zu einer Verschiebung oder Rotation der Atompositionen (zum Beispiel bei der Umwandlung von Hochquarz in Tiefquarz), bei letzteren zu einer Ordnung mehrerer auf verschiedene Atompositionen statistisch verteilter Atome, so dass jede Position nur noch mit einer Atomsorte besetzt ist. In beiden Fällen kann es zum Auftreten großräumiger Periodizitäten kommen, welche die Gitterstruktur überlagern. Man bezeichnet diese als inkommensurable Strukturen.
Die kinetische Klassifikation unterteilt Phasenübergänge nach ihrer Reaktionsgeschwindigkeit in Phasenübergänge nullter Ordnung, bei denen die Reaktionsgeschwindigkeit konstant ist, Phasenübergänge erster Ordnung, bei denen sie von der Konzentration der Ausgangsphase abhängt und Phasenübergängen zweiter (dritter) Ordnung, bei denen sie von den Konzentrationen von zwei (drei) Ausgangssubstanzen abhängt.
Strömungsdynamisch wird unterschieden bei Geschwindigkeits-Übergängenen, wo Strömungseigenschaften schlagartig und massiv ändern. Zum Beispiel die Änderung wichtiger Werte wie Widerstand und Auftrieb bei Gasen und Flüssigkeiten. Ein wichtiger Bereich ist der kritische Übergang von unterkritisch zu überkritisch.
Beispiele [Bearbeiten]
Phasenübergänge sind oft mit der Änderung bestimmter Materialeigenschaften verbunden, zum Beispiel:
Wechsel der Kristallstruktur (struktureller Phasenübergang)
Wechsel zwischen ferro- und paramagnetischem Verhalten bei der kritischen oder Curie-Temperatur
Wechsel zwischen verschiedenen magnetischen Ordnungen, z. B. von kommensurabler zu inkommensurabler Magnetstruktur
Wechsel zwischen ferro- und dielektrischem Verhalten
in der Hochenergiephysik: Entstehung von Quark-Gluon-Plasma bei hohen Temperaturen und Drücken
Übergang zur Superfluidität
Übergang zur Supraleitung
Übergang von unterkritischer Strömung zu überkritisch (Strömungsdynamik).
Übergang von einer glatten zu einer atomar aufgerauten Kristalloberfläche (Facettierung)
Theorie [Bearbeiten]
Die Theorie kontinuierlicher Phasenübergänge geht von einem Ordnungsparameter aus (zum Beispiel der Magnetisierung bei der Umwandlung eines Ferromagneten in einen Paramagneten). Bei kontinuierlichen Phasenübergängen geht der Ordnungsparameter bei Annäherung an den Umwandlungspunkt kontinuierlich gegen Null (dagegen springt er an einem Phasenübergang 1. Ordnung) und die Korrelationslänge divergiert (bei einer Umwandlung 1. Ordnung bleibt sie endlich). Es lassen sich sehr unterschiedliche Arten von kontinuierlichen Phasenübergängen in Universalitätsklassen zusammenfassen, was letztlich erneut auf die Divergenz der Korrelationslänge zurückzuführen ist. Diese Klassen können durch einige wenige Parameter charakterisiert werden. Beispielsweise verschwindet der Ordnungsparameter in der Nähe des kritischen Punktes, z. B. als Funktion des Temperaturabstandes zum Übergangspunkt, in der Form eines Potenzgesetzes. Der zugehörige Exponent, der kritische Exponent, ist ein solcher Parameter.
Der Zusammenhang zwischen grundlegenden Symmetrien der jeweiligen Phasen und den Werten dieser Parameter ist im Rahmen der Statistischen Physik in den letzten Dekaden ausführlich theoretisch untersucht und auch in einer Vielzahl von Experimenten (nicht nur im Space Shuttle) sowie in Computersimulationen überprüft worden. Bei theoretischen Beschreibungen von Phasenübergängen wird mitunter die Landau- oder Mean-Field-Theorie benutzt. Dabei werden jedoch kritische thermische Fluktuationen vernachlässigt, die in der Umgebung des Übergangs eine wesentliche Rolle spielen können (und beispielsweise in der kritischen Opaleszenz beobachtet werden). Die Landau-Theorie kann trotzdem als Ausgangspunkt genauerer Theorien (von der Skalentheorie von Pokrowski und Patashinski bis hin zur epsilon-Entwicklung von K.G. Wilson und M.E. Fisher) wertvolle erste Einsichten vermitteln. Dies ist insbesondere von Kenneth G. Wilson erkannt worden, der 1982 den Nobelpreis für bahnbrechende Arbeiten über kontinuierliche Phasenübergänge erhielt. Wilson ist einer der entscheidenden Pioniere der Renormierungsgruppentheorie, die berücksichtigt, dass bei kontinuierlichen Phasenübergängen die kritischen Fluktuationen auf vielen Längenskalen in selbstähnlicher Form stattfinden. Analoge Theorien finden heute in vielen Bereichen der Physik und Mathematik Anwendung.
Bedeutung für natürliche Prozesse [Bearbeiten]
Das Wissen über die physikochemischen Bedingungen, bei denen Phasenübergänge ablaufen, erlaubt Mineralogen Rückschlüsse über die Entstehungsgeschichte von Gesteinen. Wenn ein Gestein unter hohe Drücke und Temperaturen gerät, kommt es in vielen Fällen zu einer Phasenumwandlung. Unter der Voraussetzung, das die anschließende Abkühlung so rasch erfolgt, dass die Umkehrreaktion aufgrund der bei tiefen Temperaturen kaum noch möglichen Diffusion nicht mehr stattfindet, kann man davon ausgehen, dass die bei hohen Temperaturen und Drücken stabilen Minerale »eingefroren« werden und so an der Erdoberfläche erhalten bleiben. So sind Aussagen darüber möglich, welche Temperaturen und Drücke ein Gestein im Laufe seiner Genese »gesehen« hat. Beispiele hierfür sind die Phasenübergänge zwischen Andalusit, Sillimanit und Disthen im Bereich der Aluminosilikate, die Umwandlung von Graphit in Diamant und von Quarz in Coesit oder Stishovit. Das durch experimentelle Mineralogie erworbene Wissen über Phasenübergänge erklärt auch das rheologische Verhalten des Erdmantels: Das Eisen-Magnesiumsilikat Olivin wandelt sich in 410 km Tiefe in den in der β-Spinell-Struktur kristallisierenden Wadsleyit um, der sich seinerseits in 520 km Tiefe weiter in den in der γ-Spinell-Struktur auftretenden Ringwoodit umwandelt (siehe auch die Artikel 410-km-Diskontinuität und 520-km-Diskontinuität). Dabei kommt es zu keinerlei chemischen Veränderungen, sondern nur zu einer Änderung der Kristallstruktur. Am Beispiel der Umwandlung von Coesit in Stishovit kann man gut erklären, warum es zu einer Phasenumwandlung kommt: Unter normalen Bedingungen ist Silizium von vier Sauerstoffatomen umgeben, unter hohen Drücken rücken die Atome jedoch dichter zusammen, so dass die Koordination durch sechs Sauerstoffatome energetisch günstiger ist.
Bedeutung für technische Prozesse [Bearbeiten]
Während des keramischen Brandes wandelt sich bei einer Temperatur von 573 °C Quarz in Hochquarz um. Dabei ändert sich das Volumen. Bei einer zu großen Heizrate kann dies zum Zerspringen der Keramik führen. Deshalb wird die Heizrate in diesem Temperaturbereich gedrosselt. Im Bereich der Konservierung von Kunstobjekten werden die Gegenstände oft kühl und trocken gelagert und auch ausgestellt. Bei Objekten aus Zinn ist dies nicht richtig, weil dieses unterhalb von 15 °C in eine andere Modifikation übergeht, deren äußeres Erscheinungsbild wenig attraktiv ist und die als Zinnpest bezeichnet wird. Für die Kunstgeschichte ist es interessant zu wissen, dass früher oft das Blaupigment Azurit für die Darstellung des Himmels verwendet wurde. Im Lauf der Jahrhunderte ist dieses jedoch in die thermodynamisch stabile Form Malachit umgewandelt worden, welche grün ist. Dadurch ist der Himmel auf alten Bildern manchmal grün. Bei der Stahlerzeugung sind mit der Umwandlung der Eisenmodifikation Ferrit in Martensit Veränderungen des Gefüges verbunden, die für die Eigenschaften des Stahls von großer Bedeutung sind. In zweidimensionalen Materialien, z. B. in dünnen magnetischen Schichten, kann es nur unter eingeschränkten Bedingungen langreichweitige Ordnung und damit einen Phasenübergang geben. Dieser interessante Aspekt wird im Mermin-Wagner-Theorem (nach N. David Mermin und Herbert Wagner) behandelt und ist auch experimentell untersucht worden.
Paraffine besitzen eine besonders große Volumenänderung um etwa 30 % beim Phasenübergang von fest nach flüssig. Dieser Hub kann für die Konstruktion von Aktoren genutzt werden.
Siehe auch [Bearbeiten]
Van-der-Waals-Gleichung
Chaostheorie
Komplexe Systeme
Kritischer Punkt
Siedeverzug
Unterkühlung
Übersättigung
Curie-Temperatur
Literatur [Bearbeiten]
H.E. Stanley, Introduction to Phase Transitions and Critical Phenomena, Oxford University Press (1971)
W. Gebhard, U. Krey, Phasenübergänge und kritische Phänomene, Vieweg (1980)
Phase Transitions and Critical Phenomena, Band 1-20 (1972-2001), Academic Press, Hrsg: C. Domb und M.S. Green bzw. J.L. Lebowitz
M.E. Fisher, Renormalization Group in Theory of Critical Behavior, Reviews of Modern Physics, Band 46, S. 597-616 (1974)
Mats Hillert: Phase equilibria, phase diagrams and phase transformations - their thermodynamic basis. Cambridge Univ. Press, Cambridge 2008, ISBN 0-521-85351-6
Pierre Papon (et al.): The physics of phase transitions - concepts and applications. Springer, Berlin 2006, ISBN 978-3-540-33389-0
Vadim V. Brazhkin New kinds of phase transitions - transformations in disordered substances. Kluwer Academic, Dordrecht 2002, ISBN 1-4020-0825-2
EinklappenBezeichnungen der Übergangsformen zwischen verschiedenen Aggregatzuständen
Ausgangs-
zustand Endzustand
fest flüssig gasförmig Plasma
fest Phasentransformation Schmelzen Sublimieren —
flüssig Erstarren — Sieden/Verdampfen —
gasförmig Resublimieren Kondensieren — Ionisation
Plasma — — Rekombination —
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