(Ebenso unermüdlich wie unverdrossen um die Gunst des Küchenpersonals bemüht, bringe ich ihm von meiner Mittagspause folgende Lesefrucht mit:)
Aus dem »Vorwärts« vom 27. April 1923:
Die Geschichte vom edlen Gendarmen
In der »Salzburger Zeitung« las ich eine Geschichte, so wunderbar, daß sie nur das Leben erfunden haben kann.
Es ging ein Gendarmeriewachtmeister über Land, ein »Postenführer«, und kam an einem kleinen See vorbei. Ein fünfjähriges Mädchen stand am Ufer und weinte, weil ihr Papierschifflein so weit hinausgeschwommen war.
Da beging der Gendarmeriewachtmeister eine Pflichtverletzung, indem er seinen Dienstweg unterbrach, seine Rüstung ablegte und ins Wasser sprang, um dem Mädchen sein Papierschifflein zu holen.
Ein gütiger Herrgott, dem es furchtbar fatal war, daß in dieser Welt ein Edelmensch Gendarmeriewachtmeister sein mußte, des kargen Brotes wegen, blies ein bißchen in die Wellen, strudelte sie durcheinander, und der Gendarm ertrank, das Papierschifflein in der Hand. Man konnte ihn nicht mehr retten.
Ich kann mir schon denken, daß an jenem Tage ein Wanderer vielleicht beraubt wurde, weil der Weg unbewacht blieb. Aber was bedeutet ein Überfall gegen die Heldentat des Gendarmen?
Er ertrank nicht wegen eines Überseedampfers, nicht einmal eines Menschenlebens wegen. Sondern wegen eines kleinen Schiffleins aus Papier, dem ein kleines Mädchen nachweinte.
Was ist ein Held, der hunderttausend »Feinde« ertränkt, gegen diesen Wachtmeister?
Seine Seele schwamm ins Paradies auf einem wunderbaren Wolkenschiff, ganz aus Weiß und Gold und Nichts. Ja, solche Gendarmeriewachtmeister gibt es. Aber sie ertrinken gewöhnlich.
(Joseph Roth)
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