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Liquidationsdefensive schrieb am 25.9. 2003 um 20:02:57 Uhr über

Pflanzenporno

Was da derzeit auf meiner Fensterbank abgeht, ist weder ein Pflanzenporno - dagegen spricht die Zartheit der zu vermutenden Empfindungen - noch Blümchensex - da den beteiligten Partnern längst die Blütenblätter ausgefallen sind -, sondern ein wundersames Zeugnis der Liebe im Reich der Pflanzen. Die beiden Weihnachtssterne, die ich nämlich nun seit Weihnachten durch die hohe Kunst mehr oder weniger regelmäßigen Wassergießens am Leben erhalten habe, haben sich offenbar entschieden, sich nicht mehr nur der Sonne zuzuwenden, sondern sich gegenseitig anzunähern. Hätten es beide auf das Licht abgesehen, müssten sie sich parallel zum Fenster hinaus lehnen wollen. Stattdessen aber wächst und biegt sich die linke Blume nach rechts, die rechte aber nach links, als wollten sie sich die Hand reichen und sich umarmen. Freilich ist der Abstand mit etwa zehn Zentimetern noch zu groß, um ihr Ziel zu erreichen, aber es scheint dennoch eine geheimnisvolle Kommunikation stattzufinden. Feinste Messinstrumente könnten hier vielleicht einen noch unbekannten Teilchenstrom nachweisen, Strahlung in einem ungeahnten Frequenzspektrum oder auch nur unerschlossene Sinnesorgane für grün reflektiertes Licht. Aber das alles würde nicht die Frage klären, was die beiden nur voneinander wollen, die sich doch zum Zwecke der Fortpflanzung und des Wachstums gar nicht nötig haben. Ist es der Kampf gegen die Einsamkeit, ein platonisches Gefühl der Zusammengehörigkeit oder ein letztes Abschiednehmen vor dem nahen Tod? Letzteres glaube ich nicht, denn es geht den beiden blendend, der Blattbestand ist voll und kräftig, wenn ihnen auch die roten Blätter seit einiger Zeit vollständig ausgegangen sind. Ich hatte hierin erst eine traurige Verstümmelung gesehen, bis mir eine Hobbygärtnerin erklärte, dass die roten Blätter ein für die Weihnachtssterne höchst unnatürlicher Zustand sind, der nur durch Impfen, Pfropfen, Clonen, Kreuzen und was weiß ich in den Brutkästen der Gewächshäuser provoziert wird und der eben nicht von Dauer ist. Meine Weihnachtssterne haben also nun diese roten Fremdkörper an ihrem Leib abgestoßen und können sich erst jetzt richtig entfalten. Diese ungeahnte Zuneigung zwischen den beiden ist daher ja eher ein Ausdruck neu gewonnener Freiheit und Lebenslust. Wenn ichs mir genau überlege, meine ich beinahe ihre Schreie zu hören: »Nun rücke uns doch endlich zusammenJa, das werde ich tun! Und wenn aus der zarten Zuneigung dann doch noch ein Pflanzenporno wird, dann will ich ihnen auf keinen Fall im Wege stehen. Ich muss mir natürlich noch eine Erklärung einfallen lassen, sollte ich einmal wegen längerer Abwesenheit meiner etwas katholischen Nachbarin die beiden dann vielleicht ineinander verschlungenen Weihnachtssterne auf ihren Suppentellern zur Pflege überlassen müssen, wenn sie verwundert fragt: »Was machen die denn da


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