Franziska auf Bollenhof
Ein kühler Wind fegte durch das Gestüt Bollenhof in Pältzig. Traurig schob Franziska ihre Schubkarre vor sich her. Doch sie murrte nicht, denn sie wusste genau, bevor sie eines Tages auf ein Pferd würde steigen dürfen, musste sie drei Jahre lang den Hof in Ordnung halten, und dazu gehörte nun auch mal, die Pferdescheiße entsorgen. Franziska öffnete das Tor und machte sich auf den Weg in die vier Kilometer entlegene Pferdescheißeabnahmestelle.
Arme Franzi! Dass der Stallmeister Otto aber auch so gemein war, immer eine ganze Woche abzuwarten, so dass sie dann 80 Kilo durch die gesamte Ortschaft bugsieren musste! Was Franziska mit ihren zwölf Jahren natürlich nicht wissen konnte, war, dass Stallmeister Otto das nur aus Gründen der Sparsamkeit tat, sonst würde ja sein Hof früher oder später auch von der ostdeutschen Pleitewelle erfasst werden.
Nach 60 Metern machte Franzi eine Pause, sie setzte sich ganz oben auf den Haufen aus Pferdescheiße und rauchte erst mal eine. War ihr doch egal, was die Leute hier in Pältzig dachten! Eines Tages würde sie stolz auf einem schwarzen Hengst durch den Ort galoppieren, und alle würden denken: „Guck an, die Franzi! Das hätten wir aber damals nicht gedacht, als sie auf der Pferdescheiße hockte.“ Befriedigt drückte sie die Zigarette aus und trabte weiter. Es musste ja auch nicht unbedingt der schwarze Hengst Krosso sein, auf den würde ihn Otto sowieso nicht rauflassen. Die gescheckte Stute Amazonia wäre ebenso OK. Mein Gott, wenn’s sein musste, auch das dreibeinige Pony Pepe. Hauptsache mal ruff uff den Gaul. Und den schwierigen Parcours durchreiten, von dem alle erzählten.
Zu Hause sagte sie natürlich niemandem, dass sie hier nur die Stallarbeit machen durfte, das wäre zu peinlich. Vor allem Clarissa würde sich das Maul zerreißen. Sollten ruhig alle glauben, dass sie auf dem besten Wege zur Profireiterin war. War sie ja auch! Dicke Tränen kullerten Franziska über die Wangen und hörten nicht auf zu kullern, bis sie nach sechs Stunden am Tor der Pferdescheißeabnahmestelle klingelte. Frau Ehlers öffnete: „Du armes Ding! Schindet dich der Otto wieder!“
Wie sie dieses Mitleid hasste! Jetzt bloß keine Schwäche zeigen: „Schnauze! Mach die Karre leer, und zwar hoppi, hoppi!“
Frau Ehlers entleerte die Schubkarre in den gigantischen Pferdescheißcontainer , streichelte Franziska über den Kopf und steckte ihr eine Tüte Haribo in die Tasche. Franziska nahm die Tüte und warf sie in hohem Bogen ins Gebüsch: „So’n Scheißdreck!“
Frau Ehlers schüttelte den Kopf: „Behüt dich Gott!“ – „Schlampe!“
Der Rückweg wurde ihr noch schwerer. Es war schon fast Abend. Sie zog noch eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Viel lieber hätte sie jetzt ein Haribo gegessen. Der Wind wehte jetzt stärker und umspielte ihr goldenes Haar, das sie kunstvoll zu dicken anmutigen Rastazöpfen geflochten hatte.
Tief in ihr nagte der Gedanke: Was, wenn es nie dazu kommen würde! Was, wenn sie nie durch den Ort galoppieren, geschweige denn, den schwierigen Parcours durchreiten dürfte. Otto hatte es ja immer wieder gesagt: „Schlag dir die Flausen aus dem Kopp! Aus dir wird nie eine Reiterin!“ Aber das hatte sie immer als Spott aufgefasst. Entsetzen schüttelte sie. All die Arbeit, all die Anstrengungen waren womöglich umsonst!
Verstört öffnete Franziska das Gatter, stellte die Schubkarre ab und ging in die Küche, wo Ottos Frau ihr einen Teller lauwarmen Griesbrei hingestellt hatte. Hastig schlang sie ihn hinunter. Dann versteckte sie sich unter dem Treppenabsatz im Keller. Ihr Entschluss stand fest, wenn ihr keiner das Recht gab zu reiten, dann würde sie es sich eben nehmen.
Als sie sicher war, dass alle im Haus schliefen, schlich sie sich zum Stall, nahm den Sattel von der Wand und näherte sich Amazonia. Sie überlegte es sich noch mal anders und ging auf die andere Seite zu Krosso, der leise prustete. Dann schnürte sie den Sattel fest, legte ihm das Zaumzeug an, band ihn los und führte ihn hinaus. Was hatte Ottos Frau neulich gesagt: „Sieh es doch ein, Franziska, als blindes Mädchen wirst du nie den Parcours reiten können.“ Franziska lachte, schwang sich auf den Sattel und ritt durch Pältzig wie eine Königin. Niemand sah sie, und sie, sie sah nicht, dass sie niemand sah.
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