Ich hatte schon immer ein perverses Interesse für Nationalhymnen, das auf dem Fund einer Ausgabe mit Nationalhymnen der Olympischen Spiele von 1936 aus dem Nachlass meines Großvaters beruht.
Nationalhymnen sind, entgegen landläufiger Meinung, selten gute Kompositionen. Die wenigen gut komponierten (wie die von Haydn oder im Falle von Österreich „angeblich“ von Mozart) stechen heraus und wurden meist nicht ursprünglich als Hymnen geplant. Ein nicht kleiner Teil von Hymnen ist das Resultat von landesinternen Wettbewerben. Da die Wettbewerbsausschreiber wie auch meist einzigen Jurymitglieder oft unmusikalische Diktatoren sind oder waren, sind viele dieser Hymnen unerträglich schlecht. Für dieses Stück habe ich wochenlang recherchiert, vor allem im Internet natürlich, und zum Teil auf Servietten gekritzelte Noten von Hymnen kleiner Inseln im Pazifik gefunden, voll mit Kontrapunktfehlern und seltsamen Notationen. Manchmal waren genau diese Hymnen die charmantesten, manchmal auch nicht. Eines lernte ich: Je kleiner das Land, desto pompöser die Hymne (und umgekehrt). Manche kleinen südamerikanischen Republiken haben Hymnen immenser Länge die klingen wie die Ouvertüren von Rossini-Opern (nicht ohne Grund nennt man diese Hymnen „episch“). In Afrika wiederum ist ein ursprünglich aus Frankreich stammendes Volkslied (Gott segne Afrika) so populär, das verschiedene Länder dieselbe Hymne benutzen. Wenig bekannt ist auch, dass England wie Liechtenstein exakt die gleiche Hymne haben (allerdings mit unterschiedlichem Text), die wiederum auf einem alten deutschen Lied basiert.
Mich interessierte in meinem Stück (bei dem sämtliche Nationalhymnen der Welt streng alphabetisch nach englischen Ländernamen vorkommen, nicht nur eine Auswahl wie in Stockhausens berühmtem Stück) eine gewisse Ives-artige Hörüberforderung. Schon die Idee, ALLE Nationalhymnen der Welt in einem Stück zu verwenden ist quasi eine unmögliche Aufgabe, da der Hymnenbestand sich fast täglich ändert. Natürlich verspürt man irgendwann einen Verlust des eigenen Ausdrucks, und das ist auch die Idee des Stücks: Je individueller die verschiedenen Staaten sein wollen, desto mehr zeigen sie, wie ähnlich wir uns in unserer Eitelkeit alle sind.
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