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mcnep schrieb am 2.12. 2002 um 21:40:07 Uhr über

Pellkartoffelsklave

Anläßlich einer erneuten Proustlektüre habe ich mich gewundert, wie es sich die gutbürgerlichen Kreise des fin de siècle leisten konnten, bei nur einem Verdiener in der Familie so eine Vielzahl von Hausangestellten zu halten. Ein Chefarzt, ein Ministerialpräsident oder ein 'Couponschneider' werden zwar sicher schon damals gut verdient haben, aber einen Diener, einen Koch, eine Gouvernante und einen Kutscher zu unterhalten, von den reichlich in Anspruch genommenen Diensten der freiberuflichen Näherinnen und Westenmacher, Blumenfrauen und Wäscherinnen ganz zu schweigen, das übersteigt doch eindeutig das Portefeuille der meisten heutigen Patrizier und Parvenus. Sozialabgaben eingerechnet, komme ich bei obigem Personalstamm locker auf 810.000 Euro. Davon abgesehen, daß mir solche Milchmännchenrechnungen etwas von meinem schlechten Gewissen bezüglich unseres zweimal wöchentlich in Anspruch genommenen trunksüchtigen Hundesitters nehmen, geriet ich über solchen Reflexionen ins Träumen, da wir gerade mit unserem eher frugalen Abendessen befasst waren, Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Selbige Kartoffeln, aus biologischem Anbau stammend erwiesen sich nämlich als überaus schwer schälbar, und da ich mich nicht mit dem imaginativen Mittelweg einer Apanage Guermantes'schen Ausmaßes begnügen wollte, schweifte mein je nach Serotoninspiegel durchaus zu gewissen Formen der Dekadenz neigender Geist etliche Jahrhunderte zurück in die kostengünstigere Zeit der Sklavenhaltergesellschaft, wie es immer so treffend in 'Weltall Erde Mensch' hieß. Während mir die Inanspruchnahme eines Toilettensklaven, so ein von Suchmaschinen gerne angesteuerter Terminus jedoch alles in allem eher schenant wäre, bereitete mir die Vorstellung eines Pellkartoffelsklaven, der mir angesichts der extremen Schwergängigkeit des Schälvorgangs, vermutlich durch die biologisch-dynamische Unbehandeltheit der Schale bedingt, für eine Augenblick durch das latent zum Hedonismus tendierende und nur durch meine sauerländisch–protestantische Prägung, die solchen Frivolitäten stets ein abrufbares Gran Genußfeindlichkeit beivergällt, im Zaume gehalten, durch meinen zunehmend verkahlenden Schädel schoß (Wodka und Proust sind eine tödliche Mischung, die Klarheit des Satzbaus betreffend) doch das allergrößte Behagen.


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