Rüdis große Jahrmarkt-Revolte
Der Herbsthimmel über Bülzenheim färbte sich rosa, als Rüdi mit theatralischem Schwung seine Plastiklupe gegen die Imbissbuden richtete. »Herr Mertens, sehen Sie das?! Die haben *Schriftzeichen* in Glitzer!« Seine Stimme überschlug sich wie ein Jugendlicher vor dem ersten Kuss. Pfleger Mertens, dessen Gesichtszüge bereits seit 17 Jahren den Kampf gegen Lachfalten verloren hatten, zerrte am Rollator. »Das sind Tempura-Gemüsesticks, Herr Zub... *Aua!*« Ein Kinderkarussell traf sein Schienbein.
Vor dem Asia-Stand mit neonpinker LED-Schrift (»Fujiama-Spezialitäten!«) blieb Rüdi stehen. Die Fritteuse zischte ein Crescendo, als er den Mondgesichtigen Verkäufer musterte. »Junger Mann! Haben Sie Sschen?«
»Sche…schen?«
»Exakt! Mit extra Panade und dieser süßen Braunsoße!« Rüdis Zeigefinger malerte imaginäre Schriftzeichen in die Luft. Mertens' Nackenhaare sträubten sich. »Das heißt *Tempura*, Herr Zuber. Und nein, Sie dürfen nichts Frittiertes. Cholesterin.«
Eine Popcorntüte segelte vorbei, von einem kreischenden Teenager verfolgt. Rüdi erwischte sie im Flug, stopfte sich drei Stücke in den Mund und zwinkerte dem Asiaten zu. »Nennen Sie's wie Sie wollen – ich brauch Sschen! Und alte Leberhosen!«
»Leber…hosen?« Der Verkäufer starrte auf seine traditionellen Seidenhosen. Mertens griff nach dem Notfall-Heftpflaster in seiner Cardigan-Tasche. »Er meint *Lederhosen*. Deutschunterricht vor 50 Jahren. Bitte ignorieren Sie...«
Doch Rüdi war bereits im Strom der Menschentraube verschwunden, dirigiert vom Duft gebrannter Mandeln. Am Zuckerwattestand blieb er abrupt stehen. »1969! Da gab's hier noch Reibeplätzchen statt Sushi.« Sein Lachen kollidierte mit den Sirenen der Geisterbahn. »Und keiner kam auf die Idee, Hühnerfüßchen zu panieren! Hab ich recht, Mertens?«
Der Pfleger, der gerade versuchte, eine rosa Zuckerwolke aus Rüdis Haaren zu pulen, seufzte. »Es heißt *Dim Sum*. Und wir gehen jetzt heim. Medikationszeit.«
Durch die Dämmerung torkelnd, passierten sie den Außenzaun des Heims. Rüdi tätschelte die Betonmauer, als begrüße er einen alten Komplizen. »Weißt du, was Leberhosen wirklich sind?« Seine Augen blitzten im Schein der Flutlichter. »Das Rezept meiner Oma! Kalbsleber in Mehlsäcken eingelegt – schmeckte wie Fußpilz mit Zimt!« Ein Rülpser, der nach Lakritz und Rente roch, beendete die Enthüllung.
Als die Sicherheitstür ins Schloss fiel, flüsterte Rüdi dem rostigen Briefkasten zu: »Morgen holen wir die Sschen. Mit Schubkarre.« Irgendwo im Garten kicherte ein Eichhörnchen.
•••
Am nächsten Morgen fand Mertens einen Skizzenzettel: Eine Strickjacke, umfunktioniert zum Tempura-Schmuggelcape. Darunter, in kraxeligen Buchstaben: *Leberhosen-Revolution! 17 Uhr!*
Der Pfleger trank sein Johanniskrauttee-Cappuccino in einem Zug. Irgendwo im Speisesaal schmetterte Rüdi das »Ännchen-von-Tharau«-Lied – in schrägem Schwäbisch.
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