Ich saz ûf eime steine
»Ich saz ûf eime steine« Originalfassung
(Das Gedicht wurde im Zeitraum von 1190-1202 auf dem Hintergrundder gleichzeitigen Wahl zweier Kaiser im Deutschen Reich geschrieben. Damals wählten die Staufen Philipp von Schwaben und die Welfen Otto IV. zum deutschen Kaiser, so dass im Reich bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten.)
Mittelhochdeutscher Text:
Ich sâz ûf eime steine
und dahte 1) bein mit beine:
dar ûf satzt ich den ellenbogen.
ich hete in mîne hant gesmogen 2)
5 daz kinne und ein mîn wange 3)
dô dâhte ich mir vil ange 4)
wie man zer werlte solte leben.
deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe, 10
der keinez niht verdurbe 5).
die zwei sint êre und varnde guot,
daz 6) dicke einander schaden tuot:
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde 7).
15 die wolte ich gern in einen schrîn 8).
jâ leider desn mac niht gesîn,
daz guot und weltlich êre
und gotes hulde mêre 9)
zesamene in ein herze komen.
20 stîge unde wege sint in benomen:
untriuwe ist in der sâze 10),
gewalt vert ûf der strâze,
fride und reht sint sêre wunt.
24 diu driu enhabent geleites niht 11),
die zwei enwerden ê gesunt.
-Walter von der Vogelweide-
Erläuterungen:
1) inf. decken: bedecken
2) inf. smiegen: schmiegen, hineindrücken
3) meine eine Wange
4) adv. enge, sorgfältig, eindringlich
5) von denen keines verlorenginge (ohne dass eines Schaden nähme)
6) (Neutrum als Zusammenfassung von Substantiven mit verschiedenem Genus) die einander oft Abbruch tun
7) übergulte - was an Geltung etwas anderes übertrifft (lexikalischmöglich wäre auch übergulde als Übergoldung)
8) Kasten für Kleider, Kostbarkeiten, Reliquien
9) dazu
10) Versteck, Hinterhalt
11) haben keinen Schutz (keine Sicherheit), wenn nicht
Übersetzung:
Nun sitz ich hier auf einem Stein,
Und denke nach über des Menschens Sein.
Mit der notwendigen Eindringlichkeit,
Doch werde trotzdem nicht daraus gescheit.
Mir bleibt verborgen, wie man drei Dinge
Mit einem Mal jetzt unterbringe,
Ohne dass eines davon abhanden käme,
Wär´ besser, wenn ich sie hier erwähne,
Es geht nun mal um Besitz und Ehre,
Dass eines dem anderen nicht abbrüchig wäre,
Ein Drittes vergas ich zu ermahnen,
Und zwar handelt es sich hier um Gottes Gnaden.
Wo letzteres natürlich ist zu benennen,
Gewinnt weiß Gott mehr Annerkennen.
Schön wär´s, sie alle beisammen zu haben,
So könnte man sich an diesem Dreierpack laben,
Doch leider ist es komplizierter als man denkt,
Weil an ihrem Schicksal auch noch andres dran hängt.
Und zwar sind das der Friede und das Recht,
Die sind momentan schwer verletzt, glaub mir, das stimmt echt!
Na ja, und solang es den zwei Kameraden nicht besser geht,
Will ich gar nicht erst sagen, wies um unsrer drei Dinge Sicherheit steht!!!
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