»Absolute Dominanz«
Antikriegsdebatte (III): Der Irak-Krieg ist nur eine Etappe auf dem Weg zur Weltherrschaft. Der innere Machtzirkel, der Bush führt, und sein »Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert«
Seit der Machtübernahme durch die Bush-Regierung war klar, daß die neuen Herren in Washington diesen Krieg unbedingt wollten und sich durch nichts davon abhalten ließen. Zwei Tage vor den Anschlägen des 11.September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon in New York hatten die Angriffspläne der USA gegen das unbotmäßige Taliban-Regime in Afghanistan bereits zur Unterschrift auf dem Schreibtisch des US-Präsidenten George W. Bush gelegen. Nach einem Bericht des amerikanischen Nachrichtensenders MSNBC war diese eindeutige Tatsache während der Arbeit der Untersuchungskommissionen zum 11.September des US- Kongresses im Mai und Juni letzten Jahres ans Tageslicht gekommen. Nach vielen Windungen war die Bush-Regierung schließlich gezwungen, dies zähneknirschend einzugestehen. 1)
Eine Stunde nach den Anschlägen des 11.September 2001 hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einer ersten Reaktion auf die Ereignisse seinem Stab im Pentagon die Order gegeben, vorrangig alles zu sammeln, das eine Spur in Richtung Irak zeigen könnte. Dies geht aus den kürzlich in der New York Times auszugsweise veröffentlichten persönlichen Aufzeichnungen eines engen Mitarbeiters des US- Verteidigungsministers hervor.
Sechs Tage nach den Terroranschlägen, also am 17. September 2001, hatte Pentagonchef Rumsfeld bereits den Befehl zur Planung des Krieges gegen Irak gegeben, wie die Washington Post Anfang dieses Jahres enthüllte. (Washington Post, 12.1.2003) Bis zur Finalisierung der Pläne würde sich eine Rechtfertigung für den Krieg gegen Irak schon finden lassen. Am liebsten mit dem Segen der UNO, aber notfalls auch allein. Auch ohne die Briten, wie Kriegsherr Rumsfeld Anfang Februar 2003 zum Entsetzen von Tony Blair wissen ließ. Damals schien es, als ob London wegen der fehlenden »Legitimierung« des Angriffskrieges durch die UNO im letzten Augenblick doch noch kalte Füße bekommen würde.
Den Krieg gegen Irak alleine zu führen, wie anfangs in Afghanistan, ohne politische Einschränkungen durch die UNO oder lästiges Dazwischenreden von übervorsichtigen europäischen Verbündeten, war von Anfang an das Ziel der Präventivkrieger um US-Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld gewesen. Im Gegensatz dazu wollten die professionellen Diplomaten im US-Außenministerium unter Leitung des Ex-Generals Colin Powell die Verbündeten lieber in den Krieg mit einbinden, selbst wenn dadurch die Vorbereitung des Krieges mehr Zeit kosten würde. Aber im Unterschied zu Vizepräsident Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld, seinem Stellvertreter Paul D. Wolfowitz und Berater Richard Perle, die mit diesem Krieg das »Neue Amerikanische Jahrhundert« einläuten wollen, ist Powell ein Außenseiter und gehört nicht zu dem inneren Machtzirkel, der Präsident Bush führt.
Strategiepapier von 1997
Ziel dieses Zirkels ist es, die Rolle der USA als alleinige Supermacht und »unersetzliche Nation«, ohne die in der Welt nichts geht und gegen die erst recht nichts getan werden kann, für den Rest des Jahrhunderts zu festigen. Daher spricht man bereits jetzt vom 21. Jahrhundert als dem »amerikanischen Jahrhundert«. Dazu gehört die »full dominance«, die volle Dominanz der USA über alle anderen Länder und möglichen Allianzen von Ländern. Zur Verwirklichung dieser Ziele ist die Gruppe bereit, sich über alle Bedenken und Befürchtungen, über Völkerrecht und internationale Konventionen hinwegzusetzen.
Dies entstammt nicht etwa einer obskuren Verschwörungstheorie, sondern den Strategiepapieren dieser Herrschaften, in denen sie seit Jahren ganz offen ihre Ziele dargestellt haben. Diese Gruppe um Cheney und Rumsfeld hat die neue US-Präventivschlagsdoktrin im Rahmen der 1997 gegründeten Denkfabrik »Project For A New American Century« (PNAC – »Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert«) ausgearbeitet. Seither haben diese Überlegungen Einfluß in höchst offizielle Strategiedokumente der Regierung der Vereinigten Staaten gefunden. Dies wurde auch in der von US-Präsident Bush letzten Herbst verkündeten neuen Sicherheitsdoktrin deutlich, nach der sich Washington das »souveräne Recht« herausnimmt, die Souveränität anderer Staaten mit Füßen zu treten und gegen alle Länder Präventivkriege zu führen, von denen sie sich angeblich irgendwie bedroht fühlen, oder in diesen Staaten »Regimewechsel« nach US-amerikanischem Gusto durchzusetzen.
Die Ursprünge dieser Strategie reichen jedoch weiter zurück als 1997. Bereits im Februar 1992 hieß es in den offiziellen »Richtlinien zur Verteidigungsplanung« (Defence Planning Guidance, DPG) des Pentagon: »Unser erstes Ziel ist es, das Entstehen eines neuen Rivalen, ob auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, zu verhindern, der eine Bedrohung ähnlicher Ordnung wie die frühere Sowjetunion darstellen könnte. Dieser Gedanke bestimmt grundlegend die neue regionale Verteidigungsstrategie. Dies erfordert, daß wir jegliche feindliche Macht daran hindern, eine Region zu beherrschen, deren Ressourcen unter ihrer direkten Kontrolle ausreichen würden, eine neue Großmacht zu werden.« Umgesetzt in die praktische Politik bedeute dies: »Die hochentwickelten Industrieländer (also die EU-Staaten und Japan – R.R.) von jedem Versuch abzuhalten, unsere Führungsrolle in Frage zu stellen oder die bestehende politische und wirtschaftliche Ordnung umzustürzen« und »Mechanismen zu erhalten, die möglichen Konkurrenten alle Hoffnung auf eine größere regionale oder globale Rolle nehmen«. (New York Times, 8.3.1992)
Diese Richtlinien wurden unter Federführung von Paul D. Wolfowitz, damals Staatssekretär des Pentagon für Verteidigungspolitik, und I. Lewis Libby, heute Sicherheitsberater des Vizepräsidenten Dick Cheney, ausgearbeitet, wobei Cheney damals US-Verteidigungsminister war. Durch die Wahl von William Clinton zum US-Präsidenten ein Jahr später war diesen Herren jedoch unter Führung von Bush senior keine Zeit mehr zur Umsetzung dieser Politik geblieben. Dies besorgte dann – wenn auch in abgeschwächter Form – die Clinton-Regierung unter der streitsüchtigen Außenministerin Madeleine Albright.
Obwohl die »Demokratische Partei«, die sich 1992 bei Bekanntwerden der »Richtlinien zur Verteidigungsplanung« in Washington noch in der Opposition befand, die Zielsetzung der DPG damals aufs schärfste kritisierte, hatte die Clinton- Regierung im Rahmen ihrer »Überprüfung der US- Verteidigungsstrategie« von 1993 (Bottom-Up-Review) alle wesentlichen Merkmale dieser Strategie übernommen. Im Bericht zur »Vierjährigen Verteidigungsüberwachung« (Quadrennial Defence Review), der 1997 von Clintons Verteidigungsminister Cohen erstellt wurde, gilt es u.a. als »unerläßlich, daß sich die Vereinigten Staaten in den nächsten 15 bis 20 Jahren noch stärker in der Welt engagieren und daß sie ihre militärische Überlegenheit über alle gegenwärtigen oder potentiellen Rivalen beibehalten. Denn wenn sich die USA zurückziehen würden, würde die Welt ein noch gefährlicherer Ort werden«. 2)
»Ein neues Pearl Harbor«
Das PNAC oder »Project For A New American Century« war der Schoß, aus dem das Ungeheuer des jüngsten Krieges gekrochen ist. Das PNAC war nach dem Vorbild einer sehr erfolgreichen ähnlichen Gruppe ins Leben gerufen worden, die 1980 den eiskalten Kriegspräsidenten Ronald Reagan an die Macht gebracht hatte. Damals handelte es sich um den »Ausschuß für die gegenwärtige Gefahr«, in dem fast alle späteren Regierungsmitglieder Reagans im Verein mit aktiven Pentagonstrategen und Rüstungskonzernen Pläne schmiedeten, um den »Niedergang der amerikanischen Macht« aufzuhalten und den Trend wieder umzukehren. Ihre Kritik galt dem angeblich »laschesten« US-Präsidenten aller Zeiten, Jimmy Carter, der seit langer Zeit der erste amerikanische Präsident war, unter dessen Führung die USA kein einziges anderes Land überfallen haben.
Viel zu lasch zu sein und die amerikanischen Interessen im Ausland, insbesondere im Mittleren Osten, nur halbherzig durchzusetzen, lautete denn auch der Hauptvorwurf der gegen US-Präsident Clinton gerichteten Aktion der PNAC- Denkfabrik. Bereits 1998 forderten ihre Aktivisten in offenen Briefen an Clinton und amerikanische Kongreßabgeordnete, daß das Regime Saddam Husseins notfalls mit militärischer Gewalt von der Macht zu entfernen sei, um auf diese Weise im gesamten Mittleren Osten der Durchsetzung amerikanischer Interessen mehr Nachdruck zu verleihen. Dabei müßte die US- Regierung auf einen Alleingang vorbereitet sein, weil die USA »sich nicht mehr auf ihre Partner aus dem Golfkrieg verlassen« könnten. Von den 18 Unterzeichnern dieser Briefe sitzen inzwischen zehn als Minister oder Staatssekretäre in Schlüsselpositionen der Bush-Regierung.
Eine strategische Analyse, von der PNAC-Fabrik im September 2000 kurz vor den Präsidentschaftswahlen unter dem Titel »Die Wiederherstellung der amerikanischen Verteidigung, Strategien, Streitkräfte und Ressourcen für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert« veröffentlicht, wies auf die Gefahr hin, daß bei fortlaufendem Trend dieser laschen Haltung zu Verteidigungsfragen die weltweite amerikanische Vorherrschaft nicht mehr lange aufrechterhalten werden könnte, es sei denn: »ein katastrophales und katalysierendes Ereignis tritt ein, wie ein neues Pearl Harbor«, das die Bereitschaft der amerikanischen Gesellschaft zu Opfern wieder erhöht. Als dieses Ereignis am 11.September 2001 tatsächlich eintrat, saßen diese Leute, deren erklärtes Ziel es ist, die Welt zu dominieren, bereits an den Schalthebeln der amerikanischen Macht.
Die »Richtlinien zur Verteidigungsplanung« (Defence Planning Guidance) von 1992 haben seit der Machtübernahme von Bush junior vollkommen Eingang in das strategische Denken der Führung der Vereinigten Staaten gefunden. So auch in die bereits erwähnte neue amerikanische Sicherheitsdoktrin, in der der amerikanische Präsident seine Absicht bekundet, die absolute militärische Überlegenheit der USA weltweit und unter allen Bedingungen aufrechtzuerhalten und auszubauen und alles zu tun, um das Auftauchen eines möglichen strategischen Rivalen bereits im Keim zu ersticken.
Ziel ist es, die regionalen wirtschaftlichen und politischen Mechanismen nach amerikanischen Vorstellungen umzuformen, um sie besser den veränderten Erfordernissen der von den US-Großkonzernen betriebenen neoliberalen Globalisierung anzupassen. Das hat der nationale Sicherheitsberater der ersten Bush-Regierung, der Exgeneral Brent Scowcroft, sehr deutlich gemacht, als er schwärmte: »Dies ist eine Welt, in der der Kapitalismus gedeihen kann. Seitdem die Vereinigten Staaten die einzige Supermacht sind, sind Globalisierung und amerikanische Macht zu einem Synonym geworden. 3)
Vom Golf zum Kaspischen Meer
Noch klarer stellte Thomas L. Friedman – einer der bekanntesten und einflußreichsten US-Kommentatoren – diese Zusammenhänge dar, als er an dem Tag, als die NATO unter US-Führung ihren Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann, in der New York Times vom 28. März 1999 schrieb: »Damit die Globalisierung funktioniert, darf Amerika sich nicht scheuen, als die allmächtige Supermacht zu handeln, die es ist. Die unsichtbare Hand des Marktes (Anspielung an den Propheten des Kapitalismus Adam Smith, daß der freie und unkontrollierte kapitalistische Markt auf unsichtbare Weise alles ordnet und zum besten regelt) wird nie ohne den F-15-Konstrukteur McDonnel-Douglas (der Kampfjets baut) funktionieren. Und die unsichtbare Faust, die dafür sorgt, daß die Welt für McDonalds- Niederlassungen und Silicon-Valley-Technologien sicher ist, heißt US-Army, Navy, Air Force und Marine Corps.«
Die von den USA auf allen Gebieten angestrebte »full dominance« (absolute Dominanz) über alle Länder und Allianzen der Welt setzt als wesentliche Bedingung die Kontrolle über die bedeutendsten Öl- und Gaslagerstätten der Welt voraus. Nur die Möglichkeit, diese wichtigsten Energieträger entweder selbst zu nutzen oder anderen zu verweigern, sichert der US-Regierung auf Dauer die Macht, dem Rest der Welt mit ökonomischem oder militärischem Druck die Bedingungen der neoliberalen Globalisierung aufzuzwingen. Zur Absicherung dieser Strategie gehört auch die US-Kontrolle über die Region mit den wichtigsten Öl- und Gasvorkommen vom Persischen Golf bis zum Kaspischen Meer.
Darauf hatte schon ein richtungsweisender Aufsatz von David Tucker im Sommer 1998 in der Zeitschrift der renommierten Carlisle-Offiziersschule Parameters hingewiesen. Tucker war damals im US-Verteidigungsministerium der zuständige Direktor für »Sonderoperationen und Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle«. In Parameters kritisierte er zuerst die Verzettelung der amerikanischen Streitkräfte durch die Einmischung in viele kleine Konflikte unter Präsident Clinton. Ganz im Sinne der kommenden Bush-Regierung argumentierte er, daß es für die USA nur eine einzige Region gebe, für die es sich wirklich lohne zu kämpfen, nämlich »das Gebiet vom Persischen Golf nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis nach Zentralasien«. Tucker fährt fort: »Dies ist eine sehr bedeutende Region (ungefähr von der Größe der USA), die etwa 75 Prozent der Weltölreserven und 33 Prozent der Erdgasreserven beherbergt.« 4) Die Kontrolle dieser Ressourcen bedeutet entweder die eigene Nutzung oder aber die Verweigerung der Nutzung durch andere. Um letzteres geht es derzeit hauptsächlich rund um das Kaspische Meer, wo die USA die Kontrolle der dortigen Energiereserven durch mögliche Konkurrenten wie China und Rußland verhindern wollen.
Und da fast alle führenden Leute der Bush-Regierung aus der Petroleum-Branche kommen, ist ihnen die Vorstellung, das irakische Öl für die amerikanischen Konzerne zu »befreien«, sicherlich besonders angenehm. Die Anwendung militärischer Gewalt ist dabei lediglich ein (längst akzeptiertes) Mittel zum Zweck. Selbst FAZ.NET, das elektronische Sprachrohr der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Internet, erklärte bereits am 16. September 2002: »Beim diskutierten Angriff auf den Irak geht es nicht nur um den Sturz eines Unrechtsregimes, sondern auch um die Zukunft der amerikanischen Energieversorgung.«
Allerdings wird meist verkannt, daß es Washington nicht allein um das irakische Öl geht, sondern um das Öl der ganzen Region. US-Vizepräsident Cheney hatte bereits im letzten Juni angekündigt, den geplanten Krieg gegen Irak als »Plattform für umfassende Reformen in der ganzen Region« zu nutzen. Zugleich zirkulierte im US-Kongreß bereits ein Resolutionsentwurf, der die Bush-Administration dazu aufforderte, nicht prioritär den Irak zu bekämpfen, sondern sich dem Iran als Hauptfeind zuzuwenden. Mit Iran und Irak aber wollen sich die Superfalken in Washington nicht begnügen. Richard Perle, der einflußreiche Berater des Pentagon und von US-Präsident Bush, hatte im Herbst letzten Jahres in einem Interview mit der Sendung »Diplomatic Immunity« des kanadischen Fernsehsenders TV-Ontario Klartext gesprochen. Er sagte, die US-Regierung sei nun darauf vorbereitet, außer »Irak auch Iran, Syrien und Libanon militärisch anzugreifen«. Der Angriffskrieg gegen Irak ist nur eine erste Etappe bei der gewaltsamen Umgestaltung der ganzen Region und auf dem Weg zur Weltherrschaft.
1) Siehe dazu auch: http://ist-socrates.berkeley.edu/~pdscott/ qf911.html
2) Quadrennial Defence Review, QDR 1997, United States Department of Defence, May 1997
3) Final Report, IFPA- Fletcher Conference Arlington 2000, S. 78
4) Parameters ist die auf sicherheitspolitische Themen spezialisierte Revue der US-amerikanischen Kriegsuniversität US-War-College, Ausgabe Sommer 1998, Seiten 69–79
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