Ich muß es ja sowieso irgendwann erzählen, und wenn ich mich schon derzeit ansonsten überwiegend als Ekel präsentiere, mag mancher aus dieser Geschichte ein gern gegönntes Gefühl der Häme ziehen. Vorgestern war ein besonders schlimmer und gefühlsturbulenter Tag für mich und zur Ablenkung hatte ich beschlossen, eine Kontaktanzeige aufzugeben. Ja, verdammt noch eins, mir ist einsam und ich will nicht als Szenematratze enden. Deshalb hatte ich mir auch keines dieser Bumsforen gesucht, sondern die 'er sucht ihn'–Rubrik der größten und eigentlich fürchterlich konservativen Tageszeitung vor Ort. Ich habe mir keine übermäßige Mühe mit der Anzeige gegeben, eigentlich habe ich sie auch ohne jede Hoffnung hineingestellt, mehr ein Versprechen an mich selbst, irgendwann nicht mehr alleine zu sein. Als Nick wählte ich meinen Vornamen, bei dieser Art Anbahnungsversuchen immer der goldene Mittelweg aus Vertrautheit und Anonymität, finde ich. Ich schickte die Anzeige ab und bekam mitgeteilt, sie würde nun erst einmal von den Redakteuren geprüft, Anstößigkeiten will man bei dem Schwarzblatt nicht, das konnte ich mir denken und hatte mich auch textlich darauf eingestellt. Ich hatte die ganze Aktion gestern abend schon wieder halb vergessen, als ich mich besann und noch einmal auf die Annoncenseite schaute. Einen Moment dachte ich, die Erde müsste sich auftun: Die automatische Adressfeldausfüllung meines Computers hatte meinen Vornamen brav mit dem Familiennamen ergänzt, und in dieser Form stand ich für alle Suchmaschinen dieser Welt mindestens 12 Stunden lang zu lesen. Eine schnelle Mail hat die Sache bereinigt und es steht nur noch mein Vorname da. Achso, der Text der Anzeige, ich kann die ja hier gewissermaßen gleich crossschalten:
»40 jähriger kultivierter und geringfügig exzentrischer Bartträger, Proustleser und Liebhaber von Orgelmusik, Raucher und Hundebesitzer sucht die Bekanntschaft eines stärker gebauten Herren. Herzlichkeit und Vielseitigkeit wären angenehm.«
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