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Bilmek Straponi schrieb am 14.8. 2006 um 16:11:05 Uhr über

Optik


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E.T.A Hoffmann - Der Sandmann
Übersicht

In E.T.A Hoffmans NovelleDer Sandmann“ [SMn], dem ersten Werk aus dem Zyklus der Nachtstücke, setzt sich der Student Nathanael mit den Ängsten aus seiner Kindheit und den Gefahren der Gegenwart auseinander. Die Figur Coppelius aus seinem Albtraum, der ihn seit dem gewaltsamen Tod seines Vaters begleitet, taucht in der Gestalt des Linsenschleifers Coppola wieder auf und verführt ihn mit der Hilfe von Spalnzanis mechanischen Menschen Olimpia. Sein Leiden endet mit einem Sprung von einem Turm.

Hoffmann war einer der bedeutendsten Autoren der Romantik und ist auch heute noch für seine Kunstmärchen bekannt. Oft zeigt er in seinen GeschichtenMenschen im Einflussbereich dunkler Mächte“ [DeL,S. 105]. Wie es bei Romantikern üblich war, versuchte auch Hoffmann eine Welt zu erschaffen, in der Dinge möglich sind, die normalerweise unvorstellbar währen. Es ist bis zum Ende des Buches unklar, ob Nathanael unter Wahnvorstellungen leidet, oder ob Coppelius und/oder Coppola ihn mit raffinierten Tricks zu einem Selbstmord treiben.
Figuren
Nathanael

Die Hauptperson der Novelle, von tiefer Unsicherheit zerrissen, wankt zwischen der dunklen Welt von Coppelius und der klaren Welt von Clara. Im Verlauf der Novelle setzt er sich mit Coppolas und Spalanzanis Geschöpf Olimpia auseinander, verliebt sich in sie und wird erneut in ein seelisches Tief gestürzt, als er ihre wahre Natur erkennt. Begeht am Ende Selbstmord (Eventuell von Coppelius dazu getrieben).
Clara

Die Verlobte von Nathanael, sieht alles sehr klar, sieht das Wahre. Sie ist einfühlsam, hat einen scharfen Verstand. Immer optimistisch [SMn,S. 15, Z. 13].
Lothar

Bruder von Clara [SMn,S. 19, Z. 5], [SMn,S. 38, Z. 23].
Coppelius / Coppola

Name vom Lateinischen [SMn,S. 47].Figur aus Nathanaels Albtraum, Alchemist [SMn,S. 48], Wetterglashändler und Optiker mit Fixierung auf Augen.
Spalanzani

Professor der Physik [SMn,S. 47], talentierter Mechanikus und Erschaffer von Olimpia. Namensgeber hat früher Experimente zur Erschaffung eines künstlichen Menschen durchgeführt.
Olimpia

Roboter und Geschöpf von Spalanzani, wird als seine Tochter betrachtet. Sie arbeitet mit höchster Präzision, wirkt aber dadurch nur noch Künstlicher, Nur das Perspektiv verleiht ihr einen Schein von Leben.
Handlung
S. 3

Die Novelle beginnt mit einem Brief von Nathanael an Lothar, seinem Bruder, in dem er ihm von seiner Begegnung mit Coppola, dem Wetterglashändler berichtet. Darin erzählt er von seinen Kindheiterfahrungen mit Coppelius, dem Albtraum vom Sandmann und dem Tod seines Vaters. Schon dort wird das Motiv der Augen deutlich gemacht.
S. 12

Der zweite Brief ist Claras Antwort, in der sie versucht, Nathanael zu beruhigen. Ihr missfällt die Vorstellung von Coppelius, sie glaubt nicht an die Wirklichkeit der neuen Erfahrung, sondern interpretiert sie als Wahnvorstellungen, ein Produkt seines eigenen Ichs. Sie bezeichnet den Tod des Vaters als Unfall [SMn,S. 13, Z 24].
S. 15

Die Antwort von Nathanael an Lothar, in der er erklärt, dass es auch von der Verschiedenheit von Coppola und Coppelius überzeugt worden ist. Ausserdem berichtet er ihm von seiner Begegnung mit Olimpia, die ihm seltsam vorkommt.
S. 17

Der Erzähler der Geschichte beschreibt das Schreiben des Buches, so als wenn er die Geschichte gefunden und nicht erfunden hätte. Alle ihm möglichen Anfänge für die Geschichte geben nur einen Eindruck wieder, aber durch die Briefe lässt sich die Tragik besser erahnen. Er erläutert auch noch die äussere Situation von Nathanael, Clara und Lothar, beschreibt das Aussehen von Clara, ihr kindliches Gemüt.
S. 20

Nathanael hat sich verändert, er fühlt sich verfolgt von dunklen Mächten, fast paranoid bezweifelt er die Freiheit der Menschen und führt alles auf höhere Mächte zurück. Claras Versuche, ihn davon abzubringen, misslingen, immer stärker verfängt er sich in die „mystischen Schwärmereien“ [SMn,S. 21, Z. 7]. Nathanael schwingt sich in seinen Dichtungen in immer düsterere Ebenen hinunter, bis er anfängt, von Coppelius und Claras Augen zu Phantasieren [SMn,S. 22, Z. 25]. Seine Dichtungen werden immer abstruser, von Wahnsinn gepackt, bezeichnet er Clara als Automaten [SMn,S. 24, Z. 5] und rennt weg. Ein Duell zwischen Nathanael und Lothar ist die Folge dieser Beleidigung, doch Clara kann durch ihr Auftauchen wieder Vernunft in die Streithähne bringen.
S. 25

Nathanaels Haus ist niedergebrannt, und der Zufall (oder Coppelius?) will, das sein neues Zimmer genau gegenüber dem von Olimpia liegt. Ihm fällt auf, wie starr sie zu ihm herüber schaut, und ist beeindruckt von ihrer Schönheit, ihrem regelmässigen Wuchs. Ein Besuch von Coppola schreckt ihn wieder aus der neu gefundenen Ruhe auf, und um ihn los zu werden, kauft er ein Perspektiv, ein Fernglas, das ihm Olimpias tote Augen unglaublich lebendig erscheinen lässt[SMn,S. 27, Z. 25]. Nathanael hat das Gefühl, er habe den Kauf zu teuer bezahlt (mit seinem Verstand?), er kann sich nicht mehr von Olimpias Bild in seiner Vorstellung trennen.
S. 29

Für Nathanael kommt es wie gerufen, als Spalanzani ein Fest feiern will, bei dem er zum ersten Mal seine Tochter Olimpia der Öffentlichkeit zugänglich machen will. Dort wird er durch das Perspektiv immer mehr in ihren Bann gezogen, so das er Clara langsam vergisst. Seine letzten Zweifel an ihr lösen sich langsam auf, worüber Spalanzani höchst erfreut ist.
S. 33

Allen ausser Nathanael scheint Olimpia seltsam mechanisch, geistlos, ihre Augen ohne Sehkraft, doch er ist von ihren Worten beeindruckt, obwohl sie sich in Konversationen auf ein gelegentliches ``Ach, ach!'' beschränkt. In ihre Schweigsamkeit interpretiert Nathanael ein sehr poetisches Gemüt. Als er ihr einen Heiratsantrag machen will, gerät er in einen Streit zwischen Spalanzani und Coppelius, die um Olimpias Körper kämpfen. Coppelius kann entkommen, doch Spalanzani, der leidenschaftlich an seiner Kreation hängt, hat die Augen. Nathanael wird erneut von Wahnsinn gepackt.
S. 37

Der Erzähler berichtet die weiteren Ereignisse: Spalanzani muss die Universität verlassen, da er die Menschheit mit der mechanischen Puppe betrogen hat, Coppola blieb verschwunden. Nathanael ist vom Wahnsinn befreit und will mit Clara, die er zu heiraten beabsichtigt, aufs Land ziehen. Gemeinsam steigen sie auf einen Turm und als Nathanael sein Perspektiv zum letzten Mal benutzt, versucht er von Wahnsinn gepackt Clara, die er für eine Puppe hält, zu töten. Erfreulicherweise kann Lothar sie retten, doch Nathanael stürzt sich in den Tod, als er Coppelius sieht.
S. 40

Coppelius verschwindet, Clara lebt vermutlich mit einem freundlichen Mann auf dem Land und hat zwei Kinder.
Interpretation

In diesem Buch gibt es viel zu interpretieren, von den Anspielungen auf die Augen über Coppola und Coppelius bis zu Olimpia und ihrem Zweck.
Optik

Die Augen sind das Fenster in die Seele, und als solche haben sie eine hohe Wichtigkeit in der Novelle. Sie tauchen schon zu Anfang auf, als über den Mythos des Sandmanns gesprochen wird (Mutter, Kinderfrau [SMn,S. 5, Z. 8], Coppelius [SMn,S. 9, Z. 7]) Die Augen werden für Experimente gebraucht (für Olimpia [SMn,S. 36, Z. 16]?) Auch die Augen von Olympia sind bemerkenswert, zuerst sind sie tot und befremdlich [SMn,S. 16, Z. 30], dann wirken sie Anziehend [SMn,S. 27, Z. 26]. Claras Augen hingegen sind klar und heiter [SMn,S. 19, Z. 27], [SMn,S. 22, Z. 25].

In Nathanaels Gedicht bedeuten Augen Leben und Tod [SMn,S. 23, Z. 4], seine Psyche ist fixiert auf sie, er sieht sie auch in Coppolas Brillen [SMn,S. 26, Z. 24]. In seinen Träumen und auch bei der letzten Begegnung mit Spalanzani bringen Augen ihn um den Verstand [SMn,S. 36, Z. 18], und auch Coppelius scheint es bis zuletzt auf Augen abgesehen zu haben [SMn,S. 40, Z. 21].

Auch das Perspektiv hat seltsame Eigenschaften. Es stellt nicht nur die Welt auf den Kopf, wie man es von so einem primitiven Optischen Werkzeug ohne Korrektur erwartet, sondern verändert auch die Einstellungen von Nathanael gegenüber Olimpia [SMn,S. 28, Z. 30], [SMn,S. 30, Z. 21] und später Clara [SMn,S. 39, Z. 20]. Ist das Perspektiv ein Symbol für die verdrehte Psyche der Hauptperson?
Traum oder Wirklichkeit?

Mit diesem Element spielt Hoffmann in der Novelle sehr oft, nur selten wird klar, ob ein Sachverhalt nur geträumt oder wirklich passiert ist. Die Vorstellungen von Nathanael verschmelzen mit der Wirklichkeit. Der Ich-Erzähler verstärkt diesen Eindruck noch, behauptet er doch, dass sich alles so zugetragen hat, wie er berichtet. Aber wie kann diese aussenstehende Person so genaue Einblicke in den Seelenzustand von Nathanael bekommen?

Hier wird auch deutlich, das es zwei Geschichten in dieser Novelle gibt, was Nathanael wirklich erlebt hat, ist nicht gezwungenermassen das, was der Erzähler und Hoffmann in der Geschichte beschreiben, diese Unsicherheit ist eines der Stilmittel.
Coppola - Coppelius

Coppelius, der Sandmann, der Nathanael in seiner Kindheit so grosse Schrecken bereitet hat, und Coppola, der Linsenschleifer, der ihm das Perspektiv verkauft hat, sind diese beiden Personen eine einzige? Es gibt viele Hinweise dafür und auch dagegen.

Coppelius hat laut Nathanael einen norddeutschen Akzent, Coppola hingegen sei Piemontese. Auch Spalanzani bestätigt die italienische Herkunft von Coppola, den er seit Langem kennen will [SMn,S. 16, Z. 2].

Allerdings ist es doch ein sehr eigenartiger Zufall, das Coppola genau dann Auftaucht, als Coppelius die Stadt verlassen hat [SMn,S. 40, Z. 15]. Noch deutlicher wird die Identität der beiden Figuren, als Coppola mit der Stimme von Coppelius spricht [SMn,S. 35, Z. 25], und später Spalanzani, der früher sogar für Coppolas Glaubwürdigkeit gebürgt hat, ihn mit Coppelius anspricht [SMn,S. 36, Z. 13].
Olimpia

Olimpia, der künstliche Mensch, erschaffen von Spalanzani und Coppelius, hat Nathanael getäuscht. Ihr Bau hat etwa zwanzig Jahre benötigt [SMn,S. 36, Z. 16], ein mechanisches Meisterwerk, Menschen zum verwechseln ähnlich. Aber was war sein Zweck? Der Forschergeist der Alchemisten ist die Antwort auf diese Frage: Jahrhunderte versuchten sie, die Natur zu erklären und ihren Vorteil daraus zu ziehen (Gold aus Kohle, Stein der Weisen, Trennwasser, Homunkulus [SMn,S. 48, mitte]). Bereits in der Kindheit hatte Nathanael Erfahrungen mit diesen Experimenten gesammelt [SMn,S. 8, Z. 27].
Epoche - Romantik

Die Stilepoche der Romantik ist geprägt von der Flucht aus dem Alltäglichen, vor der Dessilusionierung des Alltags [DeL,S. 98](Napoleon). Die künstliche Welt der Phantasie erlaubte es den Menschen, sich von den Fesseln des Alltags zu lösen und seine Grenzen aufzulösen, ganzheitliches Denken ist wichtig. Die Vollendung wird nur noch im Imaginären möglich.

In der eher philosophisch geprägten Frühromantik wurde versucht, das Dasein durch die Poesie neu zu gestallten. Das Diesseitige und das Jenseitige sollten vereint alle Lebensbereiche durchdringen. (Novalis aka. Fredrich von Hardenberg)

Die mittlere Romantik wurde von der Dichtung selbst beherrscht, vor allem die volkstümlichen Dichtungen waren beteiligt. (Gebrüder Grimm)

Die Spätromantik besass vermehr religiöse Züge, die Abgründe des menschlichen Seins, sein Kampf mit den dunklen Mächten wurden wichtiger. (E.T.A. Hoffmann)

Märchen sind ein häufiges Ausdrucksmittel der Romantik. Volksmärchen zeichnen sich durch einfache Strukturen aus, die Hauptperson ist meistens von der Gesellschaft benachteiligt und findet im Laufe der Geschichte ihr Glück durch die Phantasie. Auch wenn sie oft nachbearbeitet wurden, liegen ihre Wurzeln im Volk. Kunstmärchen hingegen zeichnen sich durch einen individuellen Stil des Autors aus, hier spielen nicht mehr die unteren sozialen Schichten die Hauptrolle, sondern allgemeine soziale Probleme. Die Traumwelten sind der Ort, an dem Glück fassbar wird, die Realität hingegen nur Ort des Scheiterns.

Die Gattungen verschmelzen, Novellen und Märchen werden zu einer Mischform. E.T.A. Hoffmann ist einer der bedeutendsten Autoren der Spätromantik, seine Kunstmärchen wieDer Sandmannsind sehr erfolgreich. Lyrik gilt als magisch, oft müssen Zaubersprüche gefunden werden, in jedem Wort steckt Magie.
References
[SMn]

E.T.A Hoffmann, Der Sandmann, Reclam, 1991, ISBN 3-15-000230-3.
[DeL]

Winfried Freund, Deutsche Literatur, Dumont, 2000, ISBN 3-7701-4747-2.


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