Teil 2
Ohnehin hängt dem jungen Mann etwas Zwanghaftes an. Er hegt eine starke Abneigung gegen Perlen und Ohrringe, ekelt sich vor den Haaren anderer Leute. Ihm wird heiß, wenn er einen Pfirsich sieht. Er wiederholt bestimmte Tätigkeiten genau so oft, dass die Anzahl der Wiederholungen durch drei teilbar ist. Stets zählt er die Schritte beim Gehen, berechnet den Rauminhalt von Suppentellern, Kaffeetassen, Lebensmitteln. »Wenn ich das nicht tat, schmeckte mir mein Essen nicht«, notiert er.
In Graz stößt Tesla schließlich auf jenes mysteriöse Forschungsgebiet, das ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen wird: die Elektrizität. Für die meisten Menschen jener Zeit ist Strom noch ein okkulter Saft, der wie von Geisterhand durch Drähte fließt. Tesla möchte die Gesetze dieses Fluidums begreifen – und ist instinktiv davon überzeugt, dass die Zukunft einem damals noch nicht praxistauglichen System gehört, dem Wechselstrom.
NikolaTesla glaubt an die Zukunft des Wechselstroms
Anders als bei einem Gleichstrom-Generator, der mit einem fest montierten Magneten und einer im Inneren des Geräts rotierenden Spule Strom erzeugt, dreht sich beim Wechselstrom-Generator der Magnet im Zentrum und produziert so in den außen angebrachten Spulen Strom.
Der Vorteil: Der Strom muss nicht mehr umständlich mithilfe von Funken sprühenden Schleifkontakten an einer rotierenden Spule abgenommen werden. Er entsteht stattdessen im äußeren, statischen Teil des Generators.
Doch sämtliche elektrisch betriebenen Geräte jener Zeit beziehen ihre Kraft über den permanent in eine Richtung fließenden Gleichstrom. Vor allem Elektromotoren, die per Wechselstrom betrieben werden, halten Wissenschaftler für undenkbar. Tesla aber vertraut seiner Intuition. Im Geiste testet er einen Wechselstrom-Motor nach dem anderen, verfolgt gedanklich, wie der schnell wechselnde Strom durch die Schaltkreise rauscht. Zunächst ohne Erfolg.
Es dauert sieben Jahre, bis der nunmehr bei einer Budapester Telefongesellschaft angestellte Ingenieur den Durchbruch schafft. Während eines abendlichen Spaziergangs 1882 durch den Stadtpark schießt ihm die Lösung »wie ein Blitz« durch den Kopf.
Tesla greift nach einem Stock und zeichnet das Diagramm eines gänzlich neuartigen Motors in den Staub, bei dem außen angebrachte Spulen, die von Wechselströmen durchflossen werden, ein rotierendes Magnetfeld erzeugen. Dadurch wirken auf den Rotor im Inneren Kräfte, die ihn antreiben.
Wie im Rausch entwickelt er in den folgenden Wochen weitere Motoren, Dynamos und Transformatoren, die allesamt Wechselstrom benötigen – oder erzeugen. »Es war ein geistiger Zustand von Glück, so vollständig, wie ich es nie zuvor im Leben gekannt habe«, schreibt er. »Die Ideen kamen in einem ununterbrochenen Strom, und die einzige Schwierigkeit, die ich hatte, war die, sie festzuhalten.«
Tesla erkennt auch, dass Wechselstrom einen entscheidenden Vorteil gegenüber Gleichstrom hat: Er kann aufgrund seiner physikalischen Natur nahezu verlustfrei über Hunderte von Kilometern durch die Kabel geschickt werden. Gleichstrom dagegen lässt sich lediglich über kurze Strecken transportieren.
Zwei Jahre später, 1884, kündigt er in seiner Firma und macht sich mit einem Empfehlungsschreiben in der Hand auf den Weg nach NewYork. Er will sich dort bei dem großen Thomas Alva Edison um eine Anstellung bemühen und ihn für seine bahnbrechende Erfindung begeistern.
Edison sagt dem Genie eine Prämie von 50.000 Dollar zu
Mitten in Manhattan hat der Glühbirnen-Magnat das weltweit erste öffentliche Kraftwerk errichtet. Allerdings vermag der dort produzierte Gleichstrom nur die elektrischen Straßenlaternen im Umkreis weniger Hundert Meter zum Leuchten zu bringen. Deshalb plant Edison, die Stadt mit einem Netz von Generatoren zu überziehen.
Das Empfehlungsschreiben verschafft Tesla ein Vorstellungsgespräch. Doch schon die erste Begegnung mit Edison verläuft ernüchternd: Als Tesla die Vorzüge seines Stromsystems darlegt, erwidert der Amerikaner verärgert, er solle mit dem Unsinn aufhören. »Die Leute mögen den Gleichstrom, und er ist alles, womit ich mich je abgeben werde.« Allerdings erkennt Edison das technische Talent des jungen Serben, stellt ihn ein – und verspricht Tesla sogar eine Prämie von 50 000 US-Dollar, falls es ihm gelingen sollte, die Leistung der Gleichstrom-Dynamos zu verbessern.
Tesla nimmt das Angebot an und kann seinem Chef nach fast einem Jahr harter Arbeit den Erfolg melden: Die Umbauten an Edisons Dynamos sind abgeschlossen, die Effizienz ist wesentlich gesteigert.
Doch die zugesagte Belohnung bleibt aus – Edison weigert sich, die Prämie zu zahlen: »Tesla, Sie verstehen den amerikanischen Humor nicht«, erklärt er. Empört kündigt Tesla. Später wird er über das angebliche Jahrhundertgenie schreiben: »Wenn Edison eine Nadel in einem Heuhaufen finden müsste, würde er sofort mit dem Eifer einer Biene darangehen, Strohhalm für Strohhalm zu untersuchen, bis er das gesuchte Objekt gefunden hätte. Ich war bedauernder Zeuge solcher Handlungen und wusste, dass ein wenig Theorie und Berechnung ihm 90 Prozent der Arbeit erspart hätten.«
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