Chip als Ersatz für Gehirnareal
Florian Rötzer 13.03.2003
Kalifornische Wissenschaftler haben die erste Neuroprothese entwickelt, mit
der sich der Hippocampus ersetzen lassen soll
Für manche ist es eine Vision, nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn durch
Technologien zu ergänzen, zu verbessern oder gar zu ersetzen. Für viele wäre es ein
Traum, ihre Behinderung oder Krankheit mit technischen Prothesen zu überwinden.
Einen großen Schritt auf dem Weg zu einer neurotechnologischen Prothese, mit der
sich ein Gehirnareal ersetzen lässt, hat offenbar Theodore Berger vom
Center for Neural Engineering an der University of Southern
California realisiert.
Der Hippocampus, der unterhalb des Cortex im Temporallappen liegt und eher wie ein
Widderkopf mit zwei Hörnern als ein Seepferdchen aussieht, ist für die Gedächtnisbildung
mit verantwortlich - und zwar bei Menschen für Inhalte des deklarativen
Langzeitgedächtnisses, die im Schläfenlappen gespeichert werden. Bei Tieren scheint er
dafür verantwortlich sein, bestimmte Signale im Hinblick auf bestimmte Kontexte
einzuordnen. Neben diesem Kontextlernen ist er auch für räumliche Orientierung
zuständig.
Berger sagt, dass der Hippocampus das geordneste und bekannteste Gehirnareal sei,
weswegen er in seinen Funktionen auch am leichtesten zu reproduzieren wäre. Er habe
zudem lediglich die Aufgabe, Erfahrungen im Langzeitgedächtnis anderswo im Gehirn
abzuspeichern. "Wenn man seinen Hippocampus verliert, so büßt man nur das Vermögen
ein, neue Erinnerungen zu speichern." Deswegen seien Experimente mit einer
Hippocampus-Prothese relativ unbedenklich, während die Wirkung gut nachgewiesen
werden könne: Kann jemand mit der Prothese wieder neue Erinnerungen abspeichern,
dann funktioniere auch alles wieder. Allerdings ist der Hippocampus auch etwa für das
Erkennen von Gesichtern, für räumliches Lernen und Orientieren und andere kognitive
Leistungen, so dass Berger hier doch eine Vereinfachung vielleicht als vorsorgende
Beruhigung vornimmt, um leichter mit der Neuroprothese experimentieren zu können.
Berger und sein Team haben, wie New Scientist berichtet, in zehnjähriger
Forschungsarbeit nun einen ersten künstlichen Hippocampus gebaut, der als ersetzende
Gehirnprothese arbeiten soll. Im Unterschied zu neurotechnologischen Schrittmachern
oder zu anderen neurotechnologischen Prothesen, die neuronale Informationen etwa über
ein künstliches Auge, eine Netzhautprothese oder
ein Cochlea-Implantat durch Stimulation weiter leiten oder die neuronale Signale zur
Steuerung etwa eines Roboterarms oder eines
Cursors ableiten, soll der künstliche Hippocampus all das machen,
was auch sein biologisches Vorbild ausführt.
Das aber ist nicht einfach, denn auch wenn man den Hippocampus und seine neuronalen
Schaltkreise gut kennt, weiß man nicht genau, wie Informationen von diesem gespeichert
werden. Zur Herstellung eines mathematischen Modells wurde daher sein Verhalten
kopiert. Der Hippocampus von Ratten wurde in Schnitte zerlegt und jeweils millionenfach
elektrisch stimuliert, um so festzustellen, welcher Output welchem Input entspricht. Daraus
wurde dann das Verhalten des gesamten Hippocampus unter allen Bedingungen modelliert.
Das mathematische Modell wurde schließlich auf einem Chip aufgebracht, der über zwei
Elektrodenbündel als Ein- und Ausgang mit dem Gehirn verbunden wird und so den
beschädigten Hippocampus überbrücken soll. Geplant ist nun, die Prothese zunächst
wieder an lebendigen Gehirnproben von Ratten zu testen, um schließlich die Chips in die
Gehirne von Ratten und dann auch von Affen, die für Gedächtnisleistungen trainiert
wurden, zu implantieren.
Sollte die Prothese funktionieren und sich als sicher erweisen, dann könnten auch Tests
mit Menschen beginnen. Auch hier versucht Berger gleich wieder einmal zu beruhigen:
Bei der Implantierung der Prothese werde zwar auch gesundes Gehirngewebe zerstört,
aber das sollte das Gedächtnis der Patienten nicht weiter beeinträchtigen: "Das wäre nicht
anders als beim Entfernen von Gehirntumoren." Dabei aber spielt durchaus eine Rolle, wo
und wieviel Gehirngewebe entnommen wird. Beim Menschen soll der Chip nicht direkt an
die Stelle des Hippocampus im Gehirn implantiert, sondern am Schädel angebracht
werden, so dass nur die Elektrodenstränge ins Gehirn führen.
Völlig unklar ist freilich, wie solche implantierten Neuroprothesen, auch wenn sie
angeblich nur eine genau eingrenzbare Funktion ersetzen sollen, sich langfristig auf die
Persönlichkeit oder auch nur auf die Art dessen auswirken, wie das Gedächtnis
funktioniert. Skeptisch sind hier auch Experten: Wissenschaftliche
Sensation auf einem Quadratmillimeter. Der Ethiker Joel Anderson von der Washington
University etwa merkt an, dass ein Problem allein auch schon durch die notwendige
Zustimmung des Patienten entstehen könnte. Die Personen, bei denen der Hippocampus
beschädigt oder zerstört ist, können keine neuen Gedächtnisinhalte erzeugen. Haben sie
also einem Hippocampus-Transplantat zugestimmt, dann wissen sie das bald nicht mehr:
»Wenn jemand keine neuen Gedächtnisinhalte bilden kann«, so Anderson, "in welchem
Umfang kann er dann sein Einverständnis geben, dieses Implantat zu erhalten?"
Finanziert wurde die Forschungsarbeit übrigens nicht nur von der National Science
Foundation, sondern auch vom Office of Naval Research und der Darpa. Beim Militär
denkt man schließlich nicht nur darüber nach, wie man den Soldaten der Zukunft technisch
durch »Augmented Cognition« verbessern ( Stets zu Diensten), sondern
ihn auch ersetzen könnte ( Denn sie sollen wissen, was sie tun).
Neurotechnologien sind dafür interessant.
Kommentare:
rumnörgeln...;-) (monoma, 13.3.2003 15:32)
Das is ja klasse... (TheWho, 13.3.2003 15:22)
Um deine Frage zu beantworten: (|BORG|Blade, 13.3.2003 15:19)
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last modified: 13.03.2003
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