Mark Derg Wired
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Silicon Man? Oder sich von der Idee eines kybernetisch so unendlich riesigen Gehirns verfuhren lassen, das alles menschliche Wissen in sich trägt und in einer Pikosekunde vom heimlichen Sexleben von Cheng und Eng zum Ku elaustrittsJFKs Schädel zu den Neurogliazellen in Einsteins Hirn hüpfen kann?
loch an 9
0.B. Hardisons grandioses, einsames Bild am Ende von Disappearing Tbrough the Skylight fasziniert mich unendlich: da wird ein menschliches Bewußtsein auf eine Raumsonde, die auf Sonnensegeln am Rande der Unendlichkeit entlangschwebt, »runtergeladen«. Aber ach, welcher Preis für dieses großartige, vollendete Bild! Hardison beschwört das tragische Bild eines Mannes, der gegen seinen Willen »runtergeladen" wurde und nun erkennen muß, daß er eine Elektronenwolke in den Erinnerungen eines Computerhirns ist und er seine Frau und Kinder nie wieder in Arme aus Fleisch und Blut schließen wird können, wird mich
für immer verfolgen. - Linke Intellektuelle finden halt immer ein Haar in der Suppe, nicht wahr?
Lovink: Vielleicht neigt sich die erste Phase der Cyberkultur mit ihren Gerüchten und virtuellen Verführungen nun ihrem Ende zu. Wir müssen dennoch versuchen, die Gesetze der Verführung und die Ökonomie des Begehrens zu verstehen. Möglicherweise liegen die Probleme der Cyberkultur auch in deren sozial und wirtschaftlich unklaren Verankerungen - sie ist ja weder Massenkultur noch eindeutig politische Opposition gegen die herrschende Klasse. Das schafft Raum für sprühende Phantasien, für massenhaft Zeichen ohne Referenten. Manchmal scheinst du dir aber unsicher, ob du die cyberdelischen Tagträume der kalifornischen Techno-Transzendentalisten wie den Extropianern wirklich ernstnehmen sollst. Andererseits, wie ernst nimmst du die Wired-Visionen einer Dritten Welle
in der Wirtschaftspolitik, die die Grundlage vieler Cyber-Prophezeihungen darstellen?
Dery: Ich nehme die intellektuell entrückten New-Age-Propheten und die Cyberkapitalisten, von denen wir bereits gesprochen haben, so ernst wie man Typen nehmen muß, die an den joysticks der Macht rumfuchteln. Ich bin ein nichtdekonstruierter intellektueller Sturkopf, der tatsächlich noch glaubt, daß Ideen Folgen haben und man deswegen den Laissez-faire-Futurismus, der schwanzwedeind in Wired propagiert wird, ziemlich ernstnehmen sollte, weil die Wirtschaftsheinis dieses Gingrich-Toffler-Gelaber darin für bare Münze nehmen und sich daran ausrichten. Politik wird ja zunehmend von Wirtschafts-Lobbyisten gemacht (manche werden bereits darum gebeten, die Gesetzesentwürfe, die sie mit ihren Schmiergeldern, ähem, mit ihrer finanziellen Unterstützung im Präsidentenwahlkampf erkaufen, schon mal schriftlich vorzuformulieren), und des-
halb ist die Frage, wer den Wirtschaftsbossen wichtig, vor allem für diejenigen von uns, die der Gnade der paternal'st'schen Multinat ler Scheingesetzgebungen jener unsäglichen Z
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staat nannte. Ob Wired ein Murdoch-Mega-G ist nicht zu überhören, daß der Manager-Guru Liedchen trällert - letzterer seines Zeichens von Wired - und auch George Gilder pfeift es, b die atemberaubenden Vortragsgagen, die sie b muten, daß beide in der Business-Kultur zl' Wireds Laissez-faire-Visionen eines zur Unken nalstaates haben bereits einige Herren in den sen. Ich meine, das genügt, um solche Vorstell wie einen Retrovirus in der Körperpolitik, u genetische Metapher zu bemühen.
Aus dem E
Literatur:
Dery, Mark (1 996). Escape Velocity: Cyberculture at th land: Hodder & Stoughton; dt. Ausgabe: Die Kultu Welt 1997)
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