So sprachen viele Zeitungen, Neukölln sei der Problembezirk Deutschlands. Als Inhabitant jedoch mag man abgestumpft genug sein, es nicht zu merken, oder vielleicht ist man auch nur tolerant genug. Es ist wirklich erstaunlich, was sich auf den Straßen tut, wenn man es nicht gewohnt ist, doch ist man es gewohnt, kann man immerhin andere Situationen adaptieren.
Inmitten dieser abgekapselten Gesellschaft bilden sich abgekapselte Gesellschaften, so dass man mit niemandem etwas zutun haben muss, wenn man es nicht möchte. So bekommt man von der Dummheit auf den Straßen und an den Hauptschulen weniger mit, wenn man stattdessen Dummheit der Gymnasiasten frönt, und weniger von der Dummheit der selbsterklärten Vollblutgangster, wenn man stattdessen einfach etwas anderes hört. Nur die auf Selbstmordstelzen balancierenden, zu sogenannten »Bitches« degradierten jungen Mädchen, denen die Fettzellenkonglomerate aus den reißengen Hüfthosen quellen, wenn sie nicht gerade Anhänger der Anorexiediät sind, und deren einziges Ziel es ist, möglichst viele selbsterklärten Vollblutgangster abzuschleppen und ihnen das Hirn herauszuvögeln, wo sie es bei sich selbst doch offensichtlich schon getan haben, denen kann man nicht ausweichen. Denn hier sind sie überall.
Manchmal frage ich mich, warum ich nicht so bin wie sie, warum ich meine Sachen nicht zwei Größen zu klein bei H&M kaufe und zentimeterdick Schminke auftrage, mit männlichen Individuen namens Erdem und Murat herumknutsche, während ich nachts um halb zwölf von der U-Bahn komme, und mir zu meinem Köpfchen einzig einfällt, dass er sich dort befindet, wo mein Hals aufhört - manchmal frage ich es mich wirklich. Es wäre wohl einfacher, vielleicht auch befriedigender, wo man doch nichts vermisst, was man nicht gekannt hat. Nun aber kenne ich den anderen Weg und liebe von ganzem Herzen den Fakt, dass ich nicht dem Klischeebild einer Neuköllnerin entspreche.
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