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kalasnikov schrieb am 8.6. 2001 um 17:00:00 Uhr über

Netzliteratur

KANAK ATTAK UND BASTA!

Kanak Attak ist ein selbstgewählter Zusammenschluß verschiedener Leute über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter »Identitäten« hinweg. Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Paß und der Herkunft.

Unser kleinster gemeinsamer Nenner besteht darin, die Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren sozialen, rechtlichen und politischen Folgen anzugreifen. Kanak Attak ist anti-nationalistisch, anti-rassistisch und lehnt jegliche Form von Identitätspolitiken ab, wie sie sich etwa aus ethnologischen Zuschreibungen speisen.

Wir wenden uns schlicht gegen jeden und alles, was Menschen ausbeutet, unterdrückt und erniedrigt. Erfahrungen, die keineswegs nur auf die sog. »Erste Generation« von Migranten beschränkt bleiben. Das Interventionsfeld von Kanak Attak reicht von der Kritik an politisch-ökonomischen Herrschaftsverhältnissen und kulturindustriellen Verwertungsmechanismen bis hin zu einer Auseinandersetzung mit Alltagsphänomenen in Almanya. Wir setzen uns für die allgemeinen Grund- und Menschenrechte ein, befürworten jedoch zugleich eine Haltung, die sich von dem Modell der Gleichheit absetzt und die sich gegen die Unterwerfung durch eine hegemoniale Kultur richtet - egal ob diese als »globale Postmoderne« oder als dumpfes Teutonentum daher kommt. Was richtig ist, muß in der jeweiligen Situation verhandelt und entschieden werden.

Seit Jahrzehnten existieren Vereine oder Initiativen, die auf die politische Situation, Lebensverhältnisse und den Alltag von Nicht-Deutschen hinweisen. Gleichwohl bleiben diese Bestrebungen auf eine eingeschränkte Öffentlichkeit reduziert - zumeist auf die eigene Community. Kanak Attak macht keine Lobbypolitik, setzt sich von konformistischer Migrantenpolitik ab und will in Form und Inhalt offensiv eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Es ist Zeit, den Kuschel-Ausländern und anderen das Feld streitig zu machen, die über Deutschland lamentieren, Respekt und Toleranz einklagen ohne die gesellschaftlichen und politischen Zustände beim Namen zu nennen. Wir wollen weder ihre Nischen noch akzeptieren wir ihre Anmaßung uns, also dich und mich, zu repräsentieren.

Das Ende der Dialogkultur

Obwohl Kanak Attak für viele nach Straße riecht, ist es kein Kind des Ghettos. So hätten es die Spürhunde der Kulturindustrie gerne, die auf der Suche nach authentischem und exotischem Menschenmaterial sind, das den vermeintlich grauen Alltag bunter werden läßt. Dazu passt die Figur des jungen, zornigen Migranten, der sich von ganz unten nach oben auf die Sonnenseite der deutschen Gesellschaft boxt. Was für eine rührende neoliberale Geschichte könnte da erzählt werden, wie sich Wut in produktives kulturelles und ökonomisches Kapital verwandelt: Eine wahre Bereicherung für die deutsche Literatur und den deutschen Film! Ein echter Gewinn für den heimischen Musikmarkt! Sie sollen nur kommen.

Kanak Attak grenzt sich bewußt gegen ein Politikverständnis ab, das glaubt, mit Veranstaltungen wie dem »Tag des ausländischen Mitbürgers«, Folklore in Maxi-Versionen und humanistischen Kampagnen den Dialog und das friedliche Zusammenleben zwischen Kanaken und der Mehrheitsgesellschaft zu fördern. Diese Toleranz-Leier war zwar nicht ganz umsonst. Hansemann und Trudefrau wissen inzwischen auch Gyros-Kebab-Chop-Sui zu schätzen. Oh là là! Und wenn das Wetter gut und das Gewissen schlecht ist, wird das Auto mit dem Aufkleber »Ausländer, lasst uns nicht mit diesen Deutschen alleinversehen. Kanak Attak ist keinE FreundIn des Mültikültüralizm. Viele Befürworter hat dieses Modell aber ohnehin nicht mehr. Als ob es jemals über den Status kommunalpolitischer Experimente hinausgekommen, ja hegemonial gewesen wäre, reden Teile des Mainstreams inzwischen vom Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Da bleibt die Forderung nach assimilierter Integration und Unterwerfung nicht aus. Man selbst ist ja so offen, demokratisch, hybrid, ironisch. Aber die »Anderen«! Verschlossen, traditionalistisch, sexistisch, humorlos, fanatisch - mit einem Wort: fundamentalistisch. Klar, was den Migranten vor allem fehlt ist Toleranz. Und wer sich nicht in die offene Gesellschaft eingliedern will, der hat im aufgeklärten Almanya nichts verloren. Dabei wird die Toleranz aus einer dominanten Position gefordert und bestehende Herrschaftsverhältnisse unterschlagen. Das ist eine infame Umkehrung der Verhältnisse. Dieser Logik folgt auch die Warnung vor zu lauter Kritik. Die sei nämlich nicht nur ungehörig sondern, so wird man aufgeklärt, könnte Vorurteile bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft produzieren. Dies alles weisen wir entschieden zurück.

Doch das ist nur eine Variante des Rassismus in Deutschland. Die Durchsetzung von national befreiten Zonen im Osten der Republik geht einen Schritt weiter: Ausländerfrei soll das Land werden.

Enter the politics

Kanak Attak tritt grundsätzlich gegen den Status 'Ausländer' an, der auch bei partieller Gewährung von Bürgerrechten alles andere als unseren Vorstellungen entspricht. Ohne daß wir es für den Himmel auf Erden erachten, wenn alle Pässe, Wahlrecht oder ähnliches bekommen, erscheint es uns doch als notwendige Voraussetzung, daß jeder wenigstens auf rein formaler Ebene gleiche Rechte genießt. Deshalb begrüßen wir alle Vorhaben zum Abbau von Ungleichheit, kommt doch der Frage der Staatsbürgerschaft gerade auch in Anbetracht alltäglicher Fragen beträchtliche, mitunter existentielle Bedeutung zu. Man denke nur an den Abschiebungsschutz bei Drogengebrauch, Arbeitslosigkeit oder unliebsamer politischer Betätigung. Und nicht zuletzt ist es natürlich schön, wenn man zumindest innerhalb der EU spontan und ungehindert reisen kann. Eine wenigstens formal-juristische Gleichheit aller würde es auch erleichtern, über ökonomische Ursachen sozialer Ungleichheit nachzudenken und diese zu bekämpfen.

Seit der letzten Bundestagswahl zeichnet sich eine neue Konstellation ab. Die Möglichkeit der doppelten Staatsbügerschaft - »Hosgeldiniz yeni vatandaslar! Herzlich willkommen neue Landsleute!« (Bild) - weicht zum ersten Mal seit dem Faschismus das Blutsprinzip auf, die vermeintlich schicksalhafte Verbundenheit mit dem Staatsvolk durch Geburt, zum großen Ärger von Konservativen, Rassisten und Rechten. Doch ¡Vorsicht! Die Priviligierung von bestimmten Einwanderern geht einher mit dem Ausschluß anderer Menschen. Das Abwinken der rot-grünen Koalition was die Frage der Einwanderung, des Asyls und die Lage von Flüchtlingen betrifft, die fortgesetzte Praxis, Illegalisierte als Kriminelle abzustempeln und die Abschiebung unliebsamer Menschen per Ausländergesetz sprechen eine deutliche Sprache. Das alles zielt auf eine offene oder subtile Spaltung zwischen genehmen, geduldeten und unerwünschten Gruppen, denen mehr, weniger oder gar keine Bewegungsfreiheit zugestanden wird.

Die Liste der Gängelungen ist lang. Ob sie nun in Form von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften oder als ethnologische Gesichtskontrollen in Fußgängerzonen, Bahnhöfen und auf der Straße daherkommen, sie stehlen den Leuten Raum und Zeit. Von Angriffen auf Leib und Leben als solcher sichtbarer Kanaken, die im einheimischen Dschungel an der Tagesordnung sind, einmal ganz zu schweigen. Die sind aber nicht nur das Geschäft des teutonischen Faustrechts, sondern auch der staatlichen Asyl- und Abschiebepraxis, die man getrost eine Summe von Niederträchtigkeiten und Gemeinheiten nennen kann.

Gegen zeitgenössische Gewißheiten

Der Rassismus artikuliert sich in Deutschland gegenwärtig vor allem in kulturalistischer Form. Wie in anderen europäischen Ländern bietet der Islam eine Projektionsfläche für unterschiedliche Rassismen. Dabei geht es nicht zuletzt auch um das Phantasma der Unterwanderung durch fremde Mächte. Deshalb sind wir der Meinung, daß man gegen alle Hindernisse zu kämpfen hat, die eine Anerkennung des Islams als gleichberechtigte Glaubensströmung verhindern. Für uns kommt der Islam nicht als homogene Ideologie daher. Mit der alltäglichen Religionsausübung hat der organisierte politische Islam, den wir gänzlich ablehnen, wenig zu tun. Dennoch: Der Anti-Islamismus bildet die Grundlage des neuen neorassistischen Konsens der bundesdeutschen Gesellschaft. Nicht zuletzt weil gewisse Essentials von 68 allmählich zum gesellschaftlichen Standard geworden sind. Also etwa ein verändertes Geschlechterverhältnis oder das Zurückdrängen religiös begründeter Normen und Alltagspraktiken. Im Kopftuch-Diskurs verdichten sich solche Zuschreibungen. An diesem Punkt entdeckten sogar reaktionäre Politiker ihr Herz für die unterdrückte Frau, so lange man ihre Unterdrückung dem ach so rückständigen Islam in die Schuhe schieben kann.

Eine andere rassistische Denkfigur, die es unbedingt zu attackieren gilt, ist die Vorstellung, daß die Zusammensetzung von Bevölkerungen nicht dem Zufall überlassen, sondern irgendwie reguliert oder gesteuert werden müsse. Dieser Quark ist so verbreitet, daß er einem in Gestalt des Ausländergesetzes genauso entgegenschlägt wie in der des Türstehers, der im coolen Club der Saison mit wichtiger Miene über die »richtige Mischung« wacht. Wer ein Verständnis dafür zeigt, daß auch andere gerne selbst entscheiden möchten, wo und wie sie leben oder sich amüsieren wollen, wird häufig von Wohlmeinenden auf den Problemdruck hingewiesen, den die unkontrollierte Einwanderung zur Folge habe. Ein »Zuviel« von den einen und ein »Zuwenig« von den anderen sorge im besten Falle für schlechte Stimmung. Die Toleranten und Aufgeklärten suchen sich dann gegebenenfalls einen neuen Club oder einen »intakteren« Stadtteil aus. Andere, die wahre Arschloch-Fraktion, erhofften sich Abhilfe von Nazi-Parteien oder nähmen das Gesetz gleich selbst in die Hand. Wir fordern nicht einfach die Ausdehnung der staatsbürgerlichen und anderer Privilegien auf eine zusätzliche Gruppe, sondern stellen die scheinbar selbstverständliche Regelung des »Drinnen« und »Draußen«, die Hierarchisierung der Lebensmöglichkeiten durch Rassismus als solche in Frage. Punktum e basta.

Repräzent? - Repräzent!

Kanak Attak bietet eine Plattform für Kanaken aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, denen die Leier vom Leben zwischen zwei Stühlen zum Hals raushängt und die auch den Quatsch vom lässigen Zappen zwischen den Kulturen für windigen Pomokram halten. Kanak Attak will die Zuweisung von ethnischen Identitäten und Rollen, das »Wir« und »Die« durchbrechen. Und weil Kanak Attak eine Frage der Haltung und nicht der Herkunft oder der Papiere ist, sind auch Nicht-Migranten und Deutsche der n2-Generation mit bei der Sache. Aber auch hier wieder ¡ojo! Die bestehende Hierarchie von gesellschaftlichen Existenzen und Subjektpositonen läßt sich nicht einfach ausblenden oder gar spielerisch überspringen. Es sind eben nicht alle Konstruktionen gleich. Damit bewegt sich das Projekt in einem Strudel von nicht auflösbaren Widersprüchen, was das Verhältnis von Repräsentation, Differenz und die Zuschreibung ethnischer Identitäten anbetrifft.

Dennoch: Wir treten an, eine neue Haltung von Migranten aller Generationen auf die Bühne zu bringen, eigenständig, ohne Anbiederung und Konformismus. Wer glaubt, daß wir ein Potpourri aus Ghetto-HipHop und anderen Klischees zelebrieren, wird sich wundern. Wir sampeln ganz selbstverständlich verschiedene politische und kulturelle Drifts, die allesamt aus einer oppositionellen Haltung heraus operieren. Wir greifen auf einen Mix aus Theorie, Politik und künstlerischer Praxis zurück. Kanak Attak sinniert nicht über Kulturkonflikte, lamentiert nicht über fehlende Toleranz. Wir äußern uns: mit Brain, fetten Beats, Kanak-Lit, audio-visuellen Arbeiten und vielem mehr. Dieser Song gehört uns.

Es geht ab. Kanak Attak!


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