Der Hofnarr2.4. Der Hofnarr
Werner Mezger vermutet den Ursprung des Hofnarrentums in der Darstellung König
Davids mit dem Narren:
"In dieser typologischen Konfrontation des erhabenen Sapiens mit dem
überheblichen Insipiens, wie sie in den Psalterien abgebildet ist, liegt
übrigens sehr wahrscheinlich zugleich die entscheidende ideengeschichtliche
Wurzel des Hofnarrentums, das - zeitlich wohl übereinstimmend mit der
entsprechenden Entwicklung der Psalterillustration - ebenfalls im 13.
Jahrhundert allmählich Gestalt annahm, später ständig an Bedeutung gewann und
schließlich im 15. und 16. Jahrhundert seine Blüte erlebte." (Mezger,
Narrenidee, S. 77)
Sind für das frühe Hofnarrentum geistige und körperliche Abnormität der
»natürlichen« Narren, die als Kuriositäten und Spaßmacher, zur Zerstreuung und
Erheiterung des Herrschers an den Hof geholt worden sind, bestimmend gewesen,
ist im Laufe der Zeit echter Schwachsinn eine immer seltener geforderte
Eigenschaft - die Narrheit des Hofnarren wird zu einer Rolle:
"Ursprünglich schwachsinnige, verkrüppelte Gestalten oder Zwerge [...]
entwickelte sich der höf. Narr im Laufe der Zeit zum listig-durchtriebenen
Schalk [...]." (Bebermeier, S. 593) Diese Schalksnarren, die mit wachsendem
Anspruch an das intellektuelle Niveau zunehmend aus höheren sozialen Schichten
stammen, übernehmen die Merkmale der »natürlichen« Narren. Sie zeichnen sich aus
durch ihre Schlagfertigkeit, ihren Witz und Einfallsreichtum, und halten als
Akrobaten, Schauspieler, Tänzer und Musikanten auf vielfältige Weise ihren
Herrscher bei Laune. Das entscheidende Konstituens des Hofnarrentums ist jedoch
die Narrenfreiheit, die sie am Hofe genießen: als Morosophen, als Weise unter
der Narrenkappe, erfreuen sie sich der ungestraften Freiheit zu Kritik an dem
Höherstehenden. Die Wahrheit des Narren kann toleriert werden, weil sie sich mit
der Narrheit maskiert, denn der Anschein der Dummheit ermöglicht es dem
Herrscher, seine Lehren aus der sonst unausgesprochenen Wahrheit zu ziehen, ohne
sich beleidigt zu fühlen.
Ist seine Stellung mit der der Maler, Dichter und Musiker am Hofe zwar
vergleichbar, genießt er doch im ständigen Nebeneinander von Herrschaft und
Anarchie eine Sonderstellung, die sich im Bild des Narren als Gegen-Bild des
Herrschers manifestiert:
"Als lebende Karikatur und verkehrtes Spiegelbild des Herrschers spielte der
Narr bei Hofe die Rolle eines inversen Gegenkönigs des Spotts, der in seiner
Eigenschaft als 'grotesker Doppelgänger, Zerrbild, Vexierbild, verkehrtes Bild
der Macht' und als Prinz der Zoten öffentlich seine lächerliche Regentschaft
über das Weltreich der Narrheit ausübte." (Kuper, S. 114)
Das Verhältnis Narr-Herrscher wird demnach auch im äußeren Erscheinungsbild
sichtbar. Den Insignien der Macht, Krone, Zepter und Reichsapfel entsprechen die
typischen Narrenmerkmale Gugel, Marotte und die Glaskugel oder Schweinsblase als
Symbol der Nichtigkeit alles Irdischen.
Dem Herrscher dient der Narr also als Gegenstück seiner Selbst, der als
personifiziertes Spiegelbild zu seiner besseren Erkenntnis, nicht zuletzt der
Erkenntnis der vanitas beiträgt.
Aus dieser Gegenposition des Narren zum Herrscher entwickelt sich jedoch eine
veränderte Auffassung von seiner Funktion, seine Rolle bekommt einen stärker
politischen Charakter, da er immer mehr zum Berater und Informant des Herrschers
wird. Und mit wachsendem Einfluß hört der Narr auf, die Gegenmacht zu ihm zu
repräsentieren.
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