Franz Kafka schrieb einmal in einem Tagebucheintrag oder einem Brief sinngemäß, er könne nur voller Hass und mit bösem Blick auf die Soldaten des ersten Weltkriegs unter seinem Fenster schauen, gleichgültig auf welcher Seite sie stünden. Das scheint eine Verweigerung jeder nüchternen Auseinandersetzung mit Fragen massiver politischer Konflikte und mit Krieg und Frieden zu sein. Ich hatte den kurzen Satz für mich persönlich so empfunden, dass er das Thema perfekt auf den Punkt bringt, daher ist er mir so im Gedächtnis geblieben. Es geht mir mit anderen Worten, bis auf den Unterschied, dass ich die Soldaten nur im Fernsehen und der Zeitung sehe statt vor dem eigenen Fenster, ebenso wie Kafka.
Ich kann auch nicht behaupten, dass mir Menschen, die in internationalen Ausschüssen zur Regulierung von Kriegshandlungen ihre Arbeit tun, besonderen Respekt einflößen würden. Dabei unterstelle ich insgeheim, es mangele jemandem, der sich durch die Herbeiführung von Ordnung und Spielregeln in einem Krieg grundsätzlich mit seiner Notwendigkeit und Existenz einverstanden erklärt, an der notwendigen Leidenschaft für den Frieden. Das ist natürlich sehr ungerecht, da ich doch nichts wirklich über die Leidenschaften dieser Leute weiß, ich sie möglicherweise entschieden unterschätze und sie einem Beruf nachgehen, der immerhin zum Ziel hat, moralischen Druck auf potentielle Kriegsgegner auszuüben, Mittel nicht zu verwenden, die in einem Krieg 100 Tote mehr bringen als ihr Nichtgebrauch. Ihre Arbeit hätte also 100 Tote verhindert, der Hass hinter der Fensterscheibe natürlich keinen. Regelmäßige Arbeit an einer Sache bringt wohl auch zwangsläufig eine Klärung des eigenen Standpunktes. Der Hass findet dagegen überall Futter, auch in Widersprüchen. Links sind Lügen und Vorwände, rechts Folterkammern und Willkür, der Name von Gerechtigkeit und Freiheit wird unauflöslich mit Geschäft und Macht vermengt, Dummheit und Bestechlichkeit will ihre eigene Unterdrückung verteidigen. In diesem Dickicht ist es leicht, zu kapitulieren und alles mit einem Teppich aus Verachtung zu überziehen.
Die internationale Ächtung von Napalm gehört zu den Ergebnissen jener Kriegsregulierungsausschüsse. Um diese Leistung besonders sinnfällig zu machen, wird gewöhnlich die Zusammensetzung und Wirkung dieser Waffe besonders plastisch beschrieben. Napalm besteht danach im wesentlichen aus einem Gemisch von Benzin und Styropor sowie geringeren Zusätzen verschiedener weiterer Chemikalien. Die Explosion einer Napalm-Bombe sorgt für eine großflächige Streuung und Entzündung des Materials. Beim Verbrennen des Gemisches wird eine Temperatur von 2000 Grad erreicht. Neben den Opfern, die sofort vollständig verbrennen, erleiden diejenigen, die nur von geringen Mengen getroffen werden, schwere Hautverbrennungen. Die Schmerzen dauern wochenlang an; durch die nachwachsenden verschmorten Nervenenden auch dann noch, wenn der Heilungsprozess einsetzt. Usw.
Wie nun offenkundig geworden ist, war der Erfolg dieser Ächtung von Napalm äußerst mäßig. Vom amerikanischen Militär wurde Napalm im Golfkrieg 2003 dennoch verwendet. Die einzige Wirkung des moralischen Drucks dieses Verbots bestand darin, dass diese Tatsache lange von amerikanischer Seite geleugnet wurde. Nachdem die Beweise erdrückend wurden, platzte es nun aus einem amerikanischen General heraus, das sei doch egal, es gäbe im Krieg ohnehin keine humane Art des Tötens. Das schien mir eine Äußerung zu sein, die mit der Kafkas durchaus verwandt sein könnte, wenn auch gleichsam aus einer anderen Himmelsrichtung gesprochen. Statt sie für zynisch zu halten, was eigentlich auch naheliegend ist, könnte man sie auch so verstehen, dass sie voller Abscheu den Zynismus der Waffenächtungsbürokraten anprangert, die den Krieg in eine einigermaßen humane Angelegenheit zu verwandeln glauben, indem sie ein paar Regeln und Verbote einführen. Des Generals Botschaft wäre dann, dass es lächerlich bis menschenverachtend sei, sich der Illusion hinzugeben, es gäbe tatsächlich den Unterschied zwischen schmutzigen und sauberen Bomben.
Diesen Spekulationen, was in seinem Kopf vorgehen könnte, gab ich mich allerdings nur kurze Zeit hin. Zuletzt habe ich mich doch entschlossen, die Arbeit der Waffenächter in jeden Fall zu würdigen, zumal ich für mich keinen Widerspruch empfinden kann zwischen der amtlichen Ablehnung einer bestimmten Waffe und dem Krieg als solchem und seiner allseitigen Betreiber. Problematisch wird es erst, wenn der Krieg das einzige Mittel zu sein scheint, Schlimmeres zu verhindern, was ein anderes und ungleich schwierigeres Thema ist.
Aber ich sage das alles nur in einem kurzen Anfall von Ruhe und Nüchternheit. Grundsätzlich ist es für mich sowohl durch emotionale Unausweichlichkeit und den Zwang der Persönlichkeit als auch durch Beschluss ohne Begründung und Begründungswilligkeit ausgemachte Sache, dass ich doch einfach nur Kafkas Empfindungen teilen kann.
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