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Baumhaus schrieb am 30.7. 2009 um 20:12:50 Uhr über

Nachtoderfahrung

Als sie gestorben war und ich die Menschen um mich herum in Tränen und lautes Schluchzen ausbrechen sah, dachte ich bei mir: Warum brichst du selbst denn nicht in Tränen und lautes Schluchzen aus? Es wäre der Situation doch mehr als angemessen, ja, es wäre beinahe Verpflichtung. Sieh doch, wie sie sich in den Armen liegen, wie sie um Fassung ringen. Wie sie erschlagen sind von der großen Ungerechtigkeit. Die junge Frau ist gestorben, sie, ausgerechnet sie, die so großen Grund zur Hoffnung auf ein besseres Leben hatte.

In der Tat glaube ich bis heute, daß man es mir übel genommen hat, so ohne Regung und Rührung dazustehen, während die ganze Welt zusammen zu stürzen schien. Daß man mich als kalt und abweisend empfindet, als jemand, der nicht fühlt.

Ich mied es, ihr Grab zu besuchen. Während die anderen in den ersten Wochen nach der Beerdigung regelmäßig hingingen und lange davor standen, weinten und den Kopf schüttelten, mied ich diesen Ort, soweit es möglich war.

Mißtrauen strömt mir nun von ihnen entgegen. Ich habe mich entfremdet, habe gezeigt, daß ich nicht zu ihnen gehöre, weil ich scheinbar nicht mit ihnen litt. Wie litten und weinten sie auch noch später, wie tief hatte sie dieses Ereignis geprägt! Aber ich schien außen vor. Der Sonderling, der seinen Weg geht, beharrlich und doch kühl wie ein Fischlein.

Vielleicht ist es das, was mich zu der Auffassung brachte, nur in der Absonderung könne es Heil geben: Die Nachtoderfahrung.


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