Der Nachbar ist derjenige unter unseren Mitmenschen, zu dem wir kein so gutes Verhältnis haben, aber ihm nicht ausweichen können. Er begegnet uns jeden Tag im Flur, am Briefkasten, im Keller. Sein Zigarrenqualm qualmt von seinem Balkon in unser Wohnzimmer, seine Volksmusik dröhnt mit 200 Watt in unser Schlafzimmer. Er nervt. Es gibt auch Arbeitskollegen, denen wir nicht ausweichen können, die Zigarren rauchen oder Volksmusik hören. Aber bei ihnen gibt es ein ausgleichendes Element: die Arbeit - gemeinsame Aufgaben und Interessen. Der Volksmusik hörende Kollege kann bei der Arbeit ein idealer Partner sein, mit dem es nur so flutscht, und die letzte Scheissarbeit sogar noch Spaß macht, der Zigarrenraucher ein prima Genosse im Kampf gegen den Ausbeuter, der einen deckt, wenn man zu spät kommt oder mal früher abhauen muß und mit einem zusammen unerschütterlich auf Streikposten steht. Da raucht man sogar eine von seinen stinkenden Zigarren mit, weil man ihn so dufte findet. Das alles gibt es beim Nachbarn nicht. Keine Aufgaben, keine Interessen, die es ermöglichen würden, über Volksmusik und den Qualm der Zigarre hinwegzusehen, zu hören oder zu riechen.
»Schicksal, wohin man auch blickt !« (Helmut Mischurke, Schmalkalden)
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