Er ging auf unsere Schule, war etwas älter als ich. Ich hatte ihn schon bemerkt, aber er war immer von so vielen Freundinnen und Freunden umringt, nie hatten wir miteinander zu tun.
Und dann eines Tages trafen wir uns auf dem Bahnhof, stiegen in den selben Zug ein, setzten uns zusammen in ein Abteil. Obwohl eine längere Fahrt, er in eine Großstadt um dort sein Medizinstudium zu beginnen und ich um meinen Freund zu besuchen, wurde es nie langweilig. Es war eine dieser Unterhaltungen, die keine Pause machen, weil beide gerne erzählen und gerne einander zuhören. Er war lustig und unterhalsam, aber er war auch sensibel und interessant, viel mehr als ich gedacht hatte.
Wir trennten uns mit einem Lachen. Für mich folgte danach ein schönes Wochenende mit meinem Freund, er hatte einige Überraschungen vorbereitet.
Kurze Zeit später hörte ich, das M. sich umgebracht hatte. Das verstand ich nicht, konnte nicht glauben, das es derselbe M. sein sollte. Ich hätte es vielleicht aber vergessen, wenn ich nicht bei einer Feier seine Mutter getroffen hätte. Sie zog mich ein wenig zur Seite und gab mir einen großen Umschlag. In dem Umschlag war ein Foto von mir, auf dem Schulhof stehend, zu einem Zeitpunkt, als ich etwa 12 Jahre alt war. Seine Mutter sagte, das Foto hätte all die Jahre über seinem Schreibtisch gehangen, und sie wolle es mir nun geben.
Ich verstehe die Mutter - baer ich wünschte sie hätte es nicht getan. Nun ist es zu einem unvergeßbaren Engramm geworden, das hatte die Mutter wohl auch gehofft.
Bis heute verstehe ich M. nicht. Ich habe zwei Selbstmorddroh-Kanditaten erlebt, sehr intensiv, einen mit fuchtelnder Waffe vor meinem Gesicht, beide haben es nicht getan.
Und M. war so leise, so unwirklich, so »das kann doch gar nicht wahr sein«. Und doch, er ist tot, richtig tot.
Und ich versteh es einfach nicht.
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