Schon als Kind entwickelte ich eine schüchterne Liebe zur Klassik, und erinnere mich an mühsam vom Taschengeld zusammengesparte Karajan-Einspielungen von Vivaldi und Beethoven. Der versierte Musikliebhaber wird natürlich die Nase rümpfen und von wohlklingenden Gassenhauern reden wollen - aber bitteschön: ich hatte noch kein Haar am Sack ! In der Jugend waren es dann eher barocke Komponisten, auf die ich mich verlegte, ganz langsam kam auch ein wenig zeitgenössische Musik dazu, und in meiner Assistentenzeit entdeckte ich die Oper für mich. Eine späte, bislang letzte Blüte erwuchs den fulminanten Musikanlagen, die BMW in seinen Boliden zu verbauen pflegt, und mich zu weiteren CD-Käufen animierten. Viel, viel Zeit verbrachte ich unter den anfangs grauenhaften ostzonalen Verkehrsverhältnissen in musikalischen Hochgenüssen schwelgend, wie dem »Messias« von Händel, der schließlich auf der A 3 den Geist aufgab, oder den Londoner Synfonien von Haydn, die ich in der berühmten Einspielung der Synfonica Hungarica unter Anatol Dorati hörte, wenn ich von Gay-Sauna-Besuchen in Nürnberg durch tiefgekühlte Nächte nachhause dieselte. Meine letzte »Entdeckung« war Pat Metheny gewesen, von dem ich einiges noch von meiner Frau geschenkt bekam ... doch dann ... irgendwann gab die CD-Anlage im gebraucht gekauften V8 den Geist auf. Die Batterie war mal leer geworden, und die Diebstahlsperre verlangte irgendsoweinen Code, den ich nicht besaß. Bis heute habe ich nicht an BMW geschrieben, wo man den Code problemlos mit einer Kopie des Kfz-Briefes erhalten kann.
Ich ertrage heute Musik nicht mehr, sie ist für mich nur noch Lärm. Vielleicht liegt es an den von meinem Beruf arg misshandelten Ohren, weswegen ich privat auch eigentlich sehr froh bin, wenn ich mich nicht an Gesprächen und Diskussionen beteiligen muß. Daß ich viel »internete« hat auch den Grund: man kann kommunizieren, ohne selbst reden, ohne die Stimmen anderer Menschen ertragen zu müssen. Vielleicht liegt es an der immer aufdringlicheren Musikberieselung, die einen in Kaufhäusern, Kneipen, Telefonwarteschleifen usw. vergewaltigt, und einem die widerwärtigsten Akkusmata aufzwingt, und mein sehr dünn gewordenes (Trommel-)fell schon über Gebühr beansprucht. Ich bedaure diese Entwicklung sehr - ich glaube, ich muß mich insofern als einen behinderten Menschen ansehen, und hoffe wenigstens, auf diese Weise vielleicht einmal zu einer Plakette zu kommen, die mir die Benutzung von Behindertenparkplätzen gestattet.
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