Auf dem Bahnsteig gegenüber fährt ein Zug nach Kopenhagen. Erstaunlich, daß einer nach München und einer nach Kopenhagen fährt. Meine Tasche kurzentschlossen höher als sonst hebend, gehe ich hinüber. München aus dem IC anrufen, kann leider nicht kommen, fühle mich überhaupt nicht wohl. Akt der Befreiung, Gefühle von Freiheit. Ich bin Sabine davongelaufen. Ich brauche nicht nach München, langweilig-schöne Männer und Frauen unterrichten.
Die Normalität der Fahrt raubt mir die Freiheit. In Kopenhagen angekommen, ist sie wieder da. Ich gehe ins Museum. Habe sonst nichts vor, kenne mich nicht aus. Museen vermitteln einen netten Eindruck einer Stadt. Sabine im Kopf. Ob ich sie anrufen soll? Sie wird mich nicht vermissen; ich bin drei Tage in München. Eine blonde Frau läßt sich von ihrer blonden Tochter durch die Ausstellung führen. Ob ein Museum für Kinder genauso eine andere Welt ist, wie für Erwachsene? Sie ist so alt wie Lisa jetzt. Lisa. Ist mein Kind und doch nicht meins. Ist gut so. Dänisch erklärt die Mutter die Objekte. Alles kann angefaßt werden. Nichts zu hoch für die Kleinen. Ein freundliches Museum.
In der Cafeteria sitzen wir zu dritt allein. Ich gehe an den Tisch, will nicht allein sitzen, sie sagt ja, die Kleine schläft. Nein, ich bin nicht das erste Mal hier. Aber ich weiß trotzdem nicht, wohin. Ob ich die Tochter mal halten könnte. Sie schläft weiter. Die Mutter geht auf die Toilette. Der warme Kindergeruch des Mädchens erzeugt ein tiefes Wohlgefühl. Kann mich kaum sattriechen bis die Mutter wiederkommt. Mareike und die Kleine heißt Lena. Ich habe auch einen schönen Namen, sagt sie. Sagen alle. Kann ich trotzdem gut hören. Mein Englisch ist immer noch gut genug.
Erzähle von Sabine, der Auseinandersetzung, meiner Flucht nach Kopenhagen. Sie ist geschmeichelt, ob ich auch nach Turin oder Brüssel gefahren wäre? Ja, Nein, ich weiß es nicht. Kopenhagen war schon richtig.
Auf dem Weg zu ihr trage ich Lena. Ihr Mann, auf einer norwegischen Bohrinsel, fast immer weg. Das Kind als Bindeglied. Einmal hat sie ihn besuchen können, aber das war nicht ihr Mann, dort. Sie wollte gleich wieder weg. Männer können so anders sein. Wir sind angekommen. Eine Wohnung in einem Dreifamilienhaus. Fast groß, ziemlich neu, friedlich und hell. Lena wacht auf, als der Schlüssel ins Schloß geht. Will zur Mutter, ich habe Zeit mich in der Wohnung umzusehen. Traue mich nicht richtig, kann nicht so neugierig sein wie ich will. Ja, ich habe Hunger. In der Küche, alles ist so, daß ich nicht suchen muß, bin ich zu Hause. Sogar richtiges Brot und kein bißchen fader Geschmack im Mund.
Lena schläft wieder, wir sitzen immer noch. Tee und Rossini, Streichquartette. Wir haben die beiden aus unserem Quartett gestrichen. Irgendwie und ohne Absicht. Sie waren weg. Bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, genieße ich die Situation. Nein, ich habe nichts dagegen hier zu bleiben. Meine Sachen im Schließfach. Brauche nicht anzurufen. Kann ganz hier sein. Kann ich tatsächlich. Sie ist genauso warm und riecht ein wenig wie ihr Kind.
Sattes Wohlgefühl, vermischt mit Vertrautheit. Kein Kennenlernquiz. Die Spannung war garnicht erst da.
Im Bett weint sie. Zuerst leise, dann schüttelt es ihren Körper. Ich tröste gerne, daß kann ich gut. Wenn ich nicht den Schaden angerichtet habe. Sie schläft in meinem Arm, der auch bald. Ich beaobchte sie lange. Sorgenfreier Schlaf, als ich den Arm wegnehmen will, dreht sie sich zu mir. Fester Halt. Ich schlafe ganz ein.
Werde wach, als sie wieder ins Bett kommt. Lena hatte einen Traum, dänisch, sie hat kalte Füße. Ist nicht mehr müde. Erzählt, englisch, dänisch, cosy. Die Wohnung, vom Bohrinselgehalt gekauft, mag sie nicht mehr sehen. Ist schuld am Alleinsein. Oder vielleicht doch nicht? Männer müssen meistens Vorhaben vorhaben.
Ihre Füße werden warm, ihre Nägel sind lang. Sie hat sich frei erzählt, kommt näher. Ich fordere und fördere. Bin immer wieder von der Weichheit der Lippen erstaunt. Sie ist nicht schmallippig geworden, hoffe, daß es so bleibt. Versinke in ihrem Alleinsein, glücklich befriedet, befriedigt.
Lena will wissen ob ich bleibe. Mareike sagt eine Weile. Wir gehen einkaufen. Lachen alle Leute an. Ich bin Arvid, nein kein Verwandter, Arvid eben. Sie macht mich stolz. Lena läßt nicht los. Sie zeigt mir ein paar Stofftiere, ich bin wirklich interessiert. Am Springbrunnen springt sie mir naß in den Arm, rechts hat sich Mareike eingehakt. Familiengefühl ohne Zeit. Die Sprache fast egal, wir wollen uns verstehen. Das Eis ist immer noch süßer als bei uns, der Tag schnell vorbei. Haben es nicht geschafft, das Schließfach aufzusuchen. Die Pullover ihres Mannes passen gut. Sie kocht, Lena und ich hängen die Wäsche auf. Soll Lena vorlesen, Dänisch ist lustig, Lena müde. Nach dem Essen, ich trockne die Gläser ganz blank, will Lena schlafen. Ich trage sie ins Bett, rieche ihre Wärme und streichle den Schlaf herbei. Mareike stand die ganze Zeit in der Tür; ich habe es nicht gemerkt.
Vor dem Kamin taut die Seele richtig auf, Lou Reed assistiert. Ich genieße wieder diese Frau, die sich mir zueignet und kann mich ohne Denken hingeben. Bin zu Hause. Wir schlafen miteinander, wie schon immer. Mich erschreckt der Gedanke an ein Kind, frage nicht, will es nicht wissen müssen. Schlafen die Erschöpfung aus den Körpern, Lena weckt uns leise. Schläft zwischen uns wieder ein, verströmt ihren Wohlgeruch.
Am Bahnhof weint die Kleine ein bißchen, wie um nichts sagen zu müssen. Mareike sagt nichts. Ich wollte keine Telephonnummer, will jetzt doch, aber traue mich nicht. Wünsche hilflos alles Gute, kann nicht schweigen, leider.
Sabine ist auf einmal wieder da, nimmt sich viel Platz im Kopf und will Erklärungen. Habe nicht zu erklären, ist alles klar. Hannover. Bin nicht anders als vorher, aber doch anders. Sie merkt es. Sagt nichts, wir sind ganz nah. Du riechst gut, sagt sie, sie hat sich einen Zopf gemacht. Ich erzähle nicht von Bohrinseln.
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