Muezzin

Beim Freitagsgebet am Nachmittag legen die Muezzin noch einen Gang zu, und für gut zehn Minuten legt sich eine Glocke aus hingebungsvoll intonierten Vierteltönen über die Stadt. Sogar die allgegenwaertigen Kassettenrekorder und CD - Player, die dich von Laden zu Laden mit einem irgendwann ununterscheidbaren west-östlichen Quodlibet begleiten, scheinen für eine Weile in Andacht zu verstummen, um nach dem letzten Allahu akbar wieder in ihren arabesken Rhythmus einer endlos gödelnden Melodie zu verfallen. İch habe noch nie eine Stadt mit so vielen Musikalienhandlungen gesehen. Solange es in İstanbul immer noch ebenso leicht ist, eine Kurzhalslaute oder eine Rohrflöte zu kaufen, wie ein Mobiltelefon oder einen Escortboy, solange bin ich um das Leben in dieser Stadt nicht bange - da mag die Religion ruhig fünf Mal am Tag ihr elektronikverstaerktes Haupt erheben, sie ist eine tragende Saeule dieser lebendigen Musik.