Ein morphisches Feld oder morphogenetisches Feld ist nach Ansicht des britischen Biologen Rupert Sheldrake ein nicht näher definiertes biologisches (und potentiell gesellschaftliches) Feld, das eine „formbildende Verursachung“ für die Entwicklung von Strukturen sein soll. Aus wissenschaftlicher Sicht wird Sheldrakes Arbeit als pseudowissenschaftlich eingestuft.
Unabhängig von Sheldrake gibt es in der Entwicklungsbiologie den Begriff morphogenetisches Feld.
Ebenso setzen sich einzelne Kulturwissenschaftler mit morphischen Feldern auseinander, um für sie unerklärliche Phänomene wie z. B. die Gebärden betender Gläubiger zu deuten oder zu begründen, was Menschen veranlasst einen bestimmten Ort aufzusuchen.
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1 Ausgangspunkt
2 Theorie
3 Begründungen
3.1 Termiten-Experiment
4 Bewertung
5 Weitere Arbeit
6 Rezeption in den Kulturwissenschaften
7 Weblinks
Ausgangspunkt [Bearbeiten]Rupert Sheldrake (* 1942) ist in Pflanzenphysiologie an der Cambridge University und in Philosophie an der Harvard University ausgebildet. Er interessierte sich dafür, wie Pflanzen und auch alle anderen Lebewesen ihre Form erhielten. Eine einzelne Zelle spaltet sich in anfangs identische Kopien, die mit jeder weiteren Zellteilung spezifische Eigenschaften annehmen; einige Zellen werden zu Blättern, andere zu Stängeln. Sobald diese Veränderungen stattgefunden haben, gibt es keinen Rückweg mehr. Beispielsweise können Blätter nicht wieder zu Stängeln werden.
Noch in den 1920ern hat man angenommen, dass die Regulation der Entwicklung eines Embryos (siehe Driesch) sowie die Gliedmaßenregeneration die Existenz unbekannter »morphogenetischer Felder« impliziere. Die spätere Entdeckung der DNA, die Bestandteile des Organismus »kodiert«, schien eine Erklärung anzubieten. Andererseits weiß man, dass die DNA in nahezu allen Zellen des Organismus identisch ist. Somit blieb die Entstehung der Gestalt eines Organismus unklar. Man musste ja erklären, wie die Zellen, die gleiche DNA besitzen, in der Lage sind, zu verschiedenen Körperteilen beizutragen und sich auszudifferenzieren. Man vermutete zwar schon, dass die Informationen für die Entwicklung der Gestalt in der DNA codiert waren, aber die bei der Entwicklung ablaufenden Prozesse blieben unbekannt. Zu Beginn der 1990er Jahre fand Christiane Nüsslein-Volhard Morphogene, die sie für Musterbildung verantwortlich machte, und klärte ihre Funktion.
Theorie [Bearbeiten]Sheldrake entwickelte stattdessen eine völlig neue Theorie, um dieses Problem zu erklären; seine Theorie behauptete die Existenz eines universellen Feldes, welches das „Grundmuster“ eines Gegenstands codieren soll. Er nahm zunächst bezug auf den Begriff des morphogenetischen bzw. Entwicklungsfelder, den er im Rahmen seiner Hypothese umformulierte, erweiterte und letztlich vollständig veränderte. Nach Sheldrakes Ansicht ist die Existenz einer Form schon ausreichend dafür, dass es für diese Form leichter sei, an irgendeinem anderen Ort zu existieren. Dies nannte Sheldrake 1973 ein morphisches Feld; nach dieser Sichtweise bestünde die Natur möglicherweise nicht aus Naturgesetzen, sondern aus Gewohnheiten.
Im Gegensatz zum elektromagnetischen Feld als „energetischen Typus der Verursachung“ soll es keine Energie zur Verfügung stellen. Ursprünglich diente die Hypothese eines morphischen Feldes nur als Erklärungsmodell für das genaue Aussehen eines Lebewesens (als Teil seiner Epigenetik) und sollte am Verhalten und der Koordination mit anderen Wesen beteiligt sein. Dieses morphogenetische Feld soll eine Kraft zur Verfügung stellen, welche die Entwicklung eines Organismus steuert, so dass er eine Form annimmt, die anderen Exemplaren seiner Spezies ähnelt. Der Begriff »Morphogenese« stammt von den griechischen Wörtern morphe (Form) und genesis (Entstehen, Werden). Ein Rückkoppelungsmechanismus namens morphische Resonanz soll sowohl zu Veränderungen an diesem Muster führen, als auch erklären, warum Menschen während ihrer Entwicklung nicht die Form von Pflanzen annehmen.
Begründungen [Bearbeiten]Eines von Sheldrakes Beweismitteln war die Arbeit des Forschers William McDougall von der Harvard Universität, der in den 1920er Jahren die Fähigkeit von Ratten untersucht hatte, aus Labyrinthen herauszufinden. Er hatte herausgefunden, dass die Nachkommen von Ratten, die das Labyrinth kannten, schneller hindurch fanden; zuerst brauchten die Ratten 165 Fehlversuche, bevor sie jedes Mal ohne Fehler durch das Labyrinth fanden, aber nach einigen Generationen waren es nur noch 20 Fehlversuche. McDougall glaubte, dass der Grund dafür in einer Art von Lamarckschem Evolutionsprozess lag. Sheldrake hingegen sah darin den Beweis für die Existenz eines Feldes. Die Ratten, welche das Labyrinth zuerst durchliefen, schufen nach seiner Ansicht ein Lernmuster innerhalb eines »Rattenfeldes«, auf das die Nachkommen dieser Ratten zurückgreifen konnten.
Das andere Beweismittel kam aus der Chemie, in der sich ein anderes noch ungeklärtes »Lernverhalten« bei der Züchtung von Kristallen abspielte. Wenn eine neue chemische Verbindung erstmals hergestellt wird, geht der Kristallisationsprozess langsam vonstatten; wenn andere Forscher das Experiment wiederholen, stellen sie fest, dass der Prozess schneller abläuft. Chemiker schreiben dies der gestiegenen Qualität späterer Experimente zu; die Fehler der früheren Versuche waren schon dokumentiert und wurden nicht erneut begangen. Sheldrake hingegen glaubte, dass dies ein weiteres Beispiel für ein morphogenetisches Feld sei; die Kristalle, die bei den ersten Versuchen gezüchtet worden waren, hätten ein Feld erschaffen, auf das die Kristalle der später durchgeführten Experimente zurückgegriffen hätten.
Seit damals wurde eine Reihe von anderen Beispielen hinzugefügt; sowohl das Verhalten von Affen in Japan beim Putzen ihrer Nahrung als auch die Fähigkeit von europäischen Vögeln, zu lernen, wie man Milchflaschen öffnet, wurden als Beispiele einer »nichtlokalen« Kraft bei Verhalten und Lernfähigkeit angeboten.
Obwohl Sheldrake in den 1970ern über diese Theorie gesprochen hatte und damit einigermaßen bekannt geworden war, fand die »große Enthüllung« 1981 statt, als seine Theorie in Buchform unter dem Titel A New Science of Life veröffentlicht wurde (deutsch: »Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes«). Interessanterweise bietet das Buch keine Beispiele zu dem (oben beschriebenen) Sachverhalt an, der Sheldrake überhaupt auf seine Theorie brachte: Stattdessen wurde die Theorie als Erklärung für die Entwicklung von Pflanzen und Tieren angeboten, für die sie jedoch keine Beweise vorlegte. 1988 schrieb er ein weiteres Buch unter dem Titel Presence of the Past: A Field Theory of Life.
Termiten-Experiment [Bearbeiten]Morphische Felder werden von Sheldrake postuliert, um die Ganzheitlichkeit selbstorganisierender Systeme zu erklären. Sheldrake leitet aus seinen Beobachtungen ab, dass man diese nicht allein aus der Summe ihrer Bestandteile heraus oder aus deren Wechselwirkungen erklären kann. Das von Sheldrake genannte Gedankenmodell, dass Formen von selbstorganisierenden Systemen durch morphische Felder ausgeprägt werden, ordnet demnach Atome, Moleküle, Kristalle, Zellen, Gewebe, Organe, Organismen, soziale Gemeinschaften, Ökosysteme, Planetensysteme, Sonnensysteme und Galaxien. Mit anderen Worten, sie ordnen Systeme auf allen Stufen der Komplexität und sind die Grundlage für die Ganzheit, die wir in der Natur beobachten, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Dies ist eine erste, vereinfachte Definition für morphische Felder.
Als populärwissenschaftlichen Aufhänger seiner Theorien verwendet Sheldrake häufig Hinweise auf ein angebliches Experiment, das der südafrikanische Naturforscher Eugéne Marais in den 1920er Jahren durchgeführt haben soll: In einen Termitenbau wird ein durchgehender, senkrechter Spalt von mehreren Zentimetern Breite geschlagen, danach wird in dessen Mitte eine über die Ränder hinausragende Stahlplatte fixiert, so dass die beiden Hälften des Baus voneinander getrennt, die Schnittflächen aber noch offen sind. Dies habe nun nicht verhindern können, dass die Termiten auf beiden Seiten der Platte bei der Reparatur des Schnittes ähnliche Bögen errichten, die sich - wäre die Platte nicht - exakt treffen würden. Marais berichtet in seiner Schrift The Soul of the White Ant zwar über diese angebliche Beobachtung, macht aber keinerlei spezifische Angaben etwa über die Breite des Schnittes etc. Detaillierte Angaben, wie exakt sich die Konstruktionen tatsächlich treffen, liegen nicht vor. Sheldrake gibt freimütig zu, das Experiment sei nie wiederholt worden - Wie weit es jemals überhaupt durchgeführt wurde, erscheint aufgrund der unpräzisen Schilderungen Marais' höchst fraglich.
Eine weitere Beobachtung Marais', auf die Sheldrake häufiger rekurriert, nämlich das Einstellen jeglicher Tätigkeit des Termitenvolkes beim Tod der Königin, ist in der Tat nachweisbar. Die Wissenschaft führt dies heute in der Regel auf (messbare) Pheromonausscheidungen der Königin zurück. Einfache Belege für das Vorkommen solcher Ordnungen ohne genetische, quasi mechanische Implikation sind omnipräsente biologische Muster die dem goldenen Schnitt oder harmonischen Mustern folgen. Gemäß seiner Theorie der Formbildungsursachen ist in den morphischen Feldern ein Gedächtnis enthalten, das sie durch den Vorgang der morphischen Resonanz erworben haben. Danach hat jede Art von Dingen ein »kollektives Gedächtnis«.
Sheldrakes Kernaussage, in der er einige Ideen Marais aufgreift, ist die, dass es einen übergeordneten Plan geben müsse, nach dem die Termiten konstruieren. Da dieser gigantische Plan nicht in der kleinen Termite selbst sein könne, müsse er außerhalb zu suchen sein. Was Marais wie Sheldrake dabei übersehen, ist das Prinzip der bedingten Wahrscheinlichkeiten: Kleine Änderungen, die nach bestimmten Regeln verlaufen, führen in ihrer Addition zu einer hohen Komplexität, ohne dass ein Gesamtplan überhaupt vorliegen muss.
Bewertung [Bearbeiten]Sheldrakes Annahme der morphischen Felder wird als Pseudowissenschaft eingestuft, weil wesentliche Anforderungen der Wissenschaftlichkeit (Kriterien zur Falsifizierbarkeit, Verifizierbarkeit der Experimente) nicht eingehalten werden. Die Felder können derzeit nur als Hypothese bezeichnet werden, aus der jedoch keine naturwissenschaftliche Theorie hervorgegangen ist. Diverse Forschergruppen beschäftigen sich zwar durchaus ernsthaft mit einem angeblichen Phänomen eines »globalen Bewusstseins«, auch mit Gedankenübertragung etc. Ihre häufig nur minimal signifikanten, bisher noch nicht ausreichend überprüften und im Fall des globalen Bewusstseins kaum gesicherten Ergebnisse werden von Kritikern nicht als Beweise für die angebliche Existenz »morphischer Resonanz« anerkannt, jedoch von Sheldrakes Anhängern bereits als Beweise angesehen. Darüber hinaus setzen Forscher, die über die Existenz eines »globalen Bewusstseins« spekulieren, das Vorhandensein morphischer Felder nicht zwingend voraus. Die Gemeinschaft der Wissenschaftler ist generell skeptisch, wenn eine »Theorie von Allem« veröffentlicht wird.
Das gilt umso mehr, wenn eine solche Theorie nicht in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wird, sondern in einem Buch, das sich an Laien richtet. Ein weiterer Grund für Skepsis liegt vor, wenn der Autor seine Erkenntnisse zu einem Forschungsgebiet anbietet, in dem er keine direkte Erfahrung hat. Bei A New Science of Life waren alle drei Kriterien erfüllt, und das Buch wurde auf breiter Front zurückgewiesen. Sheldrake scheint im Laufe der Zeit zunehmend desillusioniert von der Reaktion aus der Welt der Wissenschaften zu sein, die er (beispielsweise auf seiner Webseite) heutzutage als eine engstirnige Bürokratie ablehnt.
In der New-Age-Szene jedoch wurde sein Werk berühmt; man fand es wegen seiner »ganzheitlichen« Weltsicht interessant, und man sah darin ein Beispiel dafür, wie ein »echter Wissenschaftler« von der Gemeinschaft der Wissenschaftler herabgesetzt wurde.
Seither hat sich Sheldrake von seiner Arbeit über morphogenetische Felder entfernt. Er hält es zwar immer noch für die Grundlage seiner Arbeit, aber seine Veröffentlichungen der letzten Zeit haben wenig damit zu tun.
Weitere Arbeit [Bearbeiten]Nachdem sein Interesse an etablierten Forschungseinrichtungen geschwunden war, veröffentlichte Sheldrake Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten (1994), in denen unter anderem der Beginn seiner Studie Der siebte Sinn der Tiere (1999) enthalten war. Im Jahr 2003 schrieb er in Der siebte Sinn des Menschen über eine Wahrnehmung, die von sehr vielen Menschen berichtet wird. Das Buch enthielt ein Experiment, bei dem die Versuchspersonen mit angelegten Augenbinden entscheiden mussten, ob sie von hinter ihnen sitzenden Personen angestarrt würden. Die Entscheidung, ob die hinten sitzende Person gerade die Versuchsperson mit der Augenbinde anschaute oder woanders hin blickte, wurde per Zufall ermittelt (Münzwurf oder Zufallszahlentabelle). Nach einem Signal in Form eines lauten Klickgeräuschs musste die Versuchsperson entscheiden, ob sie gerade angestarrt wurde. Falls die Versuchspersonen falsch geraten hatten und man ihnen das erzählte, rieten sie bei künftigen Versuchen seltener falsch. Nach zehntausenden von Einzelversuchen lag der Punktestand bei 60 Prozent, wenn die Versuchsperson angestarrt wurde (also über dem Zufallsergebnis), aber nur bei 50 Prozent, wenn sie nicht angestarrt wurde (was dem Zufallsergebnis entspricht). Dieses Ergebnis weist auf einen schwachen Sinn für das Angestarrtwerden hin, und auf keine Sinneswahrnehmung dafür, nicht angestarrt zu werden. Sheldrake behauptet, diese Experimente seien sehr oft und mit übereinstimmenden Ergebnissen in Schulen in Connecticut und Toronto sowie in einem Wissenschaftsmuseum in Amsterdam wiederholt worden.
Sheldrakes Experimente bleiben auch heutzutage genauso kontrovers wie seine Theorie. Neuerdings bittet er potentielle Experimentatoren, sein Anstarr-Experiment zu erweitern, indem sie einfach nur ein Formular auf seiner Webseite ausfüllen und auf diese Weise ihre Resultate einsenden. Er behauptet, auf diese Weise eine herausragende, breit angelegte Studie zu erhalten, die Menschen aus aller Welt und aus allen Gesellschaftsschichten umfasse. Kritiker weisen Sheldrake darauf hin, dass er auf diese Weise lediglich nutzlose Informationen von Leuten einsammele, die nicht die geringste Ahnung von der Durchführung kontrollierter Experimente haben. Darüber hinaus sei praktisch garantiert, dass auf Grund des Experimentatoreffekts nur erfolgreiche Resultate ausgewählt werden, weil es unwahrscheinlich sei, dass Menschen, die dieses Experiment durchführen, nicht daran glauben, dass es funktioniert.
Sheldrake beharrt darauf, dass dieser Skeptizismus nicht vom problematischen Charakter seiner Arbeit herrühre, sondern auf vorgefasste Meinungen zurückgehe, welche die Wissenschaftler ihm gegenüber hätten. Sein fundamentalistischer Ansatz zur wissenschaftlichen Methode basiere auf Darwins sorgfältigen Beobachtungen und entferne ihn von der Molekularbiologie und deren Konzentration auf die Funktionsweise von Genen, Enzymen, Proteinen und Zellen. Sein Ansatz sei eine Herausforderung an das mechanistische Paradigma, das die Biologie als eine Funktion von Chemie und Physik sähe. Der Materialismus des 19. Jahrhunderts habe teilweise zu Gentechnologie und Biotechnologie geführt, sich aber gleichzeitig von einem Verständnis des Bewusstseins entfernt, wonach seine Theorie über Felder strebe.
Kritiker interpretieren den Mangel an Vertrauen in Sheldrakes Theorien als das Ergebnis des Mangels überzeugender, experimenteller Beweise. Seit den 1970er Jahren, in denen Sheldrake seine Theorie erstmals vorgeschlagen hat, wurden außerdem enorme Fortschritte beim Verständnis der Frage gemacht, wie aus genetischem Material eine bestimmte Form entsteht. Andere Theorien werden daher gegenüber Sheldrakes bevorzugt, da sie die beobachteten Prozesse bei der Musterbildung besser beschreiben.
Rezeption in den Kulturwissenschaften [Bearbeiten]Unbeschadet der naturwissenschaftlichen Kritik an der Methodik Sheldrakes wurde seine Theorie der morphischen Felder von einzelnen Kulturwissenschaftlern im Sinne einer heuristischen Theorie rezipiert. Ihnen geht es nicht um die Frage naturwissenschaftlicher Verifizierbarkeit. Vielmehr dient ihnen die Theorie der morphischen Felder als Paradigma der Wahrnehmung, Beschreibung und Interpretation sozialer und kultureller Phänomene, die ihrer Meinung nach auf andere Weise bislang nicht konsistent erfasst werden konnten.
Der religionsphänomenologisch arbeitende Göttinger Praktische Theologe Manfred Josuttis etwa zieht die Theorie der morphischen Felder heran, um mit ihrer Hilfe ritualtheoretische und poimenische Phänomene zu beschreiben:
»Religiöse Praxis hat deswegen soviel mit Wiederholung zu tun, weil man auf diese Weise immer stärker nicht nur, wie es eine sozialpsychologische Betrachtung interpretieren würde, von der Bindekraft einer Gemeinschaft, sondern weil man von der formbildenden Kraft eines Feldes erfasst wird. Ein Mantra kann repetiert werden, ein Konfirmationsspruch soll das künftige Leben gestalten. Und religiöse Erfahrung wird in ihrer Breite und Intensität auch durch kumulative Aspekte bestimmt. Der Einfluss morphogenetischer Felder ist um so größer, je mehr die eigene Resonanz des Betroffenen und die Fremdresonanz vergangener und gegenwärtiger Formen zusammenwirken. In die individuelle Erfahrung fließen deshalb immer auch räumlich und zeitlich entfernte Erfahrungen ein. Dass in den religiösen Exerzitien immer wieder die Reinhaltung heiliger Formen, die genaue Reproduktion einzelner Gebärden und die Abgrenzung gegen andere Kultpraktiken angemahnt werden, bekäme auf diesem Hintergrund einen nicht gesetzlichen, sondern gesetzmäßigen Sinn.« (Manfred Josuttis, Heiligung des Lebens. Zur Wirkungslogik religiöser Erfahrung, Gütersloh 2004, ISBN 3-579-05421-X, 29.)
Vor diesem Hintergrund kann Josuttis auch die Seelsorge als Arbeit im morphischen Feld beschreiben:
»Seelsorge würde dann darin bestehen, das Kraftfeld des heiligen Geistes durch gestaltete morphische Resonanz so zu realisieren, dass schädigende Mächte beseitigt werden und heilende Ströme neue Strukturen schaffen.« (Manfred Josuttis, Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge, Gütersloh 2000, ISBN 3-579-02655-0, 39.)
Die islamische Psychologin Michaela M. Özelsel erblickt in der Theorie der morphischen Resonanz eine Möglichkeit zur Beschreibung der Differenz westlicher Psychologien zur Psychologie des Sufitums:
»Obwohl Jungs Konzept des 'Kollektiven Unbewussten' über Freuds individuellen Ansatz hinausgeht, ist es doch für den menschlichen Erfahrungsbereich konzipiert. Die Betrachtungsweise des Sufitums (Vahdet al-Vudschud) ist sehr viel umfassender: Sie beinhaltet zwar Jungs Konzept, geht aber über menschliche Erfahrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinaus. Zu den unbewussten Kräften gehören auch die der animalischen, vegetativen und anorganischen Seinsstufen, zusätzlich zu menschlichen, spirituellen und universalen Zuständen. Dieser Ansatz beschränkt sich also keineswegs auf Phantasien, Träume, Illusionen und frühe Formen gedanklicher Prozesse, sondern umfasst auch die organischen und psychospirituellen Verbindungen zwischen dem Menschen und der Natur - und damit die universale Wirklichkeit (al haqq).« (Michaela M. Özelsel, 40 Tage. Erfahrungsbericht einer traditionellen Derwischklausur, München 1993, ISBN 3-424-01191-6, 145f.)
Die Theorie der morphischen Felder wird darüber hinaus im Kontext der raumbezogenen Gesellschaftsanalyse (rural sociology) durch den US-amerikanischen Soziologen Michael Mayerfeld Bell rezipiert. Er geht davon aus, dass Personen, die dauerhaft an einem Ort präsent waren, diesem Ort ihren »Geist« (»Ghost of Place«) im Sinne einer »Atmosphäre« oder »Aura« hinterlassen und dadurch Handlungen, Gedanken und Intuitionen Dritter hervorrufen, die sich später an diesem Ort aufhalten. Gegen dieses Geist- bzw. Aura-Verständnis Bells hat der Darmstädter Ästhetik-Forscher Gernot Böhme geltend gemacht, dass sich atmosphärische Wahrnehmungen gerade nicht im Kontext persönlicher Vertrautheit, sondern eher als Differenzerfahrung bemerkbar machen.
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