Warum qualen Schüler andere Schüler? Sind Kinder grausam?
„Schwache“ machen in die Hose. Zum einen deshalb, weil Kinder in unterschiedlichen Stadien der Beschädigung in einem Internat eintreffen. Kinder kommen, weil sie selbst wollen, weil ihre Eltern der Meinung sind, dass sie dort die beste Schulausbildung bekommen, weil die Eltern mit ihren Kindern nicht mehr zurechtkommen. Oder Berufe haben, die ihnen ein normales Zusammenleben mit den Kindern nicht erlauben. Nicht umsonst steigt die Zahl der Bettnässer in den ersten beiden Internatsjahren oft an. Was die Position potenziell schwacher Kinder nicht gerade verbessert.
Mathilde Zeman, Leiterin des schulpsychologischen Dienstes des Stadtschulrates, hat hier einige Erfahrung: „Nicht jedes Kind ist für ein Internat geeignet. Viele verkraften die Trennung von den Eltern einfach nicht, reagieren mit Aggression oder mit Rückzug, werden zum Opfer oder zum Täter. Und andere halten es einfach nicht aus, andauernd mit denselben Schülern konfrontiert zu sein.“
Genau dieser Aspekt macht geschlossene Systeme zu einem möglichen Nährboden für Täter-Opfer-Situationen. „Später im Leben kann man so eine Situation verlassen, als Kind ist man gefangen“, sagt Zeman. Wer in einem Internat den Stempel „Opfer“ aufgedrückt bekommen hat, läuft 24 Stunden am Tag Gefahr, diese Rolle spielen zu müssen. Wer seinen Ruf als „starker Mann“ oder „starke Frau“ zu verteidigen hat, ist gezwungen, Täter zu bleiben.
Dagegen hilft nur eines: aufmerksame Erwachsene, die den Überblick behalten und eingreifen, um jedem Kind zu seinem Recht zu verhelfen. „Quälerei kommt nicht nur in Internaten vor. In der Odenwaldschule haben Jugendliche, so weit ich weiß, jüngere Schüler gequält, während ein Lehrer dabeistand und nicht eingriff. Das ist nicht nur pädagogisches Versagen, das ist ein pädagogisches Verbrechen. Obwohl, das Wort ,Pädagogik‘ kann man streichen. Das ist ein Verbrechen“, sagt Jan-Uwe Rogge. Den „Herrn der Fliegen“ hätt's gefreut. Er ist übrigens niemand anderer als der Teufel.
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