Der Klerus in der höfischen Gesellschaft
Der Hofgeistliche
I. Der Einfluss der Kirche auf die höfische Gesellschaft
Gewiss wurde in der traditionellen Mediavistik der tatsächliche Einfluss der Amtskirche auf die gehobenen sozialen Gruppen des Hochmittelalters häufig überschätzt. (1)
Insbesondere die etablierte Schicht der Ritterschaft macht spätestens ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts deutlich, dass sich der Adel in einem kräftigen emanzipatorischen »Aufwind« gegenüber den Regeln, Normen und Verboten der Amtskirche befand. (2) Man bedenke nur das seit 1178 immer wieder ausgesprochene Turnierverbot verschiedener Päpste (3), das tatsächlich nie hatte wirksam umgesetzt werden können.
Auch war der Adlige in der Spätstaufischen Epoche (ca. 1200 - ca. 1250) durchaus in der Lage, einmal einen päpstlichen Bann für gewisse Zeit zu verkraften, ohne dadurch in unüberwindliche psychische, geistliche oder soziale Schwierigkeiten zu geraten (siehe hierzu die Beispiele des Kaisers Friedrich II. (4) oder Heinrich I. von Anhalt. (5)
In keinem Fall aber sind Macht und Einfluss der - seit mehr als einem Jahrtausend gewachsenen Amtskirche einerseits, und eines, tief in allen Gesellschaftsschichten verwurzelten, und zum Teil in vorchristlichen Zeiten (6) zurückreichenden Volksglaubens, zu unterschätzen!
Vielmehr müssen wir es als gegeben hinnehmen, dass die Kirche im hohen Mittelalter eine ganz wesentliche, normengebende und - kontrollierende, gesellschaftliche Instanz war.
Selbstverständlich stürzte gerade die Kirche das gesellschaftliche voll etablierte Postulat von der »gottgegebenen Gesellschaftsordnung« (7) besonders nachdrücklich.
Gewisse Rechte des Klerus sind als traditionell verbürgt und geschützt zu betrachten. Wie der Anspruch auf Schutz durch die weltliche Obrigkeit (8) ein Recht auf Versorgung (z.B. durch Pfründe) und auf die Ausübung der geistlichen Ämter. (9) Leib, Leben und Freiheit der Kleriker galten als geschützt; Gefangennahme oder Mord konnten mit dem Tode geahndet werden, sofern es sich nicht um fahrende Kleriker (10) handelte.
Wir können davon ausgehen, dass nahezu jeder deutsche Adlige in irgendeiner Form der christlichen Religiosität verpflichtet war, also »geglaubt« hat. Gleichfalls wird er - auf die eine oder andere Weise - der Amtskirche, bzw. einem ihrer Teile, verbunden gewesen sein, auch wenn der direkte päpstliche Einfluss auf Deutschland in der Zeit von 1150 - 1250, phasenweise sehr gering gewesen sein mag.
Auch und gerade in diesem Zeitraum haben die durchschnittlichen deutschen Adligen - sei es nun aus religiöser Überzeugung, aus »Aberglauben«, oder aus politischem Kalkül heraus, immer wieder versucht, sich mit den für sie greifbaren Vertretern der Amtskirche gut zustellen und sie in verschiedenen Formen zu unterstützen (11) (Übergriffe gegen kirchliche Besitzungen oder Personen sind im Einzelfall zu beleuchten!).
Neben Klostergründungen, Landgaben, Reliquienschenkungen, Pilgerreisender Adliger, Teilnahmen an Kreuzzügen, vordergründig christliche Lebensweise uns so fort, ist an dieser Stelle das Phänomen zu erwähnen, dass sich der deutsche Hochadel, besonders im 12. und 13. Jahrhundert, bemüht hat, Heilige aus eigenen Reihen zu stellen. (12)
Als wichtig erscheint es mir, sich vor Augen zu führen, dass die Kirche in der spätstaufischen Zeit kaum existiert hat. Stellen wir fest: Durch den Investiturstreit (13), zahlreiche Papstschismen (14), verschiedene soziale und geistliche Bewegungen (wie die der Katharer und Waldenser, deren Ideale teilweise in der kirchlich sanktionierten Armuts- Bettelorden-bewegung (15) aufgegriffen werden mussten), hatte die Amtskirche ihre absolute Macht und Unantastbarkeit bis zur spätstaufischen Epoche verloren.
Wesentliche Aspekte ihres Status aber waren gesellschaftlich etabliert und dienten unter anderem dazu, althergebrachte Positionen, und damit auch ihren relativen Einfluss auf den Adel - bzw. die höfische Gesellschaft - zu sichern. Dazu gehört der beträchtliche Einfluss auf den altverankerten Volksglauben, das relative Bildungsmonopol (16), damit verbunden die Beherrschung der »Sieben freien Künste« (17) und eine recht hohe, ökonomische Machtposition. (18)
Von besonderer Bedeutung ist auch die enge Verzahnung von Adel und Amtskirche. Es wird kaum eine adlige Familie gegeben haben, die nicht mindestens eines ihrer Mitglieder im kirchlichen Dienst untergebracht hatte. (19)
Über die Hofgeistlichen wirkte die Kirche entscheidend auf die höfische Gesellschaft ein; nahm Einfluss auf die Entwicklung höfischer Regularien, auf die Normen und Sitten an den Höfen.
II. Der Hofgeistliche
II. 1: Vorbemerkungen
Wie oben bereits angedeutet, müssen wir für die spätstaufische Epoche davon ausgehen, dass - jedenfalls im Raum des »Deutschen Reiches« - viele hochqualifizierte Berufe von Personen mit geistlicher Bildung ausgeübt wurden.
(Zitat Bumke, Joachim: »Höfische Kultur«..., S. 76 - 77) »Darüber hinaus nahmen die Hofkleriker eine Fülle verschiedener Aufgaben war; der Hofarzt war in der Regel ebenso Kaplan wie der Hofarchitekt und der Prinzenerzieher, und auch die diplomatischen Missionen wurden vielfach Angehörigen des geistlichen Standes übertragen. Das Personal der Hofkapelle war zum Teil identisch mit dem der Kanzlei, den Notaren und Schreibern, in deren Händen, unter der Leitung des Kanzlers, der gesamte Schriftverkehr des Hofes lag«.
Bis auf wenige Ausnahmen müssen diese (geistlich) Gebildeten ihr Wissen, bzw. ihre Fertigkeiten, in klösterlichen, bzw. ähnlich gearteten kirchlichen Bildungsinstitutionen erworben haben, denn im deutschen Kulturraum entstanden die ersten Universitäten erst nach der Gründung der Prager Universität (im Jahre 1348), und zwar in Wien, Erfurt, Heidelberg und Köln. (20)
In der Stauferzeit standen auf den europäischen Kontinent nur Universitäten wie Salerno, Bologna, Paris, und ab 1244 - als Stiftung Kaiser Friedrich II. - die Universität in Neapel (21) zur Verfügung.
Selbst wenn wir von einer nicht zu unterschätzenden »horizontalen Mobilität« (22) auch in der spätstaufischen Epoche, ausgehen können, dürften die Absolventen solcher Einrichtungen nur in geringem Umfang die Geistlichen, Rechtsgelehrten und anderweitig Gebildeten, an den deutschen Höfen gestellt haben.
Für die breitere Bildung der Geistlichkeit gilt folgender Satz: »Im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts schaffen und unterhalten die Klöster sowohl eine innere als auch eine äußere Schule, wobei die eine der Ausbildung der künftigen Mönche und die andere der Ausbildung der Laien und des weltlichen Klerus dient«. (23) Allerdings lässt sich "... sicherlich von 800 bis 1100 von einem Vorherrschen der klösterlichen Bildung sprechen, während danach die Dom-, Kathedral-, Stifts-, und zuletzt die Pfarrschulen an Bedeutung gewinnen. (24)
Folgendes ist bei der Betrachtung von Berufen und Aufgaben der Geistlichen am Hofe zu berücksichtigen: Das, was uns übermittelt wurde, betrifft zum größten Teil die Gegebenheiten an den »großen« Höfen, das heißt, die königliche und kaiserliche Hofgesellschaft.?? Wenig ist uns bezüglich der Fürstenhöfe, noch weniger über die kleinen und kleinsten Grafenhöfen oder gar Ritterburgen überliefert. Es besteht daher oft das Erfordernis, von den bekannten Fakten (Geistliche an Königs- und Kaiserhöfen) auf unbekannte (Geistliche an kleineren Höfen) zu schließen; dies Selbstverständlich nicht willkürlich, sondern unter Berücksichtigung anderer bekannter Sachverhalte.
II. 2: Berufe und Funktionen Geistlicher am Hofe
In dem zu Beginn des Kapitels genannten Zitat Joachim Bumkes, wird die Bandbreite der Funktionen deutlich, die Kleriker an hochmittelalterlichen Höfen wahrgenommen haben.
An dieser Stelle will ich sie zusammenfassend und bereits um die anderen, wesentlichen Funktionen ergänzt, vorstellen. Weiter unten sollen sie dann näher ausgeführt werden.
Der Kleriker als Priester
Als Prediger / Zelebrant der Messe
Als Beichtiger / Seelsorger
Der Kleriker als Pädagoge
Als Erzieher zum Glauben
Als Mädchenerzieher
Als Lehrer in den sieben freien Künsten
Als Lehrer der Hofetikette und höfischen Ethik
Der Kleriker als Rechtsgelehrter
Als Notar
Als Rechtsberater
Der Kleriker als Schreibkundiger
Als Kanzler
Als Schreiber
Der Kleriker als Diplomat
Der Kleriker als Spezialist in besonderen Fachgebieten
II. 3. Der Kleriker als Priester
Während an den größeren Höfen ein umfangreiches Kontingent an Klerikern versorgt werden konnte, ist davon auszugehen, dass an kleinen und kleinsten Höfen nur wenige - bzw. nur ein Geistlicher - Platz fanden.
In solchen Fällen werden die Priester am Hofe auch andere als ihre eigentlichen Aufgaben wahrgenommen haben.
Den Status des Klerikers als Priester macht den Erhalt der höheren Weihen und das Recht (bzw. die Verpflichtung), die Sakramente (25) zu spenden, aus.
II. 3.1 Der Priester als Zelebrant der Messe und als Prediger
Der Kleriker als Priester am Hofe hatte zunächst einmal die Aufgabe, die Messe (26) zu lesen, was in der Regel mit der Eucharistiefeier (das heißt, dem Altarsakrament, bzw. dem Abendmahlsakrament verbunden war.
Bis zum hohen Mittelalter entwickelte sich die Praxis, die chorischen Gesänge der Messe immer weniger von der Gemeinde, als vielmehr von einem zusammengestellten Chor singen zu lassen. (27) Im nichtmonastischen - also außerklösterlichen Gottesdienst - konnte dieser Chor sowohl aus Laien als auch aus Klerikern (auch Priestern) bestehen.
An größeren Höfen werden die Hofkapelle mit Sicherheit auch Chöre, zur Durchführung der Messe, vorgehalten, oder - in anderen Fällen - »gute Stimmen« aus der Hofgesellschaft zur Erfüllung von Gesangsaufgaben gebeten worden sein.
Der Wortgottesdienst, als Bestandteil der Messe, gewann ab dem frühen 12. Jahrhundert an Bedeutung. Im 13. Jahrhundert intensivierte sich diese Entwicklung, mit der Bildung der »Bettel- und Predigerorden« (der Franziskaner und Dominikaner). Während die offizielle liturgische Sprache weiterhin das Latein blieb, wurden die Predigten immer häufiger in der jeweiligen Landessprache abgehalten. (28)
Die Aufgabe des Priesters, bezogen auf seine Funktion als Prediger (29), bestand:
1. in der Verkündung und Auslegung der Heiligen Schrift,
2. in der Übertragung der Auslegung auf die aktuelle Situation in der Gemeinde oder
3. des Reiches.
Letztere beiden Aspekte bedeuteten für den Hofgeistlichen:
1. Er hatte konkrete Situationen im alltäglichen Leben der Hofgesellschaft aus biblischer Sicht zu reflektieren und zu kommentieren.
Diesbezüglich konnte er Forderungen an die Gemeinde richten.
2. Er hatte die »Solidarität« gegenüber dem (weltlichen) Herrn zu wahren. Vermutlich werden Hofgeistliche auch in der Predigt dessen Interessen vertreten haben, z.B. durch einen Aufruf, an einer Schlacht teilzunehmen oder anderen Pflichten - gegenüber dem Grundherrn - nachzukommen.
Geistliche an deutschen Höfen, werden sich häufig in Konflikten zwischen ihren Ver-pflichtungen gegenüber dem Heiligen Stuhl und ihrem weltlichen Herren befunden haben.
Diese Konflikte waren sicher nahezu ebenso oft dadurch abgemildert, dass die deutschen Bischöfe ihre Ämter mit einer relativen Selbstständigkeit gegenüber dem Pontifex in Rom versahen, und von dieser Seite in Streitfragen vielfach zumindest eine »moralische Akzeptanz« zu erwarten war.
II. 3.2 Der Priester als Beichtiger / Seelsorger
Als Seelsorger bestand die Aufgabe des Priesters im Hochmittelalter ausschließlich in der Spende der Sakramente, insbesondere in der Abnahme der Beichte. (30)
Natürlich war seine erste Aufgabe im Zusammenhang mit der Rolle des Beichtigers, die des Trostspenders und des Geistlichen, der über die Seele seiner Beichtkinder wacht, bzw. sich um deren »Seele sorgt«, was der Begriff des Seelsorgers ja ausdrückt.
Nach Nennung der Formel »Mea culpa, mea maxima culpa« seitens der / des Beichtenden kommt es zur Aussprache zwischen ihm und den Priester, in dem er / sie die Sünden bekennt. Der Priester bespricht die Sünden, gibt in der Regel eine Buße auf und erteilt die Absolution.
Allein durch seine Befugnis, Sünden zu beurteilen und mit Buße, also »Strafen« zu belegen, konnte der Geistliche als Priester, Einfluss auf das Geschehen am Hofe - und unter Umständen, auch mit reichspolitischer Wirkung - ausüben.
Es galt im Hochmittelalter das Beichtgeheimnis. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass der Priester Kenntnisse von Wahrheiten - auch intimster und geheimster Natur - besaß, und ihm schon deshalb mit Respekt, vielleicht auch mit Misstrauen und Furcht begegnet wurde. Daraus allein konnte eine Machtposition erwachsen.
Sollte ein Hofgeistlicher - im Einzelfall - diese Kenntnisse missbräuchlich verwendet haben, so ließ sich diese Machtstellung möglicherweise immens steigern. Fememorde an Geistliche - in ähnlichen Zusammenhängen - sind immerhin überliefert. (31)
II. 4 Der Kleriker als Pädagoge
Auf andere Weise, aber mit mindestens ebenso großer Effizienz, wirkten die Geistlichen bei der Gestaltung der höfischen Gesellschaft als Lehrer mit.
»Als Erzieher am Hof haben die Kleriker sicherlich einen bedeutenden Einfluss auf die Gesellschaftsvorstellungen des weltlichen Adels ausgeübt«. (32)
II. 4.1 Der Kleriker als Erzieher im Glauben
II. 4.1.1 Ideologische Grundvoraussetzungen
Die spätstaufische Epoche lebte im Konflikt zweier widerstreitender Lehrmeinungen, nämlich der »Scholastik«, die ihren wesentlichen Denker in Petrus Abaelaerd (33) hatte, und der aufkommenden »Mystik«, als deren früher Vertreter Bernhard von Clairvaux (34) gilt. Beide lebten bis ca. zur Mitte des zwölften Jahrhunderts. Ihrer beiden Denkgebäude prägten die nachfolgenden Jahrhunderte entscheidend. (35)
Der eher »weltoffene«, auf Disputation und Auseinandersetzung (36) angelegte, scholastische Ansatz des Petrus Abaelaerd, wird dem weltlichen Adel der spätstaufischen Epoche eher entsprochen haben, als die kontemplativen, auf persönliche Gotteserfahrung, Askese und weltabgewandter Versenkung, abzielenden Lehren Bernhard von Clairvaux. (37)
Es ist davon auszugehen, dass die Scholastik, als religiöses und philosophisches Glaubens- und Denkmodell, an den Höfen - zunächst den französischen, später auch den deutschen - von der adligen Gesellschaft angenommen worden ist.
Der scholastischen Denkweise entspricht eine weltnahe Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen religiös - biblischem Anspruch, und den realen, alltäglichen Bedingungen des Lebens, auch denen am Hofe.
Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass es keine Kleriker, deren Ausbildung in den Händen kontemplativ motivierter Orden gelegen hat, an den weltlichen Höfen gab.
Aber sie werden sich - zumindest bis zu gewissen Graden - den - höfischen Ansprüchen angepasst haben, um andererseits wiederum aus ihrer religiös - weltanschaulichen Sicht heraus den Hof zu beeinflussen, so, wie alle Hofgeistlichen ihren Beitrag zur Entwicklung einer höfischen - und ritterlichen - Gesellschaft geleistet haben. (38)
II. 4. 1.2 Glaubenserziehung am Hofe
Eine klare Trennung zwischen einer gesellschaftlichen - bzw. ständischen - Erziehung, und einer reinen »Religionspädagogik«, also einer Erziehung zum christlichen Glauben, im Hoch- mittelalter, ist meines Erachtens heute kaum zu machen. Natürlich vermischten sich in der Spätzeit der staufischen Epoche, auch im Bewusstsein der Geistlichkeit, ritterliche und biblische, antike und mittelalterliche Traditionen.
Die Kleriker hatten den »wahren christlichen Glauben« zu lehren; dies war nicht nur der päpstliche Auftrag, sondern entsprach auch den Anspruch der christlichen Laien. (39)
Das hat er nach »bestem Wissen und Gewissen« zu tun. Dies hieß insbesondere, dass er seinen Educanden (40) eine profunde Bibelkenntnis vermitteln musste.
Darüber hinaus bestand der Anspruch (vonseiten der kirchlichen und der weltlichen Obrigkeit), dass der Geistliche seinen Beitrag zur Lösung rein diesseitiger Konflikte leistete; er hatte die aktuelle Lage - im privaten, persönlichen Bereich, wie in politischen Dingen, auch überregionale und reichsrelevante Belange betreffend - zu berücksichtigen und die Folgerungen praktisch umzusetzen.
Eine gesellschaftliche Grundlage des hohen Mittelalters bildete die »ständische« Ordnung.
Eine wichtige Aufgabe der Geistlichen war es, diese gottgegebene Ordnung" (41) zu manifestieren, zu begründen, zu erklären und zu vertreten.
Durch das Handeln innerhalb dieser »gottgewollten Ordnung«, qualifizierte sich der mittelalterliche Mensch zum »guten Christen«; ergo war es ein primäres Ziel des Klerus, der jeweiligen Gemeinde (eben auch der Höfischen), das adäquate Verständnis dafür zu lehren.
II. 4.2 Der Kleriker am Hofe als Mädchenerzieher
Die erzieherische Arbeit von Hofgeistlichen gegenüber den adligen Mädchen, zielte auf deren gesellschaftliche Einordnung ab.
Noch im 13. Jahrhundert wirkten die Einschätzungen der spätantiken Kirchenväter nach:
»Weil die weibliche Natur so schwach ist, müssen Frauen sorgsamer belehrt und angeleitet werden als Männer.« (42)
Vinzenz von Beauvais, ein französischer Kleriker, verfasste zur Zeit Ludwig IX. von Frankreich (Tod 1270) die Schrift: Über die Erziehung königlicher Kinder." (43)
Unter anderem empfiehlt von Beauvais, dass die Mädchen einer strengen Bewachung unterliegen sollen, um ihre Jungfräulichkeit zu schützen, sie sollen nur zum Kirchgang - unter der Bewachung durch die Mutter - das Haus verlassen. Damit sie nicht auf »schlimme Gedanken« kämen, sollten sie zuhause beschäftigt werden: Sie sollen spinnen, weben und nähen, sie sollen lesen lernen und sich viel mit dem Psalter und den heiligen Schriften beschäftigen. Sie sollen außerdem viel in guten Sitten und Bräuchen unterwiesen werden, vor allem sollen sie über
- Schamhaftigkeit und Keuschheit
- Demut
- Schweigsamkeit und
- Würde der Sitten und Gebärden
belehrt werden.
Ein Teil der Ausbildung in Sitten- und Tugendlehre der Mädchen wird in den Händen der Hofkleriker gelegen haben, ebenso wie die »literarische Ausbildung«. (45)
II. 4.3 Der Hofkleriker als Lehrer in den »Sieben freien Künsten«
An den deutschen Höfen spielte von den »Sieben freien Künsten« vermutlich die Rhetorik (Redegewandtheit) die größte Rolle, vor Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese wurde - vor allem im Alter von vier bis sieben???; aber auch darüber hinaus, den Jungen von Geistlichen vermittelt. Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie vervollständigen die »sieben freien Künste«. (Siehe auch Fußnote 17)
II. 4.4 Der Hofkleriker als Lehrer der Hofetikette und der höfischen Ethik
Das das Idealbild des höfischen Ritters (der »miles christianus«), unter maßgeblicher Beteiligung der geistlich Gebildeten ausformuliert wurde, gilt nach Bumke (47) als zwingend logisch.
Die gesamte höfische Ethik, einschließlich des ritterlichen Tugendsystems (48) entstand unter dem starken Einfluss des Klerus. »Die Gattung der höfischen Tischzucht ist offenbar von Gebildeten Hofklerikern geschaffen worden; ...« (49)
Allein in diesen drei Aspekten ist erkennbar, wie groß der Einfluss des höfischen Klerus, aus der »Theorie« heraus, auf Ethik und Etikette am Hofe gewesen ist.
Selbstverständlich ist der Schluss, dass auch in der höfischen Praxis, die Hofkleriker Einfluss auf diese Inhaltsbereiche zu nehmen trachteten. Mit welchem Erfolg ist nicht einwandfrei erklärbar, ist es doch nahezu unumstritten, dass »Tugendlehren« und vergleichbare Schriften, eher einen Anspruch, eine Forderung formulierten, als dass sie reale Zustände wiedergaben.
In der Praxis wird die Vermittlung der Hofetikette und der höfischen Ethik durch die Hofkleriker in der Predigt, in der Mädchenerziehung, in der Beichte und im vertraulichen Gespräch stattgefunden haben.
II. 5 Der Hofkleriker als Rechtsgelehrter, Schreibkundiger und Diplomat
Die Kanzleien
Laut Bumke (50), (siehe auch das Zitat auf Seite 2 - II. 1), waren die Notare in der Regel Angehörige der Hofkapelle, d.h. Geistliche.
Da die Gesetze, bis zur Niederschrift des Sachsenspiegels (51), in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, weitgehend mündlich überliefert, die weltliche Rechtsprechung ohnehin in den Händen des Adels und der von ihm im Delegationsverfahren beauftragten Personen lag, kam den Geistlichen in den höfischen Kanzleien in erster Linie die Funktion des Notars und des Schreibers zu.
Ab dem 12. Jahrhundert bildete sich ein geregelter Schriftbetrieb an den Fürstenhöfen heraus.
Zitat: »Die Fürstenkanzleien des 12. und 13. Jahrhunderts darf man sich nicht als gut organisierte Behörde vorstellen. In den meisten Fällen gab es dort nur einen Notar (notarius), der nicht selten auch als Schreiber tätig war, oder ein bis zwei Schreiber beschäftigte.« (52)
Zitat: "Die Notare waren in der Regel Geistliche. Der erste Laie ist 1296 in einer niederbayrischen Kanzlei bezeugt.
Bei der Auswahl und Bestellung ihrer Notare konnten die Fürsten vielfach auf ihre Hofkapläne zurückgreifen. Ebenso wie Kanzler am Kaiserhof, in deren Händen die Leitung der Reichskanzlei lag, überwachten die Notare am Fürstenhof nicht nur den gesamten Schriftverkehr, sondern wurden auch zu anderen vertrauensvollen Diensten herangezogen, vor allem zu diplomatischen Missionen. Dafür wurden sie dann mit hohen kirchlichen Ämtern belohnt." (53)
Zitat: »Die Ausfertigung von Urkunden bildete nur einen Teil des Aufgabenbereiches der neu eingerichteten Kanzleien, und wohl nicht den wichtigsten.« (54) Es wurden Urbare (Aufstellung der Einkünfte und Besitztümer), Lehnsbücher, Amts- und Geschäftsbücher, Rechnungsbücher und Steuerverzeichnisse verfasst.
Als berühmte Beispiele von Reichskanzlern, die jeweils auch wichtige Diplomaten des Reiches waren, gelten Rainald von Dassel (unter Friedrich I. von Staufen) (55) und Hermann von Salza (unter Friedrich II. von Staufen). (56)
II. 6 Kleriker am Hofe in Spezialfunktionen
Viele Aufgaben an Höfen im deutschen Kulturraum, wurden im Hochmittelalter von Klerikern wahrgenommen, weil ihre (geistlich - klösterliche) Bildung, oder andere Qualitäten sie dafür prädestinierten.
So gibt es z.B. einen Bericht über die Hofhaltung der Hennegauer Grafen, aus dem frühen 13. Jahrhundert, aus dem hervorgeht, dass der »Kleriker Martin den Kellerschlüssel zu verwahren hatte«. (57)
Ein klein wenig ausführlicher möchte ich folgende Sonderfunktionen beschreiben:
II. 6.1 Der Kleriker als Hofarzt
Die »akademische Medizin« war in der Stauferzeit im deutschen Kulturraum wieder extrem unterentwickelt. Es gab zwar »wissenschaftliche Versuche«, z.B. Hildegard von Bingens, volksmedizinische Erkenntnisse anzuwenden und zu sammeln (58), eine systematische Medizin hat es, auch bedingt durch kirchliche Aversionen gegen die Chirurgie (59) nicht gegeben.
Fest steht dennoch, dass es immer Ärzte an Höfen gegeben hat. So sind z.B. für den Babenberger Hof, in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zwei - der Kanzlei angehörige Kleriker nachweisbar (Heinrich und Symon) (60), die als Hofärzte gewirkt haben.
Wesentlich für die medizinischen Vorstellungen des Hochmittelalters, im deutschen Kulturraum, waren die Lehren des Hippokrates und Galenius. (61)
II. 6.2 Spezialisten auf handwerklichen und künstlerischen Gebieten
Wir können davon ausgehen, dass im weiter oben (S. 2 - II. 1)skizzierten »Bildungssystem« des Mittelalters, eingroßer Teil der Handwerker und Künstler, die für geistliche, aber auch für weltliche Fürstenhöfe tätig waren, eine geistliche Ausbildung besaßen. Man muss gar nicht unbedingt auf geschichtlich bekannte Größen, wie den Bischof Bernward von Hildesheim abzielen.
Zitat: »Er glänzte in der Schrift, übte aber auch die Malerei aus und beherrschte die Techniken des Schmiedens und Schmelzens.« (62)
Denn für die Erfüllung ihrer Dienste gegenüber der weltlichen Obrigkeit sind viele andere Künstler, bzw. Handwerker bekannt, die aus Kreisen mit geistlicher Bildung stammen, wie z.B. der Konverse des Zisterzienserklosters Walkenried Jordan, für dessen Verdienste bei der Trockenlegung der »Goldenen Aue'« (63) eines damals sumpfigen Landstriches in Nord- Thüringen, das Kloster von Kaiser Friedrich I. (»Barbarossa«), reich belohnt wurde.
Beide Reformorden der Benediktiner (64), die Zisterzienser (65) wie die Prämonstratenser (66) waren Spezialisten in der Urbarmachung von Land, im Bauwesen wie auch im Bergbau (67), was auch die weltliche Obrigkeit sicher immer wieder veranlasste (siehe das Beispiel Walkenrieds, (Fußnote 63), sich ihre Dienste nutzbar zu machen.
Eine Ausarbeitung von Carsten Baumann - Bremerhaven.
Quellennachweise und Anmerkungen:
1. Werner, Ernst; Erbstößer, Martin: »Kleriker, Mönche, Ketzer. Das religiöse Leben im Mittelalter«. Herder: Freiburg - Basel - Wien 1994 S. 8 - 9
2. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter Bd. 1 dtv München, 1987 S. 376
3. Krüger, Sabine: Das kirchliche Turnierverbot im Mittelalter in Das ritterliche Turnier im Mittelalter HG. Josef Fleckenstein Vandenhoek und Ruprecht Göttingen, 1985 S. 401 - 424.
4. Anmerkung: Siehe hierzu beispielsweise:
Fink, Humbert: Ich bin der Herr der Welt
Friedrich der Staufer. Eine Biographie Paul List Verlag München, 1986 S. 94 - 135
Horst, Eberhard: Friedrich II. , der Staufer. Biographie Wilhelm Heyne Verlag 1989 S. 131 - 137
5. Anmerkung: Auskunft hierüber erhält man in einer Dauerausstellung zum Sachsenspiegel auf der Burg Falkenstein im Selketal
Zur »Bannfrage« allgemein: Gurjewitsch, Aaron Jakolewitsch: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen. Verlag C. H. Beck, München, 1989. S. 339 - 340
6. Anmerkung: Das Schriftgut mit Thesen und Theorien zur Vermischung von heidnischen Kulturmerkmalen (also auch kultischen und religiösen Inhalten) ist reichhaltig.
Hier sei nur auf Gurjewitsch, aaron J.: Mittelalterliche Volkskultur verwiesen.
C.H. Beck. München 1987
7. Kupisch, Karl: Kirchengeschichte Band II. Das christliche Europa. Größe und Verfall des Sacrum Imperium. Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz 1984. S. 86
8. Der Sachsenspiegel in Bildern aus der Heidelberger Handschrift. Ausgewählt und erläutert von Walther Koschorrek. Insel Verlag. Frankfurt a.M. 1974. S. 50, 54, 56.
9. Le Goff, Jaques (Hg): Fischer Weltgeschichte Band II. Das Hochmittelalter. Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 1965. S. 90 - 91
10. Anmerkung: Laut Bumke, Joachim: Höfische Kultur Band 2; S. 695
Unter Bezug auf den Bayrischen Landfrieden, von 1244, gelten auch fahrende Kleriker als friedlos, ebenso wie die Laien - Spielleute; d.h., sie standen unter keinem juristischen Schutz, wurden mit allen anderen fahrenden Gruppen gleichgesetzt.
Nach Bernt, Günther: Die Kleriker und Vaganten - in der Carmina Burana. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift. Zweisprachige Ausgabe. dtv, München 1991. S. 855 - 856
Ist bei den in den Carmina Burana als Clerici bezeichneten Fahrenden von der Existenz zweier Gruppen auszugehen. Zum einen Litterati, die sich die Grundlagen der damaligen lateinischen Bildung, und sich etwas von den »höheren Wissenschaften« angeeignet haben, oder dabei sind, es zu tun, d.h., die Akademiker und die Studenten. Vielfach besaßen sie die niederen Weihen, aber nicht einmal das war unbedingt notwendig, um Kleriker zu sein. Es genügte, wenn ein Bischof Tonsur und Habit verlieh.
Die andere Gruppe wird von den »echten« Vaganten - bzw. Goliarden - gestellt, einen Personenkreis, der, zur obigen Gruppe gehörend - aus welchen Gründen auch immer, im »fahrenden Stand« verharrte, und dessen, »....Absinken zu einer Gesellschaft von schlechtem Ruf ... unvermeidlich« war.
(Übrigens gehören nach Bernt die Verfasser der Carmina Burana zum größten Teil in die erste Kategorie, aber das ist an dieser Stelle nebensächlich).
11. Anmerkung: Hierzu gehören Kooperationen mit deutschen Bischöfen, Schenkungen an diese und an zahlreiche Klöster; Auch die ritterlich - höfische Tugend der »Freigebigkeit« hat christliche Wurzeln.
Siehe hierzu: Bumke, Joachim - Höfische Kultur. S. 314, 369, 386, 334, 481, 715.
12. Anmerkung: Als prägnantes Beispiel sei hier Elisabeth von Thüringen genannt, die nahezu unmittelbar nach ihrem Tode im Jahre 1231, nämlich bereits 1235 heiliggesprochen wurde.
Siehe hierzu: Bentzien, Hans: Elisabeth, Landgräfin von Thüringen. Verlag Neues Leben GmbH, Berlin 1990 S.315.
Pernoud, Regine: Die Heiligen im Mittelalter. Frauen und Männer, die ein Jahrtausend prägten. Gustav Lübbe Verlag. Bergisch Gladbach, 1988. S. 142, 145, 270, 283, 325, 334.
Ein weiteres Beispiel ist in der - dem Hochadel entstammenden Benediktiner - Äbtissin Hedwig von Andechs - Meranien zu sehen. Sie wurde bereits vor ihrem Tod, 1243, als »Heilige« betrachtet. Der Heiligsprechungsprozeß begann unmittelbar nach ihrem Ableben und wurde durch die päpstliche Kanonisation schon 1267 beendet.
Siehe hierzu: Fritzen, Hedwig: Hedwig, 1174 - 1243. , in Mair, Hans Hg: Sie herrschten und sie dienten. Heilige als Träger der Macht. Mathias Grünewald Verlag, Mainz 1982. S. 93 - 99.
Oder: Herbers, Klaus: Die deutschen Heiligen im Mittelalter, in: Pernoud, Regine: Die Heiligen im Mittelalter. S. 334 - 335.
Groß ist die Zahl der »Heiligen«, die nie kanonisiert wurden, aber vor allem vom Volk - und Teilen der Kirche, als Heilige verehrt worden sind, wie z.B. Gottfried von Cappenberg.
Siehe hierzu u.a. Hinkel, Helmut: Die Diözesan - Heilige im deutschsprachigen Raum. M. Grünewald Verlag, Mainz, 1987. S. 30 und 80
13. Anmerkung: Unter »Investiturstreit« wird die langjährige, massive Auseinandersetzung um das Einsetzungsrecht der Bischöfe verstanden, der insbesondere im Streit zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. kulminierte.
Siehe hierzu u.a.: Fuhrmann, Horst: Deutsche Geschichte im Hochmittelalter. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 1983. S. 47, 96, 102, 106 u.a.
Oder: Frank, Isnard Wilhelm: Ki
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