Die Entwicklung des ritterlichen Turniers vom Kriegsspiel zum höfischen Fest
In Deutschland begann man sich seit der 1. Hälfte des 12. Jhs. an dem in Frankreich aufgekommenen Turnier (torneamentum) zu orientieren, dessen Übernahme jedoch eine Weile dauerte, da es auf ältere Formen des Kampfspiels traf, die es zum Teil ersetzte und zum Teil in sich aufnahm, um sie schließlich abzulösen. Bei den frühesten Erwähnungen des Turniers in deutschen Quellen von 1127 und 1148 dürfte es sich um ältere Formen von Waffenspielen handeln, da beiden Ereignissen bestimmte Merkmale fehlen, welche die Besonderheit des Turniers gegenüber der älteren Art der Waffenspiele kennzeichnen. Das Turnier sucht im Gegensatz zur Fehde -- der Feindschaft schlechthin, die mit dem Gegner auch alle seine Freunde, Helfer, Leute und das Land betrifft -- nicht den Schaden des Gegners, sondern allein den Sieg und durch ihn die Vermehrung des eigenen Ruhms. Das Turnier setzt grundsätzlich Frieden voraus; es gehört als Kampfspiel in die Sphäre der Freundschaft, die nur den begrenzten Kampf erlaubt. Es bezieht nur diejenigen ein, die dazu eingeladen oder aufgefordert sind und endet immer mit dem Sieg. Bezeichnend ist, daß der Sieger den Gefangenen ihre Freiheit zurückgibt. Dieser Kampf vereint Spiel und Ernst, läßt die Geschicklichkeit und Tapferkeit des einzelnen zur Geltung kommen und ist auf jeden Fall klar begrenzt, denn sein Ziel ist die Demonstration von reiterlicher und kriegerischer, d.h. ritterlicher Bravour und Tapferkeit zur Erlangung von Ehre und Ruhm. Der Austragungsort für die Grundform des Turniers ist ein Treffpunkt zwischen zwei Burgen oder Städten, wodurch die Beschränkung des Teilnehmerkreises gegeben ist.
Das Turnier war offenbar gefährlicher, schärfer, anspruchsvoller und damit reizvoller als das ältere Waffenspiel und seine trotz wiederholter Verbote (kirchliche Verbote seit 1130) unaufhaltsame Ausbreitung verrät seine Anziehungskraft auf Adel und Ritterschaft und zeigt, daß es gegenüber dem älteren Waffenspiel eine neue Bedeutung gewonnen haben muß. Die neue Verheißung des Turniers, der Weg zu Sieg und Ruhm, ermöglichte diesem die Einbeziehung in das höfische Fest (erstes Beispiel von 1175). Seit der Mitte des 12. Jhs. nehmen die Bezeugungen der nun meistens Turnier (torneamentum oder hastiludium) genannten Spiele außerordentlich zu.
Der Mainzer Hoftag von 1184 kann als Zwischenglied gelten, das den Rahmen des Turniers mit neuen Möglichkeiten erweiterte, die fortan Gestalt und Bedeutung des Turniers bestimmten. Das Waffenspiel zu Mainz erfolgte vor dem versammelten Hof und bezog seine Mitglieder als Teilnehmer sowie Zuschauer mit ein. War das Turnier bisher ausschließlich eine Sache des Adels, nicht des Königtums, trat auf diesem Hoffest der Kaiser selbst als Propagator von Waffenspiel und Turnier auf. In Deutschland setzten von jetzt die Turniere an den Fürstenhöfen ein und bald beteiligten sich auch in den übrigen Ländern die Könige am Turnier. In der Gemeinsamkeit des Spiels manifestierte sich über alle rechtlichen Unterschiede zwischen principes, nobiles und ministeriales hinweg ihre Gemeinsamkeit als milites: die Gemeinsamkeit des Rittertums.
Ein Charakteristikum des Turniers (turneis) im 12. Jh. -- unterschieden von Tjost und Buhurt -- ist seine Nähe zum wirklichen Kampf; es stellt die spielerische Form einer auf freiem Feld stattfindenden Reiterschlacht dar. Aus dem Spiel entwickelte sich nicht selten blutiger Ernst, da man die Gelegenheit benutzte, alte Rechnungen zu begleichen und teilweise mit scharfen Waffen kämpfte. Dichtungen des 12. u. 13. Jhs. beschreiben eine befriedete Zone für jede Seite, in der sich die Teilnehmer ohne Gefahr der Verfolgung ausruhen können. Ferner wird oft betont, daß beide Heere zahlenmäßig gleich stark sein müssen. In den französischen Turnieren des 12. Jhs. war diese Gleichteilung nicht immer die Regel, und es wurden zuweilen Hilfstruppen eingesetzt.
Auch in deutschen Turnierschilderungen erscheinen neben den Rittern leichtgerüstete Knappen (kipper), die mit Keulen oder Kolben bewaffnet sind, und deren Hauptaufgabe das Einfangen herrenloser Pferde als Beute war sowie auf Ritter einzuschlagen, die ihre Herren gefangennehmen wollten. In der Dichtung um 1200 finden sich kaum Klagen über den Einsatz von Hilfstruppen, während sie ein halbes Jahrhundert später deutlich ablehnende Stimmen aufweist. In den Kriegen des Mittelalters richtete sich die Höhe des Lösegeldes bei der Freilassung von Gefangenen in der Regel nach deren Zahlungsfähigkeit. In den Turnierschilderungen des 12. u. 13. Jhs. ist es der häufigste Fall, daß ein Gefangener Panzer und Roß verliert, bzw. deren Gegenwert als Lösesumme zahlen muß, die zuweilen im Voraus festgelegt wurde.
Das Turnier des 12. Jhs. muß ferner in seiner militärischen Bedeutung voll erkannt werden: es stellte eine wichtige und notwendige Form des kollektiven Trainings der Panzerreiter dar, die bei größeren kriegerischen Begegnungen keine Einzelkämpfer waren, sondern im Verband kämpften. Die Attacken der schweren Panzerreiterei, durch welche die feindliche Front durchstoßen wurde, setzten eine sorgsame Schulung im Verband voraus; die einzelnen Panzerreiter mußten lernen, in einer Linie und im gleichen Tempo vorzustoßen. Den Turnieren -- bei welchen man Reiterschlachten möglichst realistisch imitierte -- fiel nun die Aufgabe zu, die teuer ausgerüsteten und sorgfältig geschulten ritterlichen Berufskrieger im Formationskampf zu trainieren.
Neben dem Turnier steht der Buhurt als weiteres Waffenspiel, bei dem es weder um Gefangenschaft noch Beute geht und das ohne kriegsähnliche Vorbereitungen rein zur Übung, als Ausdruck spontanen kriegerischen Eifers oder als Paradestück zu Ehren einer hohen Persönlichkeit unternommen wird. Turnier und Buhurt sind zwei verschiedene Formen des Ritterspiels. Das Turnier verlangte volle Rüstung, bûhudieren konnte man ohne Harnisch. Die Kirche nahm eindeutig Stellung gegen das Turnier, aber der Buhurt war eine notwendige Übung für den berittenen Krieger und wird sogar in der Templerregel erlaubt. Der Buhurt wird oft mit Tanz und anderen höfischen Unterhaltungen verbunden und erscheint häufig als Teil eines Hoffestes, z.B. bei Schilderungen von Schwertleiten und Hochzeiten.
Im Unterschied zum Turnier des 12. Jhs., das den wirklichen Kämpfen der Ritter sehr nahe kam, entwickelte sich das Turnier im Laufe des 13. Jhs. immer mehr zu einer gesellschaftlichen Veranstaltung, zu einem höfischen Fest, das der Selbstdarstellung der ritterlich-höfischen Gesellschaft diente. Die Turniere wurden aufwendiger und farbenprächtiger gestaltet und verloren an Gefährlichkeit, wenngleich immer noch eine beachtliche Zahl von tödlichen Verletzungen zu verzeichnen war. Das Element der Schaustellung tritt in den bunten Bannern, den bemalten Lanzen und Schildzeichen der Beteiligten hervor. Die Wappenkunde wurde im Laufe des 13. Jhs. strenger geregelt, und Wappenbeschreibungen traten in poetischen Turnierdarstellungen immer stärker hervor (Vorläufer der berufsmäßigen Herolddichtung des späteren Mittelalters). Die Turniere wurden seit der Mitte des 13. Jhs. besser organisiert und von Rittern immer weniger allein um des Gewinns willen aufgesucht. Der ritterliche Zweikampf, der Tjost, rückte immer stärker in den Vordergrund und drängte das Kernstück des alten Turniers, die Reiterschlacht, zurück. Das hatte zur Folge, daß man die Turniere nicht mehr wie früher auf freiem Feld, sondern auf abgegrenzten Turnierplätzen abhielt. Dadurch rückte das Publikum näher an das Spielgeschehen heran und konnte von Schaubühnen aus die Kämpfe aus nächster Entfernung verfolgen. In der mittelalterlichen Dichtung ist êre eng mit der Anerkennung von seiten der Öffentlichkeit verbunden, oft mit ihr identisch. Das Turnier wird in der weltlichen Epik vorwiegend positiv dargestellt, da diese Dichtung meistens für ein Publikum an Höfen geschrieben wurde. Das gleiche Publikum, für das die höfische Dichtung bestimmt war, spielt auch in der Geschichte des Turniers eine wichtige Rolle als Zuschauerschaft, deren Gegenwart zur ethischen Verfeinerung beiträgt, indem sie dem Gedanken Vorschub leistet, daß es im Turnier wichtiger ist, Tapferkeit, Geschick und Großmut zu zeigen, als Beute einzutreiben. Erst durch die Teilnahme der Zuschauer erfuhr das Turnier die Steigerung in den gesellschaftlichen Rang.
Für Tjoste und Turnier bildete sich ein strengeres Reglement heraus, über dessen Einhaltung turniererfahrene Ritter und Herolde wachten. In England wurde das Turnier gegen Ende des 13. Jhs. im »Statutum Armorum« durch königliches Gesetz geregelt (es bestimmt die im Turnier zugelassenen -- stumpfen -- Waffen, Ausrüstungen und Personen, die einzuhaltenden Regeln und die Strafmaßnahmen für Verstöße). Der vermehrte Festcharakter des Turniers, die gesteigerte Prachtentfaltung und der hohe Anstieg der Kosten für Organisation, Gästebeherbergung, Verpflegung und Festgestaltung führten dazu, daß fast nur noch reiche Herren und mächtige Fürsten Turniere veranstalten und die Ritterschaft aus einem weiten Umkreis dazu einladen konnten. So dienten die Turniere in erster Linie der Selbstdarstellung von Fürsten und Herren, um deren Ansehen innerhalb der Ritterschaft zu steigern und ihre Macht und Großzügigkeit weithin zur Schau zu stellen.
Die während des 13. Jhs. in großer Zahl stattfindenden Turniere werden in den Chroniken und Annalen in der Regel nicht eigens erwähnt. Erst herausragende Ereignisse wie Todesfälle prominenter Personen, außergewöhnlich großartige Turniere und ritterliche Kampfspiele mit besonderen Extravaganzen finden ihren Niederschlag in der schriftlichen Überlieferung.
Das Ruhmbedürfnis der Ritter machte ihnen das Turnier unentbehrlich, das ihnen die wesentliche Möglichkeit bot, sich durch Mut und Tapferkeit hervorzutun, sich vor den anderen auszuzeichnen und aus dem Wettkampf, der durch seine Gefährlichkeit nur höheren Wert erhielt, möglichst als Sieger hervorzugehen. Das paradoxe Ideal des Rittertums suchte im Turnier eine friedliche Form des Krieges. Am Hof verlor das Turnier -- seit seinen Anfängen ein zweckbestimmtes, der Einübung in das Kriegshandwerk dienendes Waffenspiel -- seinen rein militärischen Charakter. Die großen Höfe boten als ideale Schauplätze ein sachkundiges, anspornendes Publikum, verhießen und gewährten Anerkennung und Ruhm und schenkten obendrein Teilhabe am höfischen Glanz (z.B. bezogen sie die Ritter in die höfische Mode mit ein).
Die Entwicklung des Turniers tritt, seit es vom Hof in seine Obhut genommen wird, auf doppelte Weise in unseren Blick: in Historiographie und Dichtung, und es verdient Beachtung, daß beide unterschiedliche Schilderungen bieten, d.h. das Turnier gewinnt eine neue Dimension -- die Dichtung -- hinzu. In der Dichtung tritt ein Idealbild des Turniers in Erscheinung, das auch die höfische Liebe einbezieht. Aus der Ritterdichtung, die Gesellschaftsdichtung ist, spricht das Selbstverständnis des Standes in seiner eigentümlichen Doppelheit, der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit. Durch die Tatsache, daß der ritterliche Dichter in einer Person Ritter und Dichter ist, korrespondieren Ideal und Wirklichkeit durch seine Vermittlung miteinander, d.h. das Idealbild des Turniers ist auf dessen konkrete Gestalt nicht ohne Einfluß geblieben; man denke an die Tafelrunden-Turniere, die auf dem Hintergrund der Artussage basieren.
Die frühesten literarischen Turnierschilderungen nahmen ihren Ausgangspunkt von den wirklichen Turnieren des 12. Jhs.. Im 13. Jh. ist der umgekehrte Prozeß festzustellen, daß Waffenspiele in der Wirklichkeit sich nach literarischen Mustern, vornehmlich nach der Artusdichtung richten. Die Tjost, das Stechen mit eingelegtem Speer, war von Anfang an ein wichtiges Eröffnungsmanöver im Massenturnier und tritt seit dem 12. Jh. auch als Einzelkampf auf. In der Dichtung des 13. Jhs. tritt das Einzelstechen -- als dritte Hauptart des Waffenspiels neben turnei und bûhurt -- überaus häufig hervor. Einzelstechen und Nachahmung der Literatur fallen zusammen im Waffenspiel der 'Tafelrunde' (tabula rotunda, table rëonde, runttâfel), das von der 1. Hälfte des 13. Jhs. an bezeugt ist. Es besteht aus einer Reihe von Einzelkämpfen mit stumpfer Lanze. Diese noch stärker von spielerischen Zügen geprägte und von literarischen Vorbildern beeinflußte Sonderform des ritterlichen Turniers scheint weniger gefährlich gewesen zu sein als die herkömmliche Art. In diesem Spiel führten die Ritter die alten Namen aus dem Artuskreis und das festliche Gastmahl und die Anwesenheit der Damen nahmen schon früh eine hervorragende Bedeutung ein. Auch im deutschen Bereich war dieses Spiel offenbar sehr beliebt (Tafelrundenturniere in Deutschland: Mitte 13. Jh. in Braunschweig, 1281 in Magdeburg).
Die frühesten turnei-Belege erscheinen in Bearbeitungen der französischen höfischen Epik. In Deutschland wie in Frankreich wurde die höfische Epik in ihren Anfängen wohl hauptsächlich an den nicht königlichen Fürstenhöfen gepflegt. Die vermutlich früheste Darstellung eines Turniers in der deutschen Dichtung bietet der »Erec« Hartmanns von Aue (wahrscheinliche Entstehungszeit zwischen 1180 und 1190).
Das Turnier im »Erec« wird von Gawein, dem ersten Ritter am Artushof, und vier anderen Rittern unternommen und drei Wochen im Voraus auf einen Monat festgelegt. Erecs Ausrüstung wird ausführlich geschildert und das fröhliche Treiben der Ritter in ihren Herbergen am Sonnabend vor dem Turnier erwähnt. Am Sonntag finden Einzeltjoste und eine vespereide (eine Art formlosen Turnierens zum Einüben) statt. Vor dem Turnier am Montag besuchen die Ritter eine Messe und nach weiteren Einzeltjosten beginnt das eigentliche Turnier. Es handelt sich dabei um einen Massenkampf der beiden Heere mit Speer und Schwert, wobei die Ritter voll geharnischt sind. Erec wird von fünfzehn Knappen zum Turnier begleitet, die eine leichte Rüstung tragen und mit Keulen bewaffnet sind. Erec geht es nur um die eigene Ehre, nicht um materiellen Gewinn. Diesen erhalten Erecs Gesellen, die von seinem Erfolg profitieren. Am Schluß des Turniers fordert Erec einen Gegner zu einem Speerkampf zu Ehren seiner Dame heraus. Am Ende des Turniers hat Erec faustgroße Löcher in seinem Schild.
Hartmanns Werke markieren den Aufstieg des Wortes ritter in der Dichtung, das hierdurch im 12. Jh. eine Aufwertung erfährt. Die Verbindung von Rittertum und Turnier (welches Kriegerisches und Höfisches vereint) ist von Hartmanns Werken an durch die mittelalterliche Dichtung hindurch zu verfolgen. Es scheint, daß das Turnier einen ebenso wichtigen Einfluß auf den Rittergedanken ausgeübt hat wie der Kreuzzug. Im Laufe des 13. Jhs. dringt das Turnier in die verschiedensten Dichtungsgattungen ein und entspricht im allgemeinen dem Grundmuster des Massenkampfes wie im »Erec«. Weitgehend wird der Turnierkampf von fünf Motiven bestimmt: aus lauter Lust (durch hôhen muot), aus Hoffnung auf materiellen Gewinn (umb daz guot), im Dienst der Damen (durch diu wîp), um sich militärisch zu üben (durch lernen) und um Ehre zu gewinnen (durch prîs).
Eine Möglichkeit für unbemittelte Ritter, sich zusätzliche Einkünfte zu verschaffen, stellte die Teilnahme an Turnieren dar. Die hohen Aufwendungen vieler großer Herren für die Turniere -- sie konnten durch reiche Turniergewinne keineswegs kompensiert werden -- resultierten aus der Tatsache, daß sie in Begleitung vieler Ritter und mit großem Troß zu den Turnieren reisten, da sie sich mit einer Schar turniererfahrener Ritter umgaben, die bei den Turnieren, an welchen sie teilnahmen, in ihrer Mannschaft kämpften. Diese beinahe professionellen Turnierritter wurden systematisch angeworben und mit beachtlichen Honoraren entlohnt. Etliche Beispiele zeigen, daß die reichen Herren bei Turnierbesuchen bereitwillig die Gelegenheit wahrnahmen durch Taten die von ihnen geforderte Freigebigkeit unter Beweis zu stellen, um so ihren Ruhm zu steigern.
Die Lebensbeschreibung des Guillaume le Maréchal (des vierten Sohnes eines kleinen Ritters) -- keineswegs ein Ausnahmefall in der damaligen Feudalgesellschaft -- schildert die Welt der Turniere aus der Sicht eines armen Ritters, der durch seine persönliche Tapferkeit und seine erfolgreiche Karriere als bekannter Turnierritter zu Ansehen und Reichtum gelangt und schließlich Earl of Pembroke und Regent von England wird. Er zieht als unbelehnter Ritter durch die Lande und wird ein geschätzter Begleiter des jungen englischen Königs Heinrich, mit dem zusammen er jahrelang viele Turniere in Frankreich besucht. Als er sich zeitweise mit Heinrich überwirft und sich nach einem anderen Partner umsieht, erhält er vom Grafen von Flandern das glänzende Angebot auf 500 Pfund Jahresgehalt. Zeitweise macht er Roger de Gaugi, einen flämischen Ritter, zu seinem Kompagnon, mit dem zusammen er noch größere Erfolge erzielt: binnen zehn Monaten geling es diesem eingespielten Turniergespann allein 103 Ritter gefangenzunehmen. Wie Guillaume le Maréchal zogen viele junge Ritter, die entweder ihr väterliches Erbe noch nicht antreten konnten oder auch keine Aussicht auf Erbgut hatten, von Turnier zu Turnier, ständig auf der Suche nach Turniergewinnen, lukrativen Stellungen oder reichen Erbtöchtern.
Die jungen unverheirateten Ritter (iuvenes milites) -- außer armen Rittern besuchten auch viele Ritter in der Lebensspanne zwischen ihrer Schwertleite und der Übernahme ihres väterlichen Erbes, was meistens mit einer standesgemäßen Verheiratung zusammenfiel, die Turniere -- stellten offenbar das Gros der aktiven Turnierteilnehmer. Entweder schlossen sie sich einem reichen Herrn an oder vereinigten sich in einer Rittergesellschaft, die als solche in Turnieren und Fehden auftrat und für ein gemeinsames wirtschaftliches Auskommen sorgte.
Das Turnier war hinsichtlich der Beherbergung der Ritter und ihrer Begleiter und des Verschleißes an Rüstung und Waffen mit hohen Kosten verbunden. Die Praxis des Lösegeldes erhöhte das finanzielle Risiko, ermöglichte aber auch Gewinn, und in der Dichtung treten Ritter auf, für die das Turnier eine wichtige Einnahmequelle ist, und solche, die aufgrund von Turnierverlusten dem Ruin nahestehen. Lösegeld und Beute sind ein empfindlicher Punkt im Ethos des Turniers in der Dichtung und waren es wohl auch in der realen Praxis. Sie stellen einerseits die Möglichkeiten eines ehrenhaften Erwerbs dar, drohen das Turnier aber andererseits in die Nähe zur Fehdeführung, sogar zum Raubrittertum zu rücken. Eine ethische Lösung des Problems des Lösegelds bietet sich in der Dichtung darin, daß der siegreiche Ritter auf Beute und Gefangennahme verzichtet, Gefangene ohne Lösegeld freiläßt und erbeutete Pferde an ärmere Ritter und Knappen verteilt. In der Dichtung wird somit das Turnieren um materiellen Gewinn für ärmere Ritter gutgeheißen, während wohlhabendere Ritter -- und der jeweilige Held -- Ehre gewinnen, indem sie ihren Großmut zeigen und eher darauf bedacht sind, möglichst viele Lanzen zu brechen als Beute zu machen. Das immer wiederkehrende Motiv der Freigebigkeit des Siegers ist ein literarischer Ausdruck des Ideals der Gruppensolidarität zwischen den verschiedenen Schichten des Rittertums und des Adels und nimmt besonders im Artusroman extreme Formen an, wo es unter die Kontrolle eines idealen ritterlichen Herrschers fällt, durch dessen Freigebigkeit und Hofsitte es sich in das harmonische, freudige Leben des Hofes einfügt.
Der zunehmende Festcharakter des Turniers wirkte als Magnet für ein Publikum von vornehmen Zuschauern und vor allem von adeligen Frauen, die für die Turniere ein reges Interesse entwickelten. Von den Tribünen schauten letztere mit gespannter Aufmerksamkeit zu, verteilten Preise und Gunstbezeugungen an die besten Turnierkämpfer und standen im Mittelpunkt von Festmahl und Bankett. Sie haben die Streiter häufig angespornt, sich an Tapferkeit und Kühnheit selbst zu überbieten, so daß in diesem Wechselspiel ein starker erotischer Reiz wirksam war. Dieser scheint bei vielen Beispielen nicht unbedingt den Regeln 'höfischer' Liebe (regulae amoris) entsprochen zu haben. Turnier und höfische Liebe sind ihrer Herkunft nach unterschiedliche Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Gleichwohl weisen sie eine innere Verwandtschaft auf: beide zeigen den gleichen Sinn für die hochstilisierte Form, beide verlangen die Einhaltung fester, geradezu künstlich ausgestalteter Regeln, und die höfische Liebe konnte -- wenn auch auf andere Weise als das Turnier -- gleichwohl gefährlich sein. Um 1300 gewannen die Begleitveranstaltungen des Turniers wie Festmähler, Tanzdarbietungen und Umzüge eine große Bedeutung und drängten die eigentlichen Kampfspiele in den Hintergrund.
Anfang des 13. Jhs. wurden die Turniere zum Treffpunkt von Kaufleuten, Geldverleihern und mancherlei Volk, die alle aus diesen Zusammenkünften der Ritter einen Gewinn zu ziehen hofften. Die Hauptgeldgeber für die Turniere waren mächtige Herren und Fürsten, die sich unter großem Aufwand mit glänzenden Turniermannschaften umgaben. Durch die Turniere wurde insoweit das Geld, das sich reiche Feudalherren angehäuft hatten, ausgleichend unter die Ritterschaft verteilt. Wie im Krieg und bei wirklichen Kämpfen wollten die Ritter beim Turnier vor allem gewinnen und sich Beute in Gestalt von Pferden, Rüstungen und Lösegeld sichern. Geschäftstüchtige Kaufleute schafften Nahrungsmittel und Konsumgüter des gehobenen Bedarfs herbei, kauften und verkauften Pferde und ritterliches Ausrüstungsmaterial, gewährten Rittern, die in Geldbedrängnis geraten waren, Darlehen oder vermittelten Lösegelder zum Freikauf von Gefangenen. Im Umfeld des Turniers findet man außer dem Adel auch das stadtbürgerliche und bäuerliche Element vertreten, das durch solche Glanzpunkte der ritterlichen Oberschicht angezogen wurde und in großer Zahl zusammenströmte. Neben den Kaufleuten und Krämern mit ihren Verkaufsständen verstärkte die Anwesenheit von zahlreichen Sängern, Dichtern, Musikanten, Jongleuren und fahrenden Leuten, die hier ihr Glück versuchten, das bunte jahrmarktähnliche Treiben. Zu erwähnen sind noch die Krogierer (»Turnierrufer«), die Vorläufer der Herolde, landfahrende Personen, die über große Erfahrung in Turnierdingen verfügten, von Turnier zu Turnier reisten und die ankommenden Ritter durch Zuruf begrüßten. Für große Herren und professionelle Turnierritter erwies es sich als nützlich, sich gerade den Krogierern und Spielleuten gegenüber spendabel zu zeigen, da diese den Ruhm ihrer Gönner im ganzen Land verbreiten halfen.
Die Ausrüstung des einzelnen Turnierritters in Gestalt von teuren Turnierpferden, ausgesuchten Turnierwaffen, kostbarem Helm -, Wappen- und Pferdeschmuck und prachtvollen Übergewändern wurde ebenfalls aufwendiger und kostspieliger. Diese hohen Ausgaben dürften in den meisten Fällen nicht mehr durch lohnende Turnierbeute ausgeglichen worden sein, obwohl ein geschickter Turnierritter auch jetzt noch seinen materiellen Gewinn aus erbeuteten Pferden und Rüstungen und aus gewonnenen Turnierpreisen ziehen konnte. Unbemittelten Glücksrittern bot sich bei diesen exklusiven Treffen der vornehmen Adelswelt allerdings die Chance, Lehen und Ämter im Dienst reicher Herren zu erhalten, vorteilhafte Beziehungen zu einflußreichen Personen zu knüpfen oder reiche Erbtöchter für eine Heirat zu gewinnen. Das Turnier war demnach nicht nur ein Austragungsort für einen exklusiven Kampfsport, sondern zugleich Kommunikationszentrum, Heiratsmarkt und gesellschaftlicher Treffpunkt der adeligen Oberschicht.
Zusammengestellt von Edeltraud C. Beckers aus:
»Das ritterlicher Turnier im Mittelalter«, Beiträge zu einer vergleichenden Formen - und Verhaltensgeschichte des Rittertums
herausgegeben von Josef Fleckenstein, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, 1985, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 80, ISBN 3-525-35396-0
--- 'Das Turnier als höfisches Fest im hochmittelalterlichen Deutschland',
Josef Fleckenstein, S.229-256
--- 'Das Turnier in der deutschen Dichtung des Mittelalters',
William Henry Jackson, S.257-295
--- 'Ritterliche Wirtschaftsverhältnisse und Turnier im sozialen Wandel des Hochmittelalters',
Werner Rösener, S.296-338
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