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Charch schrieb am 31.8. 2000 um 19:14:48 Uhr über

Mittelalter

Die höfische Liebe

Hinsichtlich dessen was »höfische Liebe« ist herrscht unter den Wissenschaftlern Uneinigkeit. So kann es nicht darum gehen eine endgültige Beurteilung zu manifestieren, sondern die einzelnen Aspekte der »Minne« zu analysieren und diskutieren, vorbehaltlich weiterer Untersuchungen zu diesem Thema.

Es sieht so aus, daß eine Vielzahl von Faktoren am Entstehen des »höfischen« Liebeskonzepts beteiligt war, wie z.B. die konzeptionellen Vorstufen bzw. Grundlagen (Augustin, Neuplatinismus, Mystik), die literarischen Traditionen, auf denen der Minnesang aufbaute (z.B. Ovid, mittellateinische Briefkultur, Liturgie, Panegyrik) sowie sozial-, bildungs-, kirchengeschichtliche Veränderungen und sozialpsychologische Strukturen im 11. u. 12. Jh.. Die Vielfalt der recht unterschiedlichen Merkmale »höfischer Liebe« weisen auf den entscheidenden Aspekt hin, daß man es mit keiner festumrissenen Liebestheorie zu tun hat, sondern mit einer »höfischen« Diskussion über höfisches Liebesverhalten. Diese Diskussion umspannt einen weiten, teilweise konträren Themenkreis, u.a. sittliche Vervollkommnung durch die Liebe, ehebrecherische Liebe, hartherzige Minnedame, Allmacht des Gottes Amor, erfüllte Liebe, völlige Unterwerfung unter den Willen der umworbenen Dame, Fernliebe, ritterliche Abenteuer im Dienste einer Dame, Liebe in Troubadourliedern, Liebe bei verschiedenen Schriftstellern / Dichtern, doch in der Zielsetzung, auf ein vorbildhaftes Verhalten hinzuweisen, stimmen die unterschiedlichen Perspektiven der meisten Dichter überein. Jedes Lied, jeder Roman hat teil an dem Diskurs der »höfischen« Gesellschaft über das Ideal rechten Liebens und muß als Teil einer auf eine kleine Elite beschränkten Diskussion gesehen werden, welche im 12. Jh. noch ständig im Fluß ist, die stets neue Korrekturen an dem erreichten Diskussionsstand vornimmt, die in spielerisch - witziger Weise und zuweilen in lehrhafter Manier die Frage umkreist: Wie ist die wahre Liebe zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts zu bestimmen?

Vor dem 13. Jh. sind präzise und umfassende Liebesdefinitionen in der Volkssprache nicht greifbar. Deshalb tut sich die Forschung schwer, die »höfische Liebe« und ihre Position gegenüber anderen mittelalterlichen Liebeskonzeptionen zu bestimmen. Im folgenden sollen einige grundlegende Merkmale »höfischer Liebe« vorgestellt werden, was nicht heißt, daß alle oder nur diese Elemente in einer » höfischen Liebesdichtung« in Erscheinung treten, doch finden diese sich in der Trobadorlyrik, im deutschen Minnesang, in den nordfranzösischen Artusromanen und Erzählungen sowie in provenzialischen Minnetraktaten. Bei diesen Merkmalen, die die ideale Liebe in volkssprachlichen Dichtungen des 12. u. 13. Jhs. kennzeichnen, handelt es sich um Zielvorstellungen deren »Weltfremdheit« die Minnesänger selbst immer wieder eingestehen müssen, auch wenn sie dieses anvisierte ideale Liebesverhalten zuweilen schon als von ihnen verwirklicht ausgeben.

1. Zielvorstellungen

Trobadors wie Minnesänger vertreten immer wieder die Auffassung, die wahre Liebe zu einer Dame lasse keine Liebesbeziehung zu einer weiteren Frau zu, eine Forderung, die umgekehrt auch für die Frau gilt. Unbeirrt hält die wahre, rechte Liebe an einem einzigen Partner fest, gleichgültig ob es sich um den eigenen Ehepartner oder um eine außereheliche Beziehung handelt.

Einer vorbildhaften Liebesbeziehung wird Dauerhaftigkeit (staete) als Wert zuerkannt. Dieser einhellig von Minnesang und Roman vertretenen Auffassung eines Idealbildes rechten Liebens stehen die Klagen über unstete, wechselnde und mehrfache Liebes- und Ehebeziehungen in den historischen mittelalterlichen Quellen gegenüber.

Liebende Hinwendung zu einem Menschen setzt voraus, daß es dieser mit seiner (erwidernden) Liebe ernst meint und nicht Liebe vortäuscht, in der Wirklichkeit aber nur schnellen Liebesgenuß sucht und somit den Partner als Objekt mißbraucht. Die Lauterkeit der Liebe bildet einen unverzichtbaren Bestandteil »höfischer« Liebe. Verlaß ist allein auf das treue, reine Herz und die inneren Vorzüge eines Menschen. Die Kontrastierung von »Innen« und »Außen« prägt den »höfischen« Diskurs entscheidend; Liebe wird ganz ´von innen´ her definiert.

In der »höfischen« Liebe sieht sich der Mann sich selbst gegenübergestellt und reflektiert über den Wert, der im liebenden Dienen selbst schon bereitliegt. Der »höfische« Diskurs versucht zwischen den beiden Extrempositionen - rein sexuelle Genußliebe / Verzichtliebe - zu vermitteln, immer wieder den Zwiespalt zwischen begehrendem Verlangen nach sexuelle Erfüllung sowie der Selbstkontrolle durch Verstand und neue sittliche Ideale zu thematisieren. In der Diskussion dieses Zwiespalts konnte ein neues Bewußtsein angeregt werden. Nach Rüdiger Schnell ist genau in diesem Weder - Noch der konzeptionelle Kern der »höfischen« Liebe zu fassen. Dieser jahrzehntelang anhaltende Diskurs über die rechte, wahre Liebe ist als ein bedeutsamer zivilisatorischer Vorgang zu werten. »Höfische« Liebe ist nicht Verzichtliebe, sondern geglückter Einklang zwischen egozentrischem, physisch - sinnlichem Begehren und selbstloser, nur am Wohl des Partners sich orientierende Liebe. Erst der Wille zur Harmonisierung der beiden Extrempositionen macht den »höfischen« Liebhaber aus. (S. 252/3)


Der Diskurscharakter der »höfischen« Liebe zeigt sich gerade daran, daß neben dem zuweilen verkündeten Ideal der Verzichtliebe sehr wohl die Forderung nach Gegenseitigkeit in der Liebe stehen kann, sogar in ein und demselben Lied. Einseitiges Liebeswerben und glückliche, erfüllte Liebe sind als zwei Perspektiven desselben Liebeskonzeptes zu betrachten.

»Höfische« Liebe ist aus freier Entscheidung geschenkte Liebe. Die Freiwilligkeit als wesentlichem Element des Sittlichen wurde seit Aristoteles bis ins Mittelalter hinein stetige Wert- schätzung zuteil. Gerade auch in kirchlich-religiösen Schriften erlangt die Freiwilligkeit einer Handlung, einer Beziehung oder einer Lebensweise entscheidende Bedeutung für deren Bewertung. Doch scheint es eine institutionalisierte Form sexueller Beziehung zu geben, die, von der Kirche sanktioniert, der »höfischen« Liebesauffassung zutiefst widersprechen scheint: die Ehe. Die cortly love Forschung wird nicht müde auf diesen Gegensatz von »höfischer« freiwilliger Liebe und kirchlich verordneter ehelicher Pflicht hinzuweisen. Dabei kann sie sich auf lateinische und volkssprachliche Quellen berufen, die die aus freien Willen geschenkte Liebe über die dem Ehepartner geschuldete sexuelle Hingabe stellen (u.a. Streitgedichte, Heloise, Andreas Capellanus, Richard von Fournival) Chretien de Troyes hat aber in seinen Romanen »Erec et Enide«, »Yvain«, »Cliges« und »Perceval« eine Verschmelzung von frei sich schenkender Liebe und eheliche Beziehung angestrebt. Als Enide, Erecs Gattin, von einem Grafen gefragt wird, ob sie die Frau oder Freundin ihres Begleiters sei, antwortet sie: »BeidesGeliebte und Gattin bilden hier keinen Gegensatz mehr.

»Höfisches« Lieben ist nicht denkbar ohne Maß, Mäßigung (mezura = feine, kultivierte Rede), vernunftbestimmtes Verhalten, Mäßigung der Affekte. In diesem Punkt scheinen »höfische« Liebe und christliche Morallehre übereinzustimmen: beide zielen auf Mäßigung, Zügelung, Beherrschung des Sexuellen zugunsten eines von der ratio bestimmten Verhaltens. Es gibt innerhalb der Trobadorlyrik durchaus unterschiedliche Äußerungen zum Verhältnis von Liebe und Vernunft. Während etwa Marcabru für eine Kontrolle der Liebe durch Vernunft eintritt, verkündet Bernhard von Ventadorn, das Vernunft in der Liebe nichts zu schaffen habe, er preist die Liebe als alles beherrschende Macht, die sogar den Verstand raubt, eine Auffassung die auch Troveres, deutsche Minnesänger und Romanautoren vertreten. Wenn in diesen Textbeispielen Maß und Vernunft als unvereinbar mit Liebe gelten, kann tatsächlich der Eindruck entstehen, daß die "höfische Liebe der von Moraltheologen verurteilten sinnlichen Leidenschaft entspricht, denn als wesentliches Kriterium sexueller Begierde nennen die kirchlichen Autoren immer wieder Maßlosigkeit und den Verlust der Vernunft (moraltheologische Verurteilung sexueller Liebe als eine Fesselung des Geistes durch den Körper). So verwundert es, daß einige Minnesänger gerade den Aspekt der Unvernunft und Torheit ihrer Liebe unablässig thematisieren.

Nach moraltheologischer Auffassung kommt die Gefangenschaft des Liebenden dadurch zustande, daß der Verstand unter der Herrschaft des Fleisches gerät (ausschließliche Ausrichtung des Menschen auf die Befriedigung des Sexualtriebes). Die von Trobadors und Troveres besungene »Gefangenschaft« der Liebenden meint dagegen etwas völlig anderes: der Liebende - von der Macht Amors gezwungen - richtet sein Liebesbegehren dorthin wo Leid und Schmerz ihn erwarten, wo der Lohn nur ein Blick und die Gesprächsbereitschaft der Dame winken. Offensichtlich ist die in den Trobadorliedern besungene Liebe mit anderen Maßstäben zu messen als mit denen des »normalen« Menschenverstandes, demnach es »vernünftig wäre Liebesgenuß anzustreben anstelle einer entbehrungsreichen Liebesbeziehung. Der Außenwelt erscheint der «höfisch» Liebende wegen seiner Ausrichtung des Werbens, nämlich dort zu lieben, wo keine Gegenliebe zu finden ist, als Tor. Die in den Trobadorliedern verkündete Gefangenschaft durch Amors befähigt den Liebenden zur Niederwerfung «niederer» sinnlicher Triebe, verhilft ihn zum Sieg über die bloß «fleischliche" Liebe.

Die von kirchlicher Seite verurteilte Gefangenschaft der ratio durch den sensualitas wird bei den Trobadors umgeformt zur positiv verstandenen Unterwerfung des wahrhaft Liebenden unter die Macht Amors. Obwohl also Moraltheologen wie Trobadors und Troveres von Gefangen-schaft und Knechtschaft des Verstandes in der sinnlichen Liebe sprechen, meinen beide Seiten etwas völlig Verschiedenes. Dies rührt daher, daß die Minnesänger eine andere Liebeskonzeption und eine andere Auffassung von der Frau (sie ist nicht Verführung zur »fleischlichen« Sünde) besitzen. Somit lassen sich scheinbar konträre Äußerungen (B. von Ventadorn: »in der Liebe hat Vernunft keinen Platz«, Marcabru, Piere d´Auvergne: »in der Liebe muß Maß und Vernunft herrschen«) unter einen gemeinsamen Nenner bringen. Bernhards Liebesideal meint eben nicht das von Marcabru kritisierte unkontrollierte sexuelle Verhalten sich in tierisch - triebhafter Manier seinen Begierden hinzugeben und Maß sowie Vernunft vermissen zu lassen.

Liebe, die kaum mit baldiger Erfüllung des sexuellen Verlangens rechnen darf, erfordert Leidensbereitschaft und Leidensfähigkeit. Immer wieder hören wir die Klagen der Minnesänger, daß es fast übermenschlicher Anstrengungen bedarf, in ihrer sittlich hochstehenden Liebesbeziehung auszuharren. Auch die »höfischen« Romane bieten zahlreiche Beispiele dafür, wie schwer es fällt, den genannten Forderungen zu entsprechen. So stehen sich in der »höfischen« Dichtung Ideal und Wirklichkeit, Soll und Sein, ständig gegenüber. In den zahlreichen und tiefgreifenden Widersprüchen der »höfischen« Liebe auf verschiedenen Ebenen --- im Liebenden selbst, im Verhältnis des Liebenden zur Dame, im Verhältnis der Liebenden zur »höfischen« Gesellschaft --- tritt ihr Wesen deutlich zutage, es ist ein literarisch geführter Diskurs über Voraussetzungen und Ziele wahrer erotischer Liebe. Dieser Diskurs konnte nicht widerspruchsfrei geführt werden, denn der Diskussionsgegenstand selbst, die Liebe, läßt sich nicht in ein festes Schema pressen, und das Ideal der »höfischen« Liebe widersprach in entscheidenden Punkten der gesellschaftlichen Moral. In dem Ringen unterschiedlicher Standpunkte zeigt sich die Tendenz, gegenüber herkömmlichen Verhaltensweisen (schneller Liebesgenuß, Vergewaltigung, Täuschung, rasch wechselnde Liebesbeziehungen etc.) neue Leitbilder zu entwickeln. Nicht das Ideal der »höfischen« Liebe als unerreichte Form wahren Liebens, sondern die literarische Diskussion über die rechte Liebe besaß wohl entscheidende zivilisatorische Bedeutung. Der unfassende Diskurs ist im 12. u. 13. Jh. noch lange nicht an ein Ende gekommen.


2. Widersprüche

Seit dem 12. Jh. war weithin die Auffassung verbreitet, daß einem Menschen nur das als Verdienst oder Verfehlung angerechnet werden könne, was er in freier Entscheidung und freiwillig tue. Zahlreiche Trobadors halten sich viel darauf zugute, daß sie lieber in der wenig aussichtsreichen Liebe zu einer abweisenden, aber vortrefflichen Dame verharren wollen als bei einer anderen, aber nicht so volkommenen Frau sexuelle Freuden zu genießen. Wo aber bleibt der moralische Verdienst, wenn das lyrische Ich von einer überpersönlichen Macht (Amors) zu unbelohntem Liebesdienst gezwungen wird? Wenn mit Amors eine fremde Macht gemeint ist, läßt sich das Festhalten an einer wenig aussichtsreichen Liebesbeziehung kaum als sittlicher Verdienst werten. Verbirgt sich hinter Amors eine Kraft im Menschen selbst, die ihn gegen sein triebhaftes Verlangen nach sexueller Befriedigung in einer wenig Erfolg versprechenden Liebesbindung ausharren läßt, wäre dagegen zu folgern, daß sich das lyrische Ich gegen diese Kraft wehrt, also »höfische« Liebe eine Liebe gegen den Willen wäre. In diesem unaufgelösten Widerspruch spiegelt sich etwas von der Spannung, die den »höfischen« Diskurs insgesamt im 12. Jh. begleitet: eine »weltfremde« Haltung als Ideal begründen zu wollen.

Rascher Liebesgenuß / langes Dienen ist ein Gegensatzpaar dem man in der »höfischen« Dichtung häufig begegnet. »Höfische« Liebe meint weder das extrem asketische Liebesverhalten noch das auf schnellen Liebesgenuß ausgerichtete Taktieren, sondern existiert in dem Widerstreit von Verlangen und Entsagen, der hauptsächlicher Gegenstand des »höfischen« Diskurses über die Liebe ist.



Eine bekannte Grundauffassung »höfischer« Liebe besagt, daß der Mensch durch die Liebe sittlich gebessert werde und die Liebe wird als Quelle alles Guten gepriesen. Andererseits hat in der Literatur häufig den Anschein, daß nur die bereits vortrefflichen Menschen von der sittlichen Macht der Liebe profitieren (z.B. in den Frauenstrophen des Minnesangs).

Zwei unvereinbare Positionen stehen sich bei der immer wieder erhobenen Forderung nach Belohnung des Frauendienstes gegenüber: einerseits wird die Frau gepriesen, die den Minnedienst lohnt, ja ihr wird größere ere in Aussicht gestellt, andererseits erleidet die Frau, die den langen Dienst ihres Verehrers belohnt, einen großen Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens. So manche Frauenstrophe und einige erzählende Dichtungen künden von dem Konflikt zwischen Minnetheorie» und «Minnepraxis", in dem sich eine umworbene Dame gestürzt sieht (Kollision mit kirchlichen und adlig-feudalen Normen).

Die Idealforderungen nach Beständigkeit und Ausschließlichkeit einer Liebesbeziehung schränkten den Spielraum einer Dame noch weiter ein. Je mehr Regeln der »höfische« Diskurs hervorbrachte, desto engere Grenzen waren der Freiheit der Liebe gesetzt.

In den Zielvorstellungen der »höfischen« Liebe waren Ideale avisiert, die mit den Normen der Adelswelt nicht in Einklang zu bringen waren. Diese Widersprüche spiegeln Ausein-
andersetzung zwischen dem Streben nach individuellen Glück und der Respektierung gesellschaftlicher Normen wider. So stehen wir vor dem Paradoxon, daß die »höfische« Gesellschaft eine literarische Utopie förderte, die ihren praktizierten Wertvorstellungen z.T. erheblich widersprach.

Unverkennbar ist das Bestreben, die Liebe in die Gesellschaft zu integrieren, zu einem Teil des »höfischen« Lebens zu machen. Wer »höfisch« ist, zeichnet sich aus durch gesellschaftliche Anerkennung, persönlichen Wert, persönliche Tüchtigkeit, Maß, Verstand, Wissen, Bildung / Kultiviertheit, Demut, Gehorsam; diese Qualitäten zeichnen zugleich den wahren Verehrer einer Dame aus. So verwundert die in der »höfischen« Dichtung ständig wiederholte Forderung nach Geheimhaltung der Liebe. Liebe gilt als höchster gesellschaftlicher Wert und muß doch verschwiegen werden, weil sie, an die Öffentlichkeit gelangt, in ihrer Existenz gefährdet wäre. Möglicherweise bedingen unterschiedliche historische Entwicklungen, die im 12. u. 13. Jh. noch zu keinem Ausgleich gefunden haben, diesen Widerspruch.

Das Ideal der urbanitas, curialitas, hövescheit setzt sich seit dem 10. Jh. mehr und mehr an den Bischofshöfen, dann an den weltlichen Fürstenhöfen durch. Seit dem 11. Jh. gilt der Liebe erhöhtes literarisches Interesse. Im 12. Jh. beeinflußt Ovids Liebesdichtung in hohem Maße die Darstellung der Liebe in der volkssprachlichen und lateinischen Dichtung. Klerikale Verdächtigung der sexuellen Liebe hält dagegen Liebe als bedrohende Macht stets im Bewußtsein (vgl. den Artusroman).


3. Innennormen und »höfische« Gesellschaft

»Höfische« Liebe ist eine Liebe des Herzens, die keiner weiteren Legitimation für eine sexuelle Vereinigung bedarf. Die »höfische« Dichtung bestimmt den Wert eines Menschen mehr und mehr von seinen inneren Vorzügen her: liebende Zuneigung soll aufbauen und triuwe, staetekeit, tugenden, güete, nicht (nur) auf Schönheit, Reichtum oder adliger Herkunft. WahreLiebe zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie vor allem Äußeren, von Besitz, Herkunft und Status absieht: dies deutlich zu machen, darin liegt nach Rüdiger Schnells Auffassung die eigentliche Aufgabe der Reichtum / Liebe - Diskussion innerhalb der Trobadorlyrik.

Die Frage stellt sich, ob die Liebe ganz ihren eigenen Gesetzen und Wünschen leben darf, legitimiert durch die vorzüglichen Eigenschaften und lauteren Absichten der Liebenden, oder ob ihr nicht dort Einhalt zu gebieten war, wo sie mit Außennormen (moralisch und rechtlich geschützten Institutionen: Ehe, Vasallenpflicht, Verbot von Betrug, Ehe zwischen Standesgenossen u.a.) kollidierte.

Berühmtestes Beispiel aus der mittelalterlichen Literatur für diesen Konflikt der Liebe (Innennormen verpflichten) und Außennormen der Gesellschaft ist neben Chretiens »Lancelot« Gottfrieds von Straßburg »Tristan und Isolde«.


Die »höfische« Liebesdichtung sieht sich mit einem grundsätzlichen Dilemma konfrontiert: der »höfische Diskurs entwirft einerseits ein Ideal rechten Liebens, das ganz von Innennormen her bestimmt wird (Beständigkeit, Aufrichtigkeit, Freiwilligkeit, Gegenseitigkeit, Selbstlosigkeit, Leidensfähigkeit), andererseits kann sich die «höfische» Liebesdichtung der ganz andere Wertwelt, des Adels und der Kirche mit ihren eigenen Normen des Handelns (z,B. Ehepartner nur unter Standesgenossen zu auszusuchen) nicht entziehen, was eine konsequente Verwirklichung der «höfischen» Liebe ausschließt. Verständlicherweise tut sich hier eine tiefe Kluft auf zwischen dem neuen revolutionären Ideal einer nur sich selbst gehorchenden Liebe und den Erfahrungs - und Verhaltensnormen des feudalen Alltags. Die Adelsgesellschaft war in ihren Wertvorstellungen sehr stark den Außennormen verpflichtet (Besitz, Herkunft, gesellschaftliche Position, Rangordnung, Sitzordnung, höfisches Zeremoniell u. a.), während die «höfische" Liebe allein nach der inneren Einstellung des Partners fragt, nach dem Innennormen menschlichen Verhaltens.

In der Frage, ob es die »höfische« Liebe als gesellschaftliche Praxis gegeben hat, zeichnet sich zunehmend die Meinung ab, daß der höfische Frauendienst keine gesellschaftliche Realität war; die »höfische« Liebe existierte nur in der Literatur und bildete nur insofern einen Teil der gesellschaftlichen Realität, indem die »höfische« Liebesdichtung vorgetragen wurde.












Die höfische Liebe

Hinsichtlich dessen was »höfische Liebe« ist herrscht unter den Wissenschaftlern Uneinigkeit. So kann es nicht darum gehen eine endgültige Beurteilung zu manifestieren, sondern die einzelnen Aspekte der »Minne« zu analysieren und diskutieren, vorbehaltlich weiterer Untersuchungen zu diesem Thema.

Es sieht so aus, daß eine Vielzahl von Faktoren am Entstehen des »höfischen« Liebeskonzepts beteiligt war, wie z.B. die konzeptionellen Vorstufen bzw. Grundlagen (Augustin, Neuplatinismus, Mystik), die literarischen Traditionen, auf denen der Minnesang aufbaute (z.B. Ovid, mittellateinische Briefkultur, Liturgie, Panegyrik) sowie sozial-, bildungs-, kirchengeschichtliche Veränderungen und sozialpsychologische Strukturen im 11. u. 12. Jh.. Die Vielfalt der recht unterschiedlichen Merkmale »höfischer Liebe« weisen auf den entscheidenden Aspekt hin, daß man es mit keiner festumrissenen Liebestheorie zu tun hat, sondern mit einer »höfischen« Diskussion über höfisches Liebesverhalten. Diese Diskussion umspannt einen weiten, teilweise konträren Themenkreis, u.a. sittliche Vervollkommnung durch die Liebe, ehebrecherische Liebe, hartherzige Minnedame, Allmacht des Gottes Amor, erfüllte Liebe, völlige Unterwerfung unter den Willen der umworbenen Dame, Fernliebe, ritterliche Abenteuer im Dienste einer Dame, Liebe in Troubadourliedern, Liebe bei verschiedenen Schriftstellern / Dichtern, doch in der Zielsetzung, auf ein vorbildhaftes Verhalten hinzuweisen, stimmen die unterschiedlichen Perspektiven der meisten Dichter überein. Jedes Lied, jeder Roman hat teil an dem Diskurs der »höfischen« Gesellschaft über das Ideal rechten Liebens und muß als Teil einer auf eine kleine Elite beschränkten Diskussion gesehen werden, welche im 12. Jh. noch ständig im Fluß ist, die stets neue Korrekturen an dem erreichten Diskussionsstand vornimmt, die in spielerisch - witziger Weise und zuweilen in lehrhafter Manier die Frage umkreist: Wie ist die wahre Liebe zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts zu bestimmen?

Vor dem 13. Jh. sind präzise und umfassende Liebesdefinitionen in der Volkssprache nicht greifbar. Deshalb tut sich die Forschung schwer, die »höfische Liebe« und ihre Position gegenüber anderen mittelalterlichen Liebeskonzeptionen zu bestimmen. Im folgenden sollen einige grundlegende Merkmale »höfischer Liebe« vorgestellt werden, was nicht heißt, daß alle oder nur diese Elemente in einer » höfischen Liebesdichtung« in Erscheinung treten, doch finden diese sich in der Trobadorlyrik, im deutschen Minnesang, in den nordfranzösischen Artusromanen und Erzählungen sowie in provenzialischen Minnetraktaten. Bei diesen Merkmalen, die die ideale Liebe in volkssprachlichen Dichtungen des 12. u. 13. Jhs. kennzeichnen, handelt es sich um Zielvorstellungen deren »Weltfremdheit« die Minnesänger selbst immer wieder eingestehen müssen, auch wenn sie dieses anvisierte ideale Liebesverhalten zuweilen schon als von ihnen verwirklicht ausgeben.

1. Zielvorstellungen

Trobadors wie Minnesänger vertreten immer wieder die Auffassung, die wahre Liebe zu einer Dame lasse keine Liebesbeziehung zu einer weiteren Frau zu, eine Forderung, die umgekehrt auch für die Frau gilt. Unbeirrt hält die wahre, rechte Liebe an einem einzigen Partner fest, gleichgültig ob es sich um den eigenen Ehepartner oder um eine außereheliche Beziehung handelt.

Einer vorbildhaften Liebesbeziehung wird Dauerhaftigkeit (staete) als Wert zuerkannt. Dieser einhellig von Minnesang und Roman vertretenen Auffassung eines Idealbildes rechten Liebens stehen die Klagen über unstete, wechselnde und mehrfache Liebes- und Ehebeziehungen in den historischen mittelalterlichen Quellen gegenüber.

Liebende Hinwendung zu einem Menschen setzt voraus, daß es dieser mit seiner (erwidernden) Liebe ernst meint und nicht Liebe vortäuscht, in der Wirklichkeit aber nur schnellen Liebesgenuß sucht und somit den Partner als Objekt mißbraucht. Die Lauterkeit der Liebe bildet einen unverzichtbaren Bestandteil »höfischer« Liebe. Verlaß ist allein auf das treue, reine Herz und die inneren Vorzüge eines Menschen. Die Kontrastierung von »Innen« und »Außen« prägt den »höfischen« Diskurs entscheidend; Liebe wird ganz ´von innen´ her definiert.

In der »höfischen« Liebe sieht sich der Mann sich selbst gegenübergestellt und reflektiert über den Wert, der im liebenden Dienen selbst schon bereitliegt. Der »höfische« Diskurs versucht zwischen den beiden Extrempositionen - rein sexuelle Genußliebe / Verzichtliebe - zu vermitteln, immer wieder den Zwiespalt zwischen begehrendem Verlangen nach sexuelle Erfüllung sowie der Selbstkontrolle durch Verstand und neue sittliche Ideale zu thematisieren. In der Diskussion dieses Zwiespalts konnte ein neues Bewußtsein angeregt werden. Nach Rüdiger Schnell ist genau in diesem Weder - Noch der konzeptionelle Kern der »höfischen« Liebe zu fassen. Dieser jahrzehntelang anhaltende Diskurs über die rechte, wahre Liebe ist als ein bedeutsamer zivilisatorischer Vorgang zu werten. »Höfische« Liebe ist nicht Verzichtliebe, sondern geglückter Einklang zwischen egozentrischem, physisch - sinnlichem Begehren und selbstloser, nur am Wohl des Partners sich orientierende Liebe. Erst der Wille zur Harmonisierung der beiden Extrempositionen macht den »höfischen« Liebhaber aus. (S. 252/3)


Der Diskurscharakter der »höfischen« Liebe zeigt sich gerade daran, daß neben dem zuweilen verkündeten Ideal der Verzichtliebe sehr wohl die Forderung nach Gegenseitigkeit in der Liebe stehen kann, sogar in ein und demselben Lied. Einseitiges Liebeswerben und glückliche, erfüllte Liebe sind als zwei Perspektiven desselben Liebeskonzeptes zu betrachten.

»Höfische« Liebe ist aus freier Entscheidung geschenkte Liebe. Die Freiwilligkeit als wesentlichem Element des Sittlichen wurde seit Aristoteles bis ins Mittelalter hinein stetige Wert- schätzung zuteil. Gerade auch in kirchlich-religiösen Schriften erlangt die Freiwilligkeit einer Handlung, einer Beziehung oder einer Lebensweise entscheidende Bedeutung für deren Bewertung. Doch scheint es eine institutionalisierte Form sexueller Beziehung zu geben, die, von der Kirche sanktioniert, der »höfischen« Liebesauffassung zutiefst widersprechen scheint: die Ehe. Die cortly love Forschung wird nicht müde auf diesen Gegensatz von »höfischer« freiwilliger Liebe und kirchlich verordneter ehelicher Pflicht hinzuweisen. Dabei kann sie sich auf lateinische und volkssprachliche Quellen berufen, die die aus freien Willen geschenkte Liebe über die dem Ehepartner geschuldete sexuelle Hingabe stellen (u.a. Streitgedichte, Heloise, Andreas Capellanus, Richard von Fournival) Chretien de Troyes hat aber in seinen Romanen »Erec et Enide«, »Yvain«, »Cliges« und »Perceval« eine Verschmelzung von frei sich schenkender Liebe und eheliche Beziehung angestrebt. Als Enide, Erecs Gattin, von einem Grafen gefragt wird, ob sie die Frau oder Freundin ihres Begleiters sei, antwortet sie: »BeidesGeliebte und Gattin bilden hier keinen Gegensatz mehr.

»Höfisches« Lieben ist nicht denkbar ohne Maß, Mäßigung (mezura = feine, kultivierte Rede), vernunftbestimmtes Verhalten, Mäßigung der Affekte. In diesem Punkt scheinen »höfische« Liebe und christliche Morallehre übereinzustimmen: beide zielen auf Mäßigung, Zügelung, Beherrschung des Sexuellen zugunsten eines von der ratio bestimmten Verhaltens. Es gibt innerhalb der Trobadorlyrik durchaus unterschiedliche Äußerungen zum Verhältnis von Liebe und Vernunft. Während etwa Marcabru für eine Kontrolle der Liebe durch Vernunft eintritt, verkündet Bernhard von Ventadorn, das Vernunft in der Liebe nichts zu schaffen habe, er preist die Liebe als alles beherrschende Macht, die sogar den Verstand raubt, eine Auffassung die auch Troveres, deutsche Minnesänger und Romanautoren vertreten. Wenn in diesen Textbeispielen Maß und Vernunft als unvereinbar mit Liebe gelten, kann tatsächlich der Eindruck entstehen, daß die "höfische Liebe der von Moraltheologen verurteilten sinnlichen Leidenschaft entspricht, denn als wesentliches Kriterium sexueller Begierde nennen die kirchlichen Autoren immer wieder Maßlosigkeit und den Verlust der Vernunft (moraltheologische Verurteilung sexueller Liebe als eine Fesselung des Geistes durch den Körper). So verwundert es, daß einige Minnesänger gerade den Aspekt der Unvernunft und Torheit ihrer Liebe unablässig thematisieren.

Nach moraltheologischer Auffassung kommt die Gefangenschaft des Liebenden dadurch zustande, daß der Verstand unter der Herrschaft des Fleisches gerät (ausschließliche Ausrichtung des Menschen auf die Befriedigung des Sexualtriebes). Die von Trobadors und Troveres besungene »Gefangenschaft« der Liebenden meint dagegen etwas völlig anderes: der Liebende - von der Macht Amors gezwungen - richtet sein Liebesbegehren dorthin wo Leid und Schmerz ihn erwarten, wo der Lohn nur ein Blick und die Gesprächsbereitschaft der Dame winken. Offensichtlich ist die in den Trobadorliedern besungene Liebe mit anderen Maßstäben zu messen als mit denen des »normalen« Menschenverstandes, demnach es »vernünftig wäre Liebesgenuß anzustreben anstelle einer entbehrungsreichen Liebesbeziehung. Der Außenwelt erscheint der «höfisch» Liebende wegen seiner Ausrichtung des Werbens, nämlich dort zu lieben, wo keine Gegenliebe zu finden ist, als Tor. Die in den Trobadorliedern verkündete Gefangenschaft durch Amors befähigt den Liebenden zur Niederwerfung «niederer» sinnlicher Triebe, verhilft ihn zum Sieg über die bloß «fleischliche" Liebe.

Die von kirchlicher Seite verurteilte Gefangenschaft der ratio durch den sensualitas wird bei den Trobadors umgeformt zur positiv verstandenen Unterwerfung des wahrhaft Liebenden unter die Macht Amors. Obwohl also Moraltheologen wie Trobadors und Troveres von Gefangen-schaft und Knechtschaft des Verstandes in der sinnlichen Liebe sprechen, meinen beide Seiten etwas völlig Verschiedenes. Dies rührt daher, daß die Minnesänger eine andere Liebeskonzeption und eine andere Auffassung von der Frau (sie ist nicht Verführung zur »fleischlichen« Sünde) besitzen. Somit lassen sich scheinbar konträre Äußerungen (B. von Vent




aus »Curialitas«
Rüdiger Schnell: »Die höfische Liebe als höfischer Diskurs über Liebe«, S. 231 - 301
zusammengefaßt von Edeltraud C. Beckers




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