Das »finstere Mittelalter« war nicht ganz so finster, wie es oft dargestellt wird und hat seinen schlechten Ruf nicht wirklich verdient. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: natürlich fehlte es im Mittelalter nicht an allerlei Schrecken und Exzessen der Grausamkeit: es gab Kriege, Massaker, Folter, religiösen Fundamentalismus. Doch alle schlechten Dinge, die man ganz speziell dem Mittelalter ankreidet, gab es in der (besonders seit Winckelmann und Goethe) idealisierten Antike auch (man denke nur an die mit äußerster Härte geführten Punischen Kriege oder die Völkermorde, die auf das Konto Julius Cäsars gehen), und die Neuzeit hat auch einiges an Greueln zu bieten: den siebenjährigen Krieg (den man eigentlich den ersten Weltkrieg nennen sollte), die beiden »offiziellen« Weltkriege, die Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten, und auch der Hexenwahn erreichte seinen Höhepunkt nicht im Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit.
Dann wird dem Mittelalter gern eine besondere geistige Verödung nachgesagt, ein Rückschritt auf dem Gebiet der Wissenschaften, es gilt als Zeitalter des Aberglaubens und der Unwissenheit, in der alle Welt annahm, daß die Erde eine Scheibe sei. Tatsächlich waren die Gelehrten des Mittelalters aber klüger als vielfach angenommen, die Kugelgestalt der Erde etwa war in gebildeten Kreisen wohl bejannt und wurde kaum angezweifelt (wer's nicht glaubt, möge Dantes »Göttliche Komödie« lesen und sich dabei gleich nach davon überzeugen, daß Dante auch wußte, wie eine Sonnenfinsternis entsteht). Und die Künstler des Mittelalters brachten großartiges hervor, besonders die Dichter: neben dem schon erwähnten Dante sei etwa ein Wolfram von Eschenbach mit seinem wunderbaren »Parzival« erwähnt. Das Mittelalter verdient es also, etwas gerechter betrachtet zu werden.
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