Die junge blonde Frau spaziert durch Wien. Sie ist
groß und schlank,hat lange schmale Hände und lange
Beine. Ihr Haar ist leicht gewellt,sie hat eine
hohe Stirn,schmale blaue Augen,eine auch schmale,
gerade Nase, eine helle Hautfarbe, schöne pralle,
nicht zu volle Lippen und ein ausgeprägtes Kinn.
Sie entspricht dem,was die Nazis,die sich ihr Heimatland,leider unter dem Jubel vieler Österrreicher/Innen, einverleibt haben,als »arisch«
verstehen. Die 23 Jahre junge Dame studiert Jus,
Menschen-und Bürgerrechte,Tiere und Natur und
Soziale Gerechtigkeit sind ihr sehr wichtig.
Sie kommt an einem alten Herrn vorbei,der eingeschüchtert auf dem Boden hockt. Er hat
schütteres,ergrautes Haar,eine niedrige Stirn,
ein »fliehendes« Kinn,dunkle Augen,sehr dicke
Lippen und eine große Hakennase.
Frauen,die ihn beschimpfen,und große,bullige
Männer stehen um ihn herum.
Ein Mann schmeißt ihm eine Wurst hin:"Friss das,
Judensau!"
Die junge Dame ist verstört und entsetzt. Sie
winkt dem alten Herrn und sagt ruhig:"Stellen Sie
sich bitte dort zu der Wand!" Dann steht er vor
der Mauer eines Hauses und sie mit weit ausgebreiteten Armen vor ihm. Sehr lange blickt
sie auf die Frauen und Männer. Ein Polizist mit
einem Helm auf dem Kopf kommt und will wissen,
was los ist. Aber die blonde Frau sagt kein Wort.
Eine Weile vergeht,und dann geht sie zu dem alten
Herrn,küßt ihn auf die Wange,nimmt seine rechte
Hand und schreitet langsam mit ihm davon.
Als ein paar Jahre vergangen sind,ist der 2.Weltkrieg aus und Hitler tot. Österreich ist
nun die2.Republik. Die blonde Dame ist mittlerweile Notarin und Rechtsanwältin.
Sie begegnet auf der Straße dem alten grauhaarigen
Herrn. Er ist blass und schäbig gekleidet. Er
konnte aus der »Ostmark« fliehen und wurde in
der Schweiz von freundlichen Leuten versteckt.
Die nunmehrige Juristin hat viel Geld geerbt und
kauft ein kleines Haus neben ihrem Notariat.
Und sie abonniert alle Zeitungen,die es nun
in Österreich gibt. Das Haus übergibt sie dem
alten Herrn,der nun Trafikant wird.
Als sie mal aus ihrem Büro aus dem Fenster guckt,sieht sie den freundlichen alten Herrn mit
einer Zeitung in der Hand,die er einer Dame überreicht.Viele Kunden/Innen kommen in seine Trafik,von der er nun gut leben kann.
Aber die Notarin und Anwältin sieht auch zwei
Männer,an die sie sich zu gut erinnert:Da ist
der Mann,der dem alten Juden die Wurst hingeworfen
hat,und dort der andere,von dem sie sich fragt,ob
er noch Polizist ist.Helm hat er keinen mehr.
Beide Männer tragen schmutzige und schäbige,abgetragene Kleidung. Sie sehen die
Trafik und die blonde Dame,die aus dem Fenster
blickt -und schauen sehr blöd.
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