Menschen-die-aufgegeben-haben

Gebet in Form einer Anklage
(Aus den Akten der Abwesenheit)

Herr,
du sahst uns sitzen.
Und du sahst weg.
Du hast den Kaffee kalt werden lassen
und dich nicht einmal entschuldigt.

Wir haben geschwiegen,
nicht aus Frieden –
sondern weil niemand zugehört hat.
Du auch nicht.

Wir saßen nebeneinander
wie falsch programmierte Möbel.
Nicht aus Liebe,
nicht aus Gemeinschaft,
sondern weil es sonst niemand tat.
Und du warst leise.
Verdammt leise.

Man sagt, du seist überall.
Warst du auch im Nebenzimmer,
als wir aufhörten,
uns wichtig zu nehmen?

Warst du dabei,
als wir lernten,
dass nichts sagen sicherer ist
als alles verlieren?

Herr,
wir wurden nicht gefragt.
Nicht gesehen.
Nicht einmal als Störung wahrgenommen.

Wir wurden Möbel
in Wohnungen ohne Gäste.
Reste in Kalendern,
deren Tage keiner mehr markiert.

Und wenn du wirklich da warst –
warum hast du geschwiegen?
Warum hast du uns zugesehen,
beim Leiserwerden,
beim Wenigerwerden,
beim Ganz-Verschwinden?

Ist das deine Gnade?
Uns nicht zu beachten?

Dann sprich jetzt.
Oder steh wenigstens auf
und frag:
„Geht’s dir gut?“

Weil das noch nie jemand
ernst gemeint hat.

Amen.