Seit 34 Jahren leide ich nun unter Trichotillomanie, d.h. seit meinem 11. Lebensjahr. Ein Jahr zuvor hatten sich meine Eltern getrennt, und ich kam ins Internat.
Man hatte mir und meinem Bruder versprochen, wir würden ein gemeinsammes Zimmer bekommen, aber als wir im Internat waren, sagte man uns am zweiten Tag, daß das nicht möglich wäre. Wir wurden getrennt. Mein Bruder kam in ein anderes Haus, ein sogenanntes Jungenhaus. Dann lernte ich auch noch am ersten Abend im Internat ein Mädchen kennen, das zutiefst traurig war und sich für den Tod ihres Vaters schuldig fühlte, weil sie ihn gebeten hatte, sie im Internat zu besuchen.
Auf dem Weg von ihr nach Hause verunglückte der Vater tödlich. Von da an hatte ich Angst meine Familienangehörigen zu bitten, mich zu besuchen, denn es könnte ja einer von ihnen auf dem Heimweg tödlich verunglücken. Ich war also von Zuhause und von meinem Bruder getrennt.
Auch hatte ich meinen Vater durch die Scheidung verloren. Zusätzlich hatte ich auch noch Angst, den Rest meiner Familie zu verlieren, weil ihr vielleicht etwas zustoßen könnte.
Das war Streß pur.
Zu der Zeit fing ich mit dem Haarerupfen an. Zuerst am Kopf und später, eine Weile lang nur, Augenbrauen und Wimpern. Ich sah aus wie nach einer Chemotherapie. Nach einer Kur an der Nordsee, ca. mit 14 Jahren, ließ ich meine Augenbrauen und Wimpern in Ruhe, fing aber mit den Kopfhaaren wieder an. Meine Familie hat immer so getan als würden sie es nicht bemerken. Da ich starker Allergiker und Astmatiker bin, hat man immer nur gesagt, ich solle nicht soviel in meinem Gesicht rubbeln, dann würden auch nicht meine Wimpern und Augenbrauen ausfallen. Mein Opa war Allgemeinarzt, er hätte es eigentlich wissen müssen. Vor kurzem bat ich meine Mutter um Kinderfotos auf denen ich keine Augenbrauen und Wimpern habe. Sie behauptete immer noch, es wäre durch das Rubbeln im Gesicht entstanden.
Mit ca. 17 Jahren waren meine Schamhaare dran.
Ich dachte, daß ich vielleicht so meine Kopfhaare in Ruhe lassen könnte. Aber weit gefehlt! Als ich 20 Jahre alt war bemerkte ein Bekannter meines Mannes »Du hast aber einen breiten Mittelscheitel!« Ich hab mich so ertappt gefühlt. Mein Mann hat lange gemeint »laß das doch. Ich hab es doch auch geschafft mit dem Fingernägelkauen aufzuhören, dann schaffst du das doch mit deinen Haaren auch!« Oder »Dann zupf halt die Haare hinterm Ohr, dann verteilt sich's etwas«.
Das hab ich dann auch gemacht. Die Friseuse hat sich nur gewundert und gemeint, daß hinter den Ohren nicht die typischen Stellen wären, wo Haare ausfallen. Ich wollte ihr weißmachen, daß ich an Haarausfall lit.
Später riß ich mir Kopf- und Schamhaare aus und Wimpern und Augenbrauen in Maßen. Durch das Konzept, beschrieben von Lee Bear, in dem Buch »Alles unter Kontrolle« (Kapitel 7, S. 185-199*) ging es mir schlagartig lange Zeit viel besser, und ich konnte mir endlich eine kurze, freche Frisur »leisten« (meine Haare wuchsen zwar wieder nach, aber an den »meistbeanspruchten Stellen« sind die Haare weiß geworden und gekräuselt). Durch diesen kleinen Erfolg (Dank »Lee Baer«) motiviert, war mein Gedanke, das bißchen Wissen, das ich habe, weiterzugeben. Auch glaube ich, daß ein Gedanken- und Erfahrungsaustausch, z.B.in einer Selbsthilfegruppe einem hilft die »richtige Behandlung« zu finden.
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