STURM IM WASSERGLAS
Die meisten Berühmtheiten sind berühmt, weil sie berühmt sind. Wie das? Wie eben bestimmte Uhren, Parfüms oder Koffer berühmt sind. Je häufiger in der Werbung steht, daß sie berühmt sind, desto berühmter werden sie. Mehr ist da nicht. Dafür sorgen ihre Schatten, die sie unablässig umgarnen, umflattern und umknipsen. Die an ihren Legenden stricken und ihnen andichten, was sie selbst so gern gewesen wären. Ich selbst mache mir nicht viel aus Berühmtheiten. Ich liebe ihren Mythos, aber mit drei guten Fragen bringt man ihn ins Wackeln, dann ist man wieder um eine Illusion ärmer...
Für den deutschen Medienkonsumenten ist die Wahrheit das, was gedruckt wird oder im Fernsehen kommt. Und daß jeder Journalist, je informierter er ist, desto weniger von seiner Information dem Publikum preisgibt (weil er sie nämlich anderweitig fruchtbringender an den Mann bringen kann), gehört zu den Allerweltsweisheiten. Etwas zu wissen, das überhaupt niemand weiß, ist sein Lebenstraum. In den 30 Sekunden Berichterstattung hat man an Bekanntes anzuschließen, das Neue vorzubringen und mit einem Zukunftsausblick zu enden. Vorher übernimmt man seelenruhig die Verlautbarungen von Regierung, Presseagenturen und Werbefritzen, versetzt sie mit Fragezeichen, salzt sie mit Mutmaßungen und analysiert den so entstandenen Brei zu brillanten Schlußfolgerungen, jeden Tag andere. Daß schon die ursprünglichen Tatsachen nicht durchwegs exakt sind, dafür kann man ihn schließlich nicht verantwortlich machen. Sein Stil ist Andeutung. Wie bekannt, gibt es eine amerikanisch-islamische Geheimklausel, wie bekannt, ist George Bush im israelischen Geheimdienst, wie bekannt, war uns das alles schon längst bekannt, wir haben es jedoch aus den bekannten Gründen nicht bekannt gemacht. Inzwischen streuen wir es als Gerücht. Und der Deutsche liebt seine Gerüchteküche, weil sie ihm den Anschein gibt, mehr zu verstehen als der Nächste.
Wo man hinschaut, nichts wie Spießer. Fischerspießer, Schröderspießer, Stoiberspießer, und wie diese ausgefuchsten Politiker alle heißen. Wie erfrischend für die denkmüden Deutschen, jemanden mit so schematischen Gehirnwindungen die Menschheitsprobleme lösen zu sehen. In spartanischer Lebensweise (Dosenbier mit Würsten) hockt man selbst vorm Fernseher und reibt sich begeistert die asthmatische Nase. Gebannt starren alle auf etwas, das aus diesem Kasten kommt, einer Plastikbox, wo auf einem Schirm mit abgerundeten Ecken verzerrte Schemen in Farbe herumhuschen. Eine von diesen talismanischen Metaphern, die Weltreiche schaffen und stürzen.
Was macht deutsche Bestseller? Zwei Vorraussetzungen scheinen von zeitloser Aktualität. Im belletristischen Bereich, daß der Autor einen der großen literarischen Preise gewinnt, die alljährlich von angeblich unabhängigen Jurys vergeben werden. Und im Bereich des Sachbuches, daß die Autoren (meist wird es ein Gespann von zwei oder mehr sein) der Leserschaft in Aussicht stellen, die verborgenen Geheimnisse dieser oder jener - meist politischen - Elite oder Organisation zu verraten, möglichst mit der Nennung berühmter und bisher unbescholtener Namen. Denn daß jede irgendwie bedeutsame Entscheidung in diesem Lande unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet, ja diese durch allerlei üble Tricks und Durchstechereien um ihr sauer Erworbenes zu bringen sucht, davon ist jeder Deutsche zutiefst überzeugt. So wie er selbst dem Staat sein wahres Einkommen verschleiert, seine Goldmünzen und sein Schweizer Konto, so nimmt er es als gegeben hin, daß der Staat seinen Bürgern eine Vertragsklausel vorenthält, ein Atomexperiment, einen Politmord oder die Einrichtung einer neuen Geheimpolizei. Wie ich dir, so du mir.
Jetzt werden auch die Jungfilmer als Expressionisten eingestuft, das hilft. In den wenigen »Kulturspots« schickt man Dichter durch Europa, um die neue deutsche Literaturbeflissenheit herauszustreichen. Sie alle wollen schließlich auf Staatskosten futtern und feiern. Mit ihren »todsicheren Themen«, die sich als todsichere Nieten herausstellen: die Spezialitätenköche, die Modetanten, die Astrologen, die singenden Nonnen, die Heilkräutergurus. Der ganze Kitsch, auf den das Publikum angeblich so scharf ist, vorab das weibliche.
Das »Spartenprogramm« muß sich ausschließlich mit einem Thema, z. B. mit Tieren befassen. Tanzt die Kobra wirklich nach der Musik? Kann das Stachelschwein tatsächlich seine Stacheln auf Feinde abschießen? Daß man mit solchen Fragen keine Sendung bestreiten kann, ist klar. Dazwischen stopft man fiktive Fragen nach den Markenartikeln, die das Programm »sponsern«, und die Sache ist geritzt. Der Fernsehmacher soll tunlichst kein persönliches Anliegen vertreten, das wäre »unausgewogen« (außer es ist die Meinung der herrschenden Kreise). Er hat »professionell« zu sein, aber ein Gefühlseunuch.
Der Kulturverfall und die allgemeine Verblödung schreiten voran, vor allem durch das Fernsehen. Die neue vorgekaute Kost, die man per Bildschirm anbietet, entmündigt das Publikum geistig, intellektuell und politisch.
Dieser Grundtext kam aus Amerika und entsprach haargenau der neuen europäischen Mentalität. Dieser zertepperte Kontinent konnte sich gar nicht schnell genug amerikanisieren. Über Amerika gewann das ideologiemüde Europa sowas wie seine politische Unbeflecktheit wieder. Konsumententum gleich Demokratie, Reklame gleich freie Meinungsäußerung, jedes McDonald's ein Bollwerk abendländischer Werte! Coca Cola statt Champagner, Hamburger statt Filet Mignon. Und der Irak-Krieg? Unverantwortlich naives Amerika, das wieder einmal meint, es mit unterentwickelten Eingeborenen zu tun zu haben, nur weil man dort nicht den Hamburger erfunden hat. Der moderne Krieg trifft Schuldige und Unschuldige mit unparteilicher Majestät. Nur daß die Schuldigen die besseren Chancen haben, sich zu drücken.
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