Beseitigung und Einschüchterung der Augen der
Weltöffentlichlichkeit
Florian Rötzer 09.04.2003
Journalistenorganisationen sprechen angesichts des wiederholten Beschusses
von nicht-eingebetteten Journalisten durch das US-Militär von
Kriegsverbrechen und verlangen Bestrafung der Schuldigen
Die offenkundig gezielte Bombardierung des Büros von al-Dschasira in Bagdad ist, weil
den US-Militärs Ort und Anwesenheit des Senders längst bekannt war, der nur noch als
terroristisch zu bezeichnende Versuch, lästige Augen einzuschüchtern und zu
vertreiben, die beim vermutlich schmutzigen Endkampf um Bagdad durch das Aussenden
von unerwünschten Bildern stören. Die Amerikaner zu Hause erwarten eine
Befreiungsarmee, die mit ihren Hightech-Tötungsmaschine einen sauberen
Präzisionskrieg gegen die Feinde führt, die jubelnde Bevölkerung aber verschont. Auch
der Weltöffentlichkeit soll der gerechte und gute Krieg vorgeführt werden. Jetzt
musste, um es deutlich zu sagen, offenbar eine »gezielte Tötung« oder ein Mordanschlag
für die nötige Warnung sorgen, dass das Leben der nicht-eingebetteten, also: freien oder
unabhängigen Journalisten nicht mehr geschont wird ( Bombenzensur oder
»Kollateralschaden«?).
So ist der Krieg erträglich: als ästhetisches Ereignis ohne
Blut
Auch der Beschuss des Palestina-Hotels, in dem sich bekanntermaßen die ausländischen
Journalisten aufhalten, könnte als eine solche Warnung mit Todesfolgen verstanden werden.
Wie mehrere anwesende Reporter berichteten, gab es vom Hotel aus keine Schüsse auf den
Panzer, wie man beim US-Militär den Beschuss zu rechtfertigen suchte. Schon vor Beginn des
Krieges hatte man im Pentagon indirekt damit gedroht, dass das Leben der nicht eingebetteten
Journalisten nicht sicher sei und sie auch beschossen werden könnten ( Bildbereinigung in
den Medien). Das hat man offensichtlich nicht wirklich glauben wollen, zumal lange Zeit
nichts geschehen ist und man nur unter der Kuratel des irakischen Regimes gestanden hat.
"In many cases we don't know where all journalists are on the battlefield
Im Pentagon bedauert man, dass die Journalisten beschossen und einige getötet und verletzt
worden sind. Das sei die Gefahr im Krieg, wenn man sich in einer Todeszone aufhalte.
Besonders gefährlich sei es, wenn Medien Reporter »unilateral« (!) aussenden. Überdies
hätten Soldaten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich zu verteidigen und zurück
zu schießen. Beide Male, so versichert das Hauptkommando in einer Pressemitteilung, sei
der Beschuss eine Reaktion auf »significant enemy fire« gewesen, das vom Hotel bzw. vom
al-Dschasira-Gebäude gekommen wäre. »Leider« hätten sich in diesen Gebäuden Journalisten
befunden, was freilich dem US-Militär mehr als deutlich klar gewesen ist. Die Schuld wird
allein dem irakischen Regime zugeschoben, das zivile Gebäude für militärische Zwecke
nutze. Doch außer dem Militär kann keiner der Augenzeugen das behauptete "significant
enemy fire" bestätigen. Man untersucht den Vorfall, wird aber voraussichtlich, ebenso wie bei
der Bombardierung des Marktes, bei dem zahlreiche Zivilisten getötet und verletzt wurden, zu
keinem Ergebnis kommen. Erstaunlich für eine Hightech-Armee, die nicht wissen will, wo
ihre Flugzeuge sich zu einer bestimmten Zeit aufgehalten und welche Ziele sie beschossen
haben.
General Brooks gab sich auf der gestrigen Pressekonferenz in Doha sicher, dass man
sicherlich keine Journalisten beschieße: »We certainly know that we don't target journalists.«
Das ist schon eine etwas eigenartige Formulierung. Man könne aber bei den nicht
eingebetteten Journalisten nicht immer wissen, wo sie sich aufhalten, woran das irakische
Regime schuld ist:
"The regime does not seem to want to change its methods of providing a higher degree of
protection to journalists that in many cases we don't know where all journalists are on the
battlefield. We certainly know where the embedded journalists are at any given time that are
operating with our formations. And that was a conscious decision to take in embedded
journalists."
Das ist nicht nur ein deutlicher Hinweis an die unerwünschten Berichterstatter, die vom
Militär nicht kontrolliert werden können, sondern eigentlich auch eine Frechheit, da ja nicht
Journalisten irgendwo in Bagdad beschossen wurden, sondern in ihren lange bekannten
Aufenthaltsorten.
Immerhin zeigt das US-Militär jetzt auch einmal Zerstörungen nicht nur in Form von
Satellitenaufnahmen. Leichen und das Leid von Verletzten gibt es aber trotzdem
nicht
Auch wenn möglicherweise der Beschuss des Palestina-Hotels der Irrtum eines verängstigten,
zu schnell reagierenden Soldaten gewesen sein mag und Journalisten, die sich im Kriegsgebiet
aufhalten, eine Art von Abenteuerer sind und das Risiko kennen müssen, das sie eingehen, so
bleibt die Bombardierung eine mörderische Attacke auf unabhängige Medien. Gerade weil ein
arabischer Sender ins Visier geraten ist, der bekanntermaßen den Unmut der US-Regierung
wegen der Verbreitung von unerwünschten Informationen und Bildern erregt hat, lässt den
Verdacht, den gestern auch viele andere Journalisten geäußert haben, fast unabweisbar
werden. Dass ausgerechnet das al-Dschasira-Büro in Kabul während des Afghanistan-Kriegs
auch zum Ziel einer amerikanischen Präzisionsbombe geworden war, verstärkt ihn weiter.
Ganz eindeutig wäre der von den USA boykottierte Strafgerichtshof zur
Aufklärung von Kriegsverbrechen notwendig
Obgleich ein Menschenleben in einem Krieg nicht viel wert ist, wäre eine Bombardierung von
Zivilisten mit Tötungsabsicht ein Kriegsverbrechen. Der Versuch, mit Schüssen auf
Journalisten, die keineswegs im Dienst der feindlichen Propaganda arbeiten, und ihre Büros,
diese zu vertreiben, ist zudem auch politisch ein Desaster für eine Armee, die angetreten ist,
eine Diktatur im Namen der Freiheit und der Demokratie, wozu auch die Pressefreiheit gehört,
zu stürzen.
Noch dazu rufen nun Mitarbeiter der Fernsehsender al-Dschasira und Abu Dhabi TV
gemeinsam Hilfsorganisationen zur Unterstützung auf, weil sie anscheinend um ihr Leben
fürchten müssen. Abu Dhabi TV sendete die Mitteilung, dass »25 Journalisten und Techniker«,
die sich in den Räumen von Abu Dhabi TV in Bagdad befinden, von Panzern eingeschlossen
seien: "Wir sind in einem militärischen Gebiet eingeschlossen, wo es keine Zivilisten mit der
Ausnahme des Teams des Abu Dhabi TV und von fünf Mitarbeitern von al-Dschasira gibt".
Das Internationale Rote Kreuz und andere Organisationen werden gebeten, schnell
einzugreifen und die Journalisten aus dieser Zone herauszuholen, "in der Raketen und
Granaten in unglaublicher Weise einschlagen". Auch der Chefredakteur des Senders, Ibrahim
Hilal, rief die anglo-amerikanischen Truppen auf, "die Journalisten ausfindig zu machen und
ihnen zu helfen, aus dem Gebiet herauszukommen. Ich glaube, dass keiner von ihnen mehr
sicher ist."
Noch besser gefallen dem Pentagon neben Kitschbildern Idyllen im Krieg. Hier
besichtigen gerade die kulturell interessierten Touristensoldaten die Überreste des
Ur-Tempels
Das Committee to Protect Journalists hat in einem Brief an US-Verteidgungsminister
Rumsfeld eine sofortige Aufklärung der Vorfälle verlangt. Die Bombardierung des Gebäudes
von al-Dschasira lege nahe, dass sie absichtlich geschehen sei. Die Organisation geht davon
aus, dass die Angriffe ein Kriegsverbrechen sind und gegen die Genfer Konvention verstoßen,
die das Pentagon unlängst noch bemüht hatte, um die Verbreitung von Bildern amerikanischer
Kriegsgefangener zu verhindern. Der Beschuss der beiden arabischen Sender sei deswegen
besonders bedenklich, weil dieser "hier seit Wochen offen gearbeitet und Bilder vom Krieg
für die Welt gesendet hat".
Deutlich hat der Internationale Journalistenverband IFJ die Angriffe verurteilt. Sie seien
Kriegsverbrechen, die bestraft werden müssen. Man könne nicht für die Demokratie mit dem
Leben von Journalisten kämpfen. Überdies wird gefordert, den bereits zu Beginn des Krieges
erfolgten Beschuss von deutlich markierten Fahrzeugen aufzuklären, bei dem drei Journalisten
des britischen Senders ITN getötet wurden.
Auch die »Reporter ohne Grenzen« gehen davon aus, dass das al-Dschasira-Gebäude und das
Palestine-Hotel absichtlich beschossen wurde. Schon zuvor wurde das Hotel in Basra
beschossen, in dem sich bekanntermaßen al-Dschasira-Mitarbeiter aufhielten. Gestern wurde
auch noch auf ein gekennzeichnetes Auto des arabischen Senders geschossen. Die
Organisation weist auf einen Film und Berichte von Journalisten hin, die zeigen sollen, dass
es in der Umgebung des Hotels völlig ruhig gewesen sei und dass der Panzer in aller Ruhe
gezielt und dann geschossen habe. Viele nicht-eingebettete Journalisten hätten sich über den
Umgang des US-Militärs beklagt. Erwähnt wird auch der Vorfall, bei dem Journalisten zwei
Tage lange von Soldaten festgehalten und misshandelt wurden.
Gezielte Tötungen finden aber auch im weiter schwelenden palästinensisch-israelischen
Konflikt statt, den der Krieg im Irak beiseite gedrängt hat - Vorbild auch für die neue Politik
der US-Regierung: Uncle Sam und die »Snatch Option« des Präsidenten und Mord im
Auftrag des US-Präsidenten). So hat ein israelisches F-16-Kampfflugzeug gestern ein Auto in
Gaza Stadt mit Raketen beschossen und dabei alle fünf Insassen getötet. Weitere 47
Menschen wurde im Lauf des Angriffs teils schwer verletzt. Dieser tatsächlich
staatsterroristisch zu nennende Anschlag war auf Hamas-Mitglieder gerichtet. So sollen sich
As'id Arbid, einer der militärischen Führer der Organisation, und Aschraf Halabi, sein
Stellvertreter, im Wagen befunden haben, aber auch zwei Kinder im Alter von vier und
fünfzehn Jahren. Nach dem Angriff mit der F-16 habe sich um den Unfallort eine große Menge
gebildet, die durch die Ankunft eines Apache-Hubschraubers in Panik geraten sei. Von dem
aus sollen dann weitere Raketen in die Menge geschossen worden sein. Haaretz betont, dies
sei der erste Luftangriff seit Beginn des Irak-Kriegs gewesen.
Kommentare:
Gorgy-Baby kann die Vietnam-Lektion gar nicht gelernt haben, (Christoph Dross, 9.4.2003 23:50)
Ja (cromec77, 9.4.2003 23:37)
kleiner dummkopf... (monoma, 9.4.2003 23:34)
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