»Was Monsieur de Charlus betrifft, dessen Fall alles in allem mit jener leichten Differenzierung, die sich aus der Gleichheit des Geschlechts ergibt, dennoch den allgemeinen Gesetzen der Liebe untersteht, so mochte er zwar einer Familie angehören, die älter war als die Kapetinger, er mochte reich sein und von einer eleganten Gesellschaft oft vergeblich umworben, Morel hingegen überhaupt nichts sein; er hätte zu Morel, wie er es zu mir getan hatte, sagen können: «Ich bin fürstlichen Geblüts, ich will ihr Bestes» – und dennoch hatte Morel die Oberhand, sofern er sich nun einmal nicht ergeben wollte. Dafür aber, daß er es nicht wollte, reichte vielleicht schon aus, daß er sich geliebt wußte. Das Grauen großer Herren vor den Snobs, die sich um jeden Preis mit ihnen anfreunden wollen, verspürt der männlich veranlagte Mann dem Homosexuellen und die Frau jedem Mann gegenüber, der allzu heftig in sie verliebt ist. Nicht nur besaß Monsieur de Charlus alle Vorteile, er hätte auch Morel enorme bieten können. Wahrscheinlich aber wäre dies alles an einem entschlossenen Willen zerschellt. In diesem Fall wäre es Monsieur de Charlus wie den Deutschen ergangen – denen er ja im übrigen durch seine Herkunft angehörte – , die in dem Krieg, der sich in diesem Augenblick abspielte, an allen Fronten, wie der Baron nur zu gerne wiederholte, zwar siegreich waren: Was aber nützten ihnen die Siege, da sie nach jedem von ihnen die Alliierten noch entschlossener fanden, ihnen das einzige vorzuenthalten, was sie, die Deutschen, gerne erlangt hätten, nämlich Frieden und Versöhnung? Ebenso rückte einst Napoleon in Rußland ein und forderte großherzig die Behördenvertreter auf, bei ihm zu erscheinen. Doch niemand kam.«
Marcel Proust: Die wiedergefundene Zeit, 188–189
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