Fühlt sich natürlich keiner von angesprochen.
Sind höchstens alle anderen.
Dabei ist es eine einzige Gratwanderung, sich in klaren Momenten weder selbst als Massenmensch zu ent-decken, noch ganz abzudrehen und nicht mehr Menschen - kompatibel zu sein. Oft genug: verrückt.
Und wen interessiert das eigentlich?
Ich habe gerade erst entdeckt, dass mein »Hauptgefühl« Menschen gegenüber nicht Hass und nicht Abscheu, sondern Verachtung ist.
(Was unter vielen meiner Texte herauszulesen ist.)
Entdeckt fast zehn Jahre nach Therapie - Ende. Na ja.
Verachtung, ein »kaltes« Gefühl. Kalt wie Distanz.
Ein heißes Gefühl wäre schöner.
(Das ist natürlich da, aber darunter oder dahinter versteckt. Verborgen - geschützt.)
Aber die Distanz war für mich überlebenswichtig.
Basis der Verachtung ist natürlich nicht verarbeitete Enttäuschung.
Über »den« Menschen. Alle. Ja, natürlich, so banal. (Ist aber leicht verständlich, denn so ist es psychisch ungefährlicher, für das Kind, als die bestimmten Einzelnen in seinem Nah-Leben zu benennen und zu verurteilen. »Verschiebung« nennt sich das in der Psychoanalyse, passiert unbewusst und bleibt unbewusst. Bis ich's jetzt, um die 45 Jahre später, aufgedeckt habe.)
Womit ich beim Massenmenschen wäre.
Dessen Verachtung habe ich von meinen Eltern eingeimpft bekommen.
Vor allem von meiner Mutter, deren Götter Rilke, Hölderlin, Nietzsche, Stendhal, Dostojewski, Freud und Hesse waren. Welch krude Mischung. Und sehr kleinbürgerlich auch, zum Teil jedenfalls.
Der Massenmensch hat allerdings auch nichts dafür getan, diese Verachtung zu widerlegen, ehrlich gesagt.
Im Gegenteil, so habe ich als Kind und Jugendlicher (und das auch sehr zu Recht, zu sehr großen Teilen) den Holocaust »gelesen« und verarbeitet, in einer noch völlig nazistischen Umwelt in Westberlin in den 50er und frühen 60er - Jahren. (Westberlin noch unverlinkt - so what.)
Ihre gottverdammte Dämlichkeit und Feigheit »damals«, und ihre gottverdammte Heuchelei danach.
Massenmensch - Charakteristika par excellence für mich.
Da ich - aus biographisch verstehbaren Gründen - vier Jahrzehnte meines Lebens mit sehr viel selbst produzierter Heuchelei gelebt habe, ist die Verachtung als mein Hauptgefühl natürlich zu großem Teil projizierte Selbst - Verachtung gewesen. Das weiß ich jetzt.
Da transformiert sich aber gerade etwas.
Und meine heutigen Eigen - Anteile an »Massenmensch« sind - abnehmend.
Das ist sehr angenehm festzustellen.
Das reicht mir im Moment an freier Assoziation. (Sprich: die Gedanken schrieben sich beim Schreiben.)
Der Massenmensch löst bei aller Unklarheit, was / wer das eigentlich ist, und wie man keiner sein kann, in seinen Erscheinungsformen weiter ein starkes Gefühl von Abwehr und einen Fluchtreflex bei mir aus.
Und seine vielen Einträge im Blaster auch.
Nicht nur Bierzelte besuche ich nicht.
Obwohl der Massenmensch mir keine Angst mehr macht.
Und mein kindlicher Wunsch, ein Held zu sein, ist nicht mehr pauschal gegen den Menschen gerichtet, aus Enttäuschung und um mich zu rächen, wie ich heute weiß.
Jedenfalls ist die Spannweite zwischen »Massenmensch« und Individuum größer als ich früher glaubte. Und die Überschneidungen sind es auch.
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Gestern habe ich übrigens einen spirituellen Text von Thich Nhat Hanh gelesen, einem sehr lebensnahen heutigen Buddhisten, der mich wieder an's bewusste Atmen, also an meine Therapie erinnerte.
Das hat wohl ganz von alleine einiges in Bewegung gesetzt.
Die witzigsten Ergebnisse einer Therapie sind immer die vielen guten Spätfolgen. Das erarbeitete »Handwerkszeug« bleibt ja vorhanden.
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Danke für's Zuhören.
Als Therapiestunde hätte das mindestens 80 € gekostet.
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