Günter Kunert (geb. 1929) lana joan
MANOVERPLATZ NEUNUNDNEUNZIG SCHWELLEN ...
In den erblühten Gärten, wo Neunundneunzig Schwellen habe ich begangen,
Das weiche Gras zum Ruhen lädt, suchend,
Urnstanden von den unbewegten überall sagten sie mir: wir wissen nichts von ihm.
Bäumen, weht Wind den Pulverstank Neunundneunzig Schwellen voll Tücke und Feigheit
Von einem Ort her, wo der Krieg
Noch in den Windeln liegt. Selbstsucht und Grausamkeit
Blutige Hände und gleichgültige Schultern.
Ist er erwachsen, kommt er in In allen Nächten heulten die Lokomotiven,
Den Garten ernten. Bellten Maschinengewehre,
Bebend sagte ich mir jedesmal: Jetzt'
Schwarzer Haß hat sich um mein Herz gelegt,
mit dreifachem Ringe hab' ich das Herz mir gegürtet
Und es ist nicht geborsten!
Sie sagten mir: Warte, es kommt der Tag!
Der Tag kommt, und dann:
Mit deinen bloßen Händen wirst du sie würgen'
Tage kamen, Tage gingen, Tag für Tag.
Ein wunder Bauer rief mich an: Genossin!
Und es barst der erste Ring auf meinem Herzen.
Tage kamen, Tage gingen, Tag für Tag.
Ein kleiner Krüppel lacht mich an: Mutter!
Und es barst der zweite Ring auf meinem Herzen.
Tage kamen, Tage gingen , Tag für Tag.
Da sagten sie mir: Jetzt ist der Tag gekommen!
jetzt kannst du sie würgen mit deinen bloßen Händen.
Und ich sehe mir meine bloßen Hände an,
Die sich nicht mehr ringen im Haß der Verzweiflung
Und es bricht der dritte Ring auf meinem Herzen.
Sie haben Bahren getragen, sie haben Wunden verbunden,
Sie haben das Lenkrad geführt, doch nie das Messer des Schlächters!
Sie sind schön und weise geworden.
Wie bedeckt von einer Schichte von Wissen.
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