Endlich kann ich die Geschichte erzählen, wie ich als kleines Mädchen mal zu ZWEI Martinsbrezeln kam, obwohl das eigentlich nicht möglich war. Es ist nämlich so, jedes Jahr am Martinstag findet traditionell irgendwo ein Fest statt, mit einem Pferd und einem Martin, der seinen Mantel zerschneidet und was halt so dazu gehört. Manchmal werden solche Feste von Kirchen oder Kindergärten oder anderen Einrichtungen veranstaltet. Seinerzeit, also an jenem bewussten Martinstag, als ich noch klein, lieb, blond und unschuldig war, da war es eine dieser Veranstaltungen, die ich mit meiner Mutter besuchte. Es waren auch noch andere Verwandte dabei, wahrscheinlich mein Opa, aber das weiss ich nicht, wie ich mich auch überhaupt nicht an diesen Tag erinnern kann und alles nur aus den Erzählungen meiner Mutter berichten kann. Jedenfalls, bei dieser Veranstaltung bekam jedes Kind einen Martinsbrezel, so einen schönen, grossen, den man sich um den Hals hängen kann, an einem Geschenkband. Und das Fest fand statt, und alles war schön, und irgendwann muss ich wohl angefangen haben bitterlich zu weinen. Tja, da guckt mich dann meine Mutter an, und was sieht sie: um meinen Hals hängt nur noch ein Band. Die Brezel hatte ich schon lange aufgefuttert, und keiner hatte es gemerkt. Tja, und die anderen Kinder waren wohl alle brav gewesen, keines hatte seine Brezel gegessen - nur ich. Wie ich da nun stand, ohne Brezel, sah ich natürlich die anderen Kinder, und alle hatten eine Brezel, und ich nicht, da KONNTE doch was nicht stimmen! Ja, und da hat meine Mutter versucht, noch eine Brezel zu organisieren (ich muss wohl immer schon sehr überzeugend weinen gekonnt haben), und eigentlich war das nicht möglich, weil es für jedes Kind nur eine einzige Brezel gab. Aber meine Mutter hat es doch geschafft, und ich, das gierigste kleine Kind an diesem Martinstag, habe zwei Brezeln gefressen.
Ob mir hinterher schlecht war, weiss ich allerdings nicht.
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