Als ich am Morgen meines ersten Studientages das Fenster meines lumpigen Zimmers im Marburger Stadtteil Weidenhausen öffnete, stand mein Vermieter, Heinrich K., im Hinterhof und rief mir als Begrüßung, mit einer Holzlatte herumfuchtelnd, entgegen: »Scheis Studende«. »Äh, Morgen erstmal« sag ich. »Der Säckel im Vorderhaus hat sisch sei eischenes Heizöl gekauft«, fährt er ungerührt fort, »sacht, des wär billischer als mei Heizöl. Ei, isch sach eusch, hier wird net gespart.« Ich stimme etwas unpassend zu, dass ja bald Winter ist und man wohl heizen muss. Mit einer Logik, die mich überforderte, sagt er: »Ihr Studende wisst doch gar nischt, was Winder ist. Im Krieg hab isch nur auf Bredder geschlafe« - dabei zeigt er auf einen Stapel Latten, die er gerade von einer Krosecke des Hinterhofes in die andere geschleppt hat - »mit einä dünne Deck, und uff die Füss is der Schnee gefalle. Da war isch in Frankreisch.« Ich entgegne, dass es in Russland bestimmt noch kälter war. »Ei ja, wir hatten es net schlecht, in Paris, mit der Marie im Mouleng Rousch, ei des war net übel.« Wobei er lacht und mit der Hand eine zweideutige Geste macht. »Andere haben weniger Spass am Krieg gehabt«, sag ich so. »Ah ja, dä Hitler war a Säckel, hat die jungen Burschen nach Stalingrad geschickt. Ostfront war doch Scheise.« Die Tür, die vom Vorderhaus in den Hof führt, geht auf und ein Student fortgeschritteneren Semesters, der auf mich einen etwas fertigen Eindruck machte, geht zu seinem abgestellten Fahrrad. »Ei Du Säckel«, schreit K. ihn an, »der Hausflur is kei Wäschekammer. Tu Dei Wäsch in Dein eischenes Zimmer.« Ich drohe nun vollständig den Faden zu verlieren und will mein Fenster schliessen, als sich K. wieder mir zuwendet: »Der Säckel, der. Der hat a Freund, die hockele zusamme auf des Zimmä...« Dabei fuchtelt er wieder unkoordiniert in der Luft herum. »Beim Hitler wär das net gewese. Des war net alles schecht, was dä Hitler gemacht hat.« »Aber Sie haben doch gerade...«, versuche ich einzuwenden. »Ei ja, die Bursch in Russland...des hätt er net mache dürfe...«, sagt er und blickt dabei abwesend in einen seiner Bretterhaufen. »Ostfront war Scheise...«
|