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Artikel
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Der japanische Nationenbegriff
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[Shintôismus] [geschichtliche Herausbildung] [Nachkriegszeit]
[Kollektivismus und Individualismus]
[Globalisierung] [Literatur]
Mythologische Entstehungsgeschichte
Wiedergegeben werden soll hier die mythologische Entstehungsgeschichte des Landes anhand der frühen Geschichtswerke Kojiki (Bericht über alte Begebenheiten, aus dem Jahr 712 n. Chr.) und Nihongi (Japanische Annalen, aus dem Jahr 720 n. Chr.).
Beide wurden angefertigt nach chinesischem Vorbild und stellen eine Kompilation verschiedener Mythen und Legenden, sowie geschichtlichen Ereignissen nach dem 5. Jahrhundert da.
Das Nihongi beschreibt die Entstehung des Weltalls in Anlehnung an die chinesische Rezeption, in der Himmel und Erde zunächst nicht getrennt waren. Vergleichend erklärt wird die Trennung mit dem Bild eines Hühnereis:
das Reine und Helle (das Eiweiß) steht somit für den Himmel, das Schwere und Trübe (das Eigelb) für die Erde. Heute bekannter wird wahrscheinlich das Prinzip des Yin- und Yang sein, welches hier seinen Ursprung hat.
Das Zeitalter der Götter
Nach der Aufteilung von Himmel und Erde entstand das Zeitalter der Götter und nach sieben Generationen das Stammelternpaar Izanagi und Izanami. Sie vollzogen den ehelichen Verkehr und Izanami gebar die japanischen Inseln und viele weitere Gottheiten.
Darunter auch Amaterasu, die Sonnengöttin, welche die Ahnherrin des japanischen Kaiserhauses ist. Durch ein Vergehen des Herrn der Erde (Okuninushi), das in der Weigerung bestand, mit einer häßlichen Frau ein Verhältnis zu beginnen, wurde der japanische Kaiser und seine Nachfahren mit der Sterblichkeit bestraft. Der Legende nach bestieg der erste Tennô im Jahr 660 v. Chr. den Thron, um das damals Yamato („Großer Friede“) genannte Land zu regieren. Das mythische Jahr gilt auch als das erste innerhalb der japanischen Zeitrechnung.
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Shintôismus
Die eben beschriebene Gründungsgeschichte beruht auf der Idee des Shintôismus, wörtlich dem „Weg der Götter“. Erstmalig erschien das Wort Shintô im 7. Jahrhundert um sich von dem Buddhismus abzusetzen, der im vorangegangenen über Korea nach Japan kam.
Es dauerte allerdings noch bis zur Kamakura- Zeit (1192- 1333), bis sich der Buddhismus, durch starke Vereinfachung, auch im Volk verbreitete. Vorher blieb er dem Adel und den Beamten vorbehalten.
Heute existieren beide Religionen friedlich nebeneinander her, es kommt sogar zu der zunächst paradoxen Zahl, daß sich über 80% der Bevölkerung als Buddhisten bezeichnen und circa 70% als Shintôisten.
(etwa 1% fühlt sich dem Christentum zugehörig).
Die westliche Denkweise, daß man nur einer Religion angehören könne, greift in diesem Fall nicht, die jeweilige Religion wird für verschiedene Anlässe herangezogen. So wird man als Shintôist geboren und bei seinem Familienschrein gemeldet, die Beerdigung erfolgt nach buddhistischen Ritualen.
Grob gesagt, ist der Shintô für die erfreulichen und positiven Dinge im Leben zuständig, der Buddhismus für die traurigen und negativen.
In so gut wie allen Werken wird dem Shintôismus der Rang einer Religion abgesprochen.
So in Basil Hall Chamberlains Buch „ABC der japanischen Kultur“ unter dem Stichwort Shintô:
... daß Shintô, wovon so oft als einer Religion gesprochen wird, kaum Anspruch auf diese Bezeichnung hat, selbst in der Meinung jener nicht, die heute als seine offiziellen Vertreter auftreten...[1]
Auch John Whitney Hall schließt sich in seinem Werk „Das japanische Kaiserreich“ (welches als Standard Geschichtswerk in der deutschsprachigen Japanolgie gilt) dieser Ansicht an und spricht von einer primitiven Religion.[2]
Ian Buruma geht so weit zu behaupten:
Es ist eine Feier, kein Glaubensbekenntnis. Es gibt keine Shintôisten, denn es gibt keinen Shintô.[3]
Letztere Ansicht mag vielleicht etwas zu weit gehen, da Shintô existiert, aber die allgemeine Ansicht herrscht deswegen vor, da ihm ein Glaubensbekenntnis fehlt.
Auch ist keine heilige Schrift vorhanden, nur Rituale sind schriftlich festgehalten worden. (Auch erst entstanden mit der Einführung des Buddhismus.) Dadurch allerdings gibt es keinen Moralkodex oder Dogmen wie sie in den christlichen Religionen vorhanden sind.
Es ist ein Naturkult, der die Verehrung von Sonne, Mond, Vulkanen, dem Meer etc., sowie auch Tieren beinhaltet. Man sieht in ihnen innewohnende kami (Gott, Gottheit), die besondere spirituelle Kräfte besitzen. So kann zum Beispiel ein speziell geformter Baum der Sitz eines kami sein; viele dieser Gottheiten sind örtlich gebunden und werden nur dort verehrt.
Ausnahme ist inari, ein Fuchs und der Reisgeist , der im ganzen Land angebetet wird.
Ein weiterer Bestandteil des Shintô ist die Ahnenverehrung, die aus der Angst resultiert, daß die Toten aus dem Jenseits zurückkommen und Rache üben könnten. Durch die Verehrung soll sichergestellt werden, daß diese in der Unterwelt bleiben.
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geschichte Herausbildung
Die äußere Bedrohung
1853, das Jahr, in dem Commander Perry mit seinen schwarzen Schiffen vor Japan landete. Durch den Druck der amerikanischen Regierung wurde die Öffnung des Landes erzwungen, welches fast 250 Jahre abgeschlossen war. Diese vermutete nicht nur, fälschlicherweise, immense Goldvorkommen in dem Land, sondern brauchte es auch als Zwischenstation für ihre Schiffe und Seeleute, sowie dem Handel.
Die Abschließung erfolgte 1639, da man den ausländischen Einfluß, insbesondere den der christlichen Missionare, fürchtete. Diese verhalfen einigen Fürsten, auch durch Waffenlieferungen und -handel, zu einer größeren Macht, und die Zentralregierung (Shogunat) in Edo (dem heutigen Tôkyô) sah dadurch ihre Stellung in Gefahr.
1854 kam es dann zu mehreren Verträgen mit den Vereinigten Staaten, dem russischen Zarenreich und der britischen Krone. Da die damalige Regierung sich in einem desolaten Zustand befand (die Bürokratie war erstarrt, es gab Unruhen wegen Hungersnöten, auch herrschte Uneinigkeit zwischen den lokalen Machthabern), konnte es zum Abschluß der sogenannten „ungleichen Verträge“ kommen.
Diese beinhalteten unter anderem äußerst niedrige Zölle und gewährten den westlichen Staaten Exterritorialität, d.h. auch, daß ausländische Personen ihrer eigenen Justiz unterstehen. Das eigene Recht gilt dann in diesem Falle nicht. Der einzige Weg, diese Verträge wieder aufzuheben zu können, wurde in der Erstarkung der wirtschaftlichen und militärischen Macht gesehen.
Es sollte unbedingt verhindert werden, mit Hinblick auf das Beispiel China, als Spielball und Kolonie des Westens zu enden.
1868 wurde nach einem Machtkampf mit dem Shogunat, der japanische Kaiser als absoluter Herrscher eingeführt. Dessen Ziel war, einen geeinten Nationalstaat und eine Modernisierung des Landes zu schaffen. Durch diese Bedrohung von außen entstand ein erster Impuls eines Nationalgefühls.
Dazu schreibt Hall:
Denn im Augenblick der Krise, als Japan sich der Bedrohung durch den Westen gegenübersah, wurde der Kaiser für die Nation zu einer Quelle neuer Kraft.[4]
In diesem Zusammenhang wurde von Seiten der Regierung der Shintôismus propagiert, der dem Tennô Göttlichkeit attestierte und dem Volk das Gefühl der Einzigartigkeit gab, da diese Religion urjapanisch und frei von ausländischen Einflüssen war:
... politische Ideen des Shintô wurden somit zur Stärkung von Japans nationalem Selbstbewußtsein herangezogen. [5]
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Die innere Bedrohung
Neben der äußeren, kämpfte die damalige Regierung auch gegen eine für sie innere Gefahr. Im ganzen Land gab es Aufstände, angeführt von Teilen des Kriegeradels (Samurai) und Bauern, die allerdings gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Die Samurai sahen sich ihrer Privilegien beraubt, die sie in dem vorangegangen Feudalsystem innehielten. So durften sie nicht mehr ihre Schwerter tragen und verloren 1871 durch die Einführung eines allgemeinen Wehrdienstes ihre militärische Vormachtstellung.
Die Bauern litten unter den hohen Abgaben und Steuern, die sie für den Aufbau des Landes errichten mußten. Dennoch waren diese Aufstände stark genug, daß sich dadurch eine Bewegung formierte, die mehr Demokratie forderte. Dadurch unter Druck gesetzt, beschloß die Regierung, Zugeständnisse zu machen, so wurde der Steuersatz für die Teilnahme an den Wahlen (Zensuswahlrecht) erheblich gesenkt, und es wurde eine Verfassung entworfen, die dann im Jahr 1889 verabschiedet wurde.
Diese beinhaltete de jure Bürger- und Menschenrechte, auch Recht auf Freizügigkeit und Religionsfreiheit. Der dritte Abschnitt der Verfassung, die nach preußischem Vorbild gestaltet wurde, sah die Unterteilung des Reichsparlamentes in zwei Kammern vor: das Ober- und Unterhaus.
Die Mitglieder des ersten wurden vom Tennô ernannt, die des zweiten kamen durch Wahlen zusammen. Durch die bereits erwähnte Wahlrechtsreform ergab sich eine oppositionelle Mehrheit im Unterhaus, die dann den Militäretat gegen den Willen des Oberhauses und der Regierung kürzte.
Um die Aufrüstung des Landes nicht zu gefährden, zettelten die Machthaber 1894 einen Krieg gegen China an. Der Vorwand war hierbei, daß die Souveränität Koreas gegen chinesische Interventionen verteidigt werden müsse. Es folgte eine Kehrtwendung der Opposition und der Beginn des Krieges:
...und die Öffentlichkeit, die größtenteils einfältig an die Gerechtigkeit der japanischen Sache geglaubt zu haben scheint, zeigte sofort eine große patriotische Erregung gegen China.[6]
So wurde eine nationalistische Stimmung geschaffen, um den innenpolitischen Druck nach außen abzudrängen, wie auch der damalige Außenminister Mutsu später in seinen Memoiren zugab.
Eine weitere Maßnahme, um ein Nationalgefühl zu fördern, war 1899 die Verabschiedung des ersten Staatsangehörigkeitsgesetz. Wie im damaligen Deutschland besteht die Zugehörigkeit durch das Blutrecht (ius sanguinis), d.h. eine Definition über die ethnische Zugehörigkeit.
...schien immer mehr Japanern ethnisch- kulturelle Homogenität das Einzige zu sein, was die Nation noch zusammenhalten und somit die vermeintlich oder wirklich notwendige Stärkung des Nationalstaates ermöglichen könnte.[7]
Die folgenden Jahre waren geprägt durch einen starken Nationalismus, der erst 1945 sein Ende mit der Kapitulation im Zweiten Weltkrieg fand. Im Zentrum stand die Anbetung des japanischen Kaisers und die Unterwerfung der Nation unter seine göttliche Autorität.
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Nachkriegszeit: Neubeginn ohne Vergangenheit?
Bis heute ist kein ernsthafter Versuch unternommen worden- abgesehen von einigen Ausnahmen- die Verbrechen des 2. Weltkrieges als Verbrechen zu erkennen und sie als solche darzustellen. Es ist auch kein Wunder, weil die Verdrängung auf Kosten der `richtigen´ Identität besser funktioniert als der schmerzhafte Verlust der allerdings falschen Identität. Die Japaner wollten nichts vom Verbrechen wissen. Es war ja nur ein Krieg. Und im Krieg ist schließlich alles erlaubt.[8]
Nachfolgend soll untersucht werden, ob diese Aussage zutreffend ist. Auch in Japan gab es nach der Kapitulation einen Kriegsverbrecherprozeß, den die Siegermacht USA abhielt. 28 Männer aus dem Militär wurden als Hauptkriegsverbrecher angeklagt, sieben von ihnen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, die restlichen 21 erhielten unterschiedlich lange Freiheitsstrafen.
Mit Inkrafttreten des Friedensvertrages von San Francisco wurden diese begnadigt und freigelassen. Viele in der japanischen Öffentlichkeit sahen in der Maßnahme den Abschluß des Kapitels Kriegsschuld:
Kein Japaner hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem japanischen Gericht wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten müssen. Kein japanischer Staatsanwalt hat je einen Japaner angeklagt wegen Untaten im Zweiten Weltkrieg, begangen an Soldaten oder Zivilisten, an Japanern oder Ausländern. [9]
Auch erinnert folglich kein Mahn- oder Denkmal an die Opfer im Inn- und Ausland. Gepflegt wird dagegen die Anlage in Hiroshima, die an den Abwurf der Atombombe vom 06. August 1945 erinnert.
In einer 32- seitigen Broschüre über die „Wirkungen und Schäden der Atombombenexplosion in Hiroshima“ finden sich zwei Seiten (S.8/9) über die Zeit vor dem Abwurf.
Mit keinem Wort wird darin die Kriegsaggression erwähnt. Es soll hier nicht relativiert werden, daß der Abwurf schrecklich war und furchtbare Folgen hatte, dennoch sollte nicht außer acht gelassen werden, wie es dazu kommen konnte.
Ein Zenotaph, der die Namen aller Opfer enthält, erinnert immerhin teilweise daran, seine Inschrift besagt:
Laßt alle Seelen hier in Frieden ruhen, denn wir werden das Böse nicht wiederholen. [10]
In den frühen 80´er Jahren wurde eine erklärende Tafel dazu angebracht (in japanisch und englisch), damit sich das „wir“ nicht nur auf die japanische Regierung in der Kriegszeit bezieht:
Das Zenotaph ruft die Menschen in aller Welt auf, für die Ruhe der Seelen der verstorbenen Opfer der Atombombe zu beten und sich dem Gelöbnis anzuschließen, das Übel des Krieges nie mehr zu wiederholen. Es spricht aus dem „Herzen von Hiroshima“, das vergangenes Leid nicht vergißt und den Haß überwindet und so nach Verwirklichung des Weltfriedens strebt. [11]
So herrscht laut Buruma, bis heute eine Wahrnehmungslücke:
Die Japaner verbinden Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht mit Entsprechungen des Holocaust, sondern mit militärischen Exzessen, zu denen es in jedem Krieg kommt. Und nach dem Schock von Hiroshima und Nagasaki fiel es den Japanern auch leichter, den Spieß umzudrehen und „ihr auch“ zu sagen. [12]
Vielleicht wäre es zu einer stärkeren Auseinandersetzung gekommen, wenn die USA den japanischen Kaiser Shôwa (bedeutet: „Erleuchteter Friede“) angeklagt hätten.
Daß Kaiser Hirohito als Ehrenmann im Amt blieb, heiligte die Mittel, die in seinem Namen angewendet worden waren. [13]
Nach dem Krieg wurde er nur gezwungen, seiner Göttlichkeit abzuschwören und seine Stellung reduzierte sich auf eine reine Symbolhaftigkeit. Er bleibt zwar Oberhaupt des japanischen Landes, wie festgelegt im ersten Artikel der neuen Verfassung; seine Stellung ähnelt der des deutschen Bundespräsidenten. Es gab verschiedene Gründe, weshalb es nie zu einer Anklage kam:
so hatten die Amerikaner ein schlechtes Gewissen, da sie die Folgen der beiden Atombombenabwürfen nicht erkennen konnten; auch der Beginn des Kalten Krieges machte es für sie notwendig, einen Verbündeten und einen Militärstützpunkt gegen das kommunistische China zu haben, insbesondere mit Beginn des Koreakrieges 1950.
In mancher Hinsicht ist in Deutschland die Aufarbeitung auch nicht gelungen, aber niemand möchte bestreiten, daß es viele Ansätze gab und gibt zur Aussöhnung und Wiedergutmachung. Auch wird bis heute in der Öffentlichkeit über die Kriegs- und Kollektivschuld und dem Massenmord an den Juden diskutiert.
Deutschland soll hier nicht als leuchtendes Beispiel angeführt werden, da auch hier einiges im Argen liegt (siehe die Debatten um die Zahlungen der Industrie an die Zwangsarbeiter oder die über das Holocaust- Mahnmal in Berlin), allerdings ist die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg hier viel präsenter und auch weiter fortgeschritten als in Japan.
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Fazit:
Die Frage des vorangegangenen Abschnittes, ob es in Japan einen Neubeginn ohne Vergangenheit gab, muß bejaht werden. Entgegenkommen und Entschuldigungen gab es zumeist nur dann, wenn wirtschaftliche oder diplomatische Interessen im Vordergrund standen. So sagte der damalige Ministerpräsident Tanaka Kakuei im September 1972 in China während eines Festbanketts unter anderem folgende Worte:
Ich drücke unsere tiefe Selbstbesinnung darüber aus, daß wir in den Jahrzehnten unglücklicher Beziehungen zwischen unseren zwei Ländern dem chinesischen Volk großen Kummer bereitet haben. Ich muß freimütig zugeben, als eine historische Tatsache, daß sogar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein unglücklicher Zustand fortdauerte.
Es ist Zeit, daß wir die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern normalisieren, damit wir auf einer sicheren Grundlage gute nachbarliche und freundschaftliche Beziehungen aufbauen können. Wir sollten uns nicht in der dunklen Sackgasse der Vergangenheit verlaufen. Für die Führer unserer beider Völker ist es wichtig, die Zukunft zu planen, für unser gemeinsames Streben nach Frieden und Wohlstand in Asien und in der Welt. [14]
Hätte nicht gerade letzter Satz eher von Seiten der Opfer als der Täter kommen sollen?
Auch die Taten der japanischen Regierung sprechen eher gegen diese Aussage, bis heute wurden die koreanischen und chinesischen Zwangsarbeiter nicht entschädigt, die diese auf dem Gerichtsweg einzuklagen versuchten.
In der Schulerziehung werden die Verbrechen teilweise verschwiegen und der Kriegsangriff auf Pearl Harbour und die Invasion in die Mandschurai verharmlost.
In Deutschland werden die Verbrechen an den Juden ausführlich dargestellt, auch anhand von zeitgeschichtlichen Quellen und Photographien, wie es zum Aufstieg Hitlers und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges kam. Es gab zwar in Japan ein Aufstand der Jugendlichen in den 60´er Jahren, aber keine Anklagen an die ältere Generation und ein Wille zur Aufklärung der Vergangenheit.
Ohne ein Aufbegehren von Innen heraus, wird es wohl auch in Zukunft keine veränderte Sicht auf die Vergangenheit geben.
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Kollektivismus und Individualismus
Die beiden Schriftzeichen (ningen ausgesprochen) bedeuten Mensch. Schon alleine das Linke heißt Person, Mensch oder Leute (dann wird es allerdings hito gesprochen), das Rechte steht für zwischen (aida).
So definiert sich das Wort Mensch im japanischen durch die Beziehung zwischen ihnen. Die Relation zu dem anderen wird das Selbst, andere werden in das Ich- Bewußtsein mit einbezogen, man nimmt sich als Du des Du (des Gegenüber) wahr. Dennoch schließt sich das Individuum und die Gruppe nicht aus.
Jede Gesellschaft besteht aus verschiedenen Kollektiven (wie zum Beispiel: Familie, Firma, Vereine oder das Studium) und Individuen. Hier untersucht werden soll das Zusammenspiel und die Rolle der beiden.
Im Westen wird besonders das Individuum und die Selbstverwirklichung idealisiert, was dazu führt, daß die Japaner zur Abgrenzung den kollektivistischen Gedanken hochhalten.
Es dient auch als Teil der Identität, um sich von den westlichen Einflüssen und Ideen abzugrenzen. Besonders gut sichtbar wird die Idee des Kollektivismus in den Gruppenreisenden, die auch hier in München anzutreffen sind.
Wichtig ist in der Gruppe die Harmonie, das Vermeiden von Streit, Auseinandersetzungen und Spannungen, um eine Aufspaltung zu verhindern. So ist ein „group player“ angesehener als jemand mit individuellen Ambitionen.
Meinungen und persönliche Ansichten werden innerhalb einer Gemeinschaft zunächst vage angedeutet, wichtig ist hierbei vor allem die Nonverbalität.
Auch Entscheidungen, die getroffen werden müssen, zum Beispiel in einer Firma, werden zuerst besprochen und es wird lange nach einer Möglichkeit des Konsens gesucht.
Dabei kann sich dann häufig die Situation ergeben, in der sich ein Einzelner der Mehrheitsmeinung anschließt, um die Homogenität des Kollektivs nicht zu gefährden. (Angestrebt wird immer eine 100%ige Einigung).
Die Ansicht der Gruppe wird in diesem Moment wichtiger als die Meinung eines Individuums.
So wird auch der Begriff Individualismus in Japan eher als etwas selbstsüchtiges, denn als eine persönliche Verantwortung, angesehen
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Wandel durch Internationalisierung und Globalisierung?
Die Frage ist nun, ob und wie sich durch die Internationalisierung und Globalisierung des Landes eine Veränderung des Zusammenspiels von Individuum und Kollektiv ergeben hat.
So stellt ein Forschungsprojekt des Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) fest, daß es zu einem Wandel seit 1945 kam, in dem individualistische Werte an Bedeutung gewannen. Diese Untersuchung hat durch Meinungsumfragen eine Verschiebung von sogenannten traditionellen zu modernen Werten erheben können.
Alte Werte wie Selbstaufopferung, Disziplin und Ordnung gehen zurück, Individualismus und Selbstentfaltung nehmen zu; allerdings bleibt die Gruppenorientierung weiterhin als wichtiger Faktor erhalten. Die Integration in eine Gruppe verliert nicht an Bedeutung, nur der Wille zur Selbstaufopferung zugunsten des Kollektivs nimmt ab.
Der Einzelne möchte selbst und freiwillig entscheiden, ob er sich in einer Gemeinschaft engagiert oder nicht. Desweiteren stellt die Studie fest, daß dieser Wandel in mehreren Wellen seit 1945 erfolgte.
Die erste fand statt unter der Besatzungsmacht USA und deren sozialen und politischen Reformen, die unter anderem ein allgemeines und freies Wahlrecht, sowie die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau beinhaltete.
Eine weitere ereignete sich in den 70´er Jahren, die ein neues Familienideal schuf, welches auch die Berufstätigkeit der Frau und eine Gleichbehandlung am Arbeitsplatz mit einbezieht.
Auch wenn dies in der Praxis bis heute nicht unbedingt der Normalfall ist (niedrigerer Lohn bei gleicher Arbeit), ist das öffentliche Bewußtsein dafür gestiegen.
Begleitet wurden diese Änderungen von dem Aufstieg zu einer wirtschaftlichen Supermacht, aber auch dem Abstieg seit Anfang der 90´er Jahre in eine noch andauernde Rezession.
In dieser Dekade begann auch eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Internationalisierung (kokusaika), Globalisierung (gurobarizeishon) und Heimat (furusato) Jennifer Robertson definiert diese folgend so:
Internationalisierung bezeichnet die Beziehungen zwischen Tôkyôund dem Rest Japans aus dem Blickwinkel der Präfekturen und Provinzen. Furursato oder furusato- zurukri (Heimat schaffen) ist somit der Gegenpol dazu, das heißt die Sichtweise der Hauptstadt; auch steht es für die staatlich geförderten Entwicklungsprogramme, zur wirtschaftlichen und kulturellen Belebung.
Der dritte Begriff Globalisierung wird gebraucht, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontakte und Beziehungen zu fremden Staaten, Firmen und Institutionen zu benennen. Internationalisierung bedeutet in diesem Kontext also auch die Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen und kulturellen Identität.
Sichtbar wird dies auch, meiner Ansicht nach, durch die japanischen Entsprechungen: kokusaika ist eine wörtliche Übersetzung von Internationalisierung, wohingegen gurobarizeishon die phonetische Übernahme des amerikanischen Wortes Globalization ist.
Eine weiteres Projekt, welche 1996/97 vom Dentsu Institute for Human Studies vergleichend mit anderen asiatischen Ländern wie China, Thailand und Indien durchgeführt wurde, stellt fest, daß der Wertewandel in Japan durch den ausländischen Kontakt, am weitesten fortgeschritten ist.
So wird die Frage nach vertrauten Ländern in Japan mit USA und Großbritannien an den ersten Stellen beantwortet, China und Singapur folgen dann auf den nächsten Plätzen. In den anderen asiatischen Staaten führte diese Umfrage zur Nennung von Nachbarstaaten oder Ländern des gleichen Kontinents. Dadurch ist schon einmal erkennbar, daß der westliche Einfluß in Japan größer ist.
Auch hier stellt die Untersuchung eine Werteverschiebung fest, hin zu individualistischeren Tendenzen.
Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Globalisierung durchaus einen, über das wirtschaftliche hinausgehende, gesellschaftliche Einwirkung auf das Land bisher hatte und wohl auch weiter haben wird.
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Literatur
Buruma, Ian: „Erbschaft der Schuld. - Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan“, Carl Hauser Verlag, München 1994
Buruma, Ian: „Hinter dem Lächeln - Götter, Gangster, Geishas“, Ullstein, Frankfurt am Main 1985
Dambmann, Gerhard: „25 mal Japan“, Serie Piper - Panoramen der Welt, München 1985
Hall, John Whitney:„Das japanische Kaiserreich“, Fischer Weltgeschichte Band 20, Frankfurt am Main 1968
Miyoshi, Masao und H.D. Harootunian (Hrsg.): „Japan in the World“,Duke University Press, Durnham 1993
Nakane, Chie: „Die Struktur der japanischen Gesellschaft“, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1970
Nosco, Peter (Hrsg.): „Japanese Identity: Cultural Analyses“ Publication of the Center for Japan Studies at Teikyo Loretto Heights University, Denver 1997
Pohl, Manfred: „Japans Kaiserhaus: Eine moderne Monarchie, stark durch Tradition“ IN: „Länderbericht Japan“, Mayer, Hans Jürgen/ Pohl, Manfred (Hrsg.), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995
Reischauer, Edwin O: „The Japanese Today - Change and Continuity“ Harvard University Press, Cambridge 1988
Robertson, Jennifer: „Internationalisierung als Nostalgie im heutigen Japan“ IN: Hijiya- Kirschnereit, Irmela (Hrsg.): „Überwindung der Moderne? Japan am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts“, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1996
Takenaka, Akira: „Nation und Staatsbürgerschaft in Japan und Deutschland“ IN: „Zeitschrift für Soziologie“, Jg. 23. Heft 5, Oktober 1994, S. 345- 363
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Fußnoten
1. Chamberlain, Basil Hall: „ABC der japanischen Kultur- Ein historisches Wörterbuch (Things Japanese)“, Manesse Verlag, Zürich 1990, S. 573 (erstmalig 1890. Chamberlain lebte und arbeitete als Professor von 1874 bis 1911 in Tôkyô)
2. Hall, John Whitney: „Das japanische Kaiserreich“, Fischer Weltgeschichte Band 20, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1968, S. 37
3. Buruma, Ian: „Japan hinter dem Lächeln - Götter, Gangster, Geishas“, Ullstein, Frankfurt am Main 1985, S.18
4. Hall, John Whitney, S. 259
5. ebenda, S. 286
6. Takenaka, Akira: „Nation und Staatsbürgerschaft in Japan und Deutschland“, IN: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 23. Heft 5, Oktober 1994, S.354
7. ebenda, S.356 f
8. Miyazaki, Noburu: „Eine japanische `Vergangenheitsbewältigung´ - Zu dem Buch `Sättigung des Teufels´ von Morimura Seiichi“, IN: „Japan - Ein Lesebuch“, herausgegeben von Peter Pörtner, Konkursbuch 16/17, Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 1986
9. Dambmann, Gerhard: „25 mal Japan“, Serie Piper - Panoramen der Welt, München 1985, S.178
10. Buruma, Ian: „Erbschaft der Schuld. - Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan“, Carl Hauser Verlag, München 1994, S.121
11. ebenda
12. ebenda, S.207
13. Dambmann, Gerhard, S.181
14. ebenda, S.188 f
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