Wir waren heute Mittag essen in einem dieser großen, halbdunklen Lokale, in dem die Tische von einander durch dunkle Holzwände getrennt sind, Kegelpokale, Kunstefeu, alte Bügeleisen und Fotos von Karnevalsprinzenpaaren den vorherrschenden Wandschmuck bilden, die Wirte Theo oder Willi heißen und auch so genannt werden, und die Namen tragen wie 'Mettmanner Hof' und 'Deutscher Löwe'. Die Vorsuppe kam, eine klare Brühe mit einer Einlage aus Möhrenstreifen und Eierstich, und nach dem ersten Schluck hatte ich auf einmal das befremdliche Gefühl, wieder sechs Jahre alt zu sein, und mit meiner Mutter im Bahnhofsrestaurant des Düsseldorfer Hauptbahnhofs zu sitzen, wie wir es oft getan haben, wenn wir von den Nachuntersuchungen in den Unikliniken kamen und die Zeit bis zum Eintreffen des stündlich verkehrenden Regionalzugs zu überbrücken hatten, insgesamt zehn Jahre lang. Als ich älter geworden war, hatte es mich aus ungleich profaneren Zwecken noch öfter zu dieser Drehscheibe gezogen und auch damals noch schmeckte die konzentrierte wärmende Suppe in diesem lieblos–verräucherten Ambiente nach Krankheit und Heilung, Warten und Heimkehr, der Abhängigkeit des heimatlosen Reisenden und der Freiheit des anderswo seins, »unerklärt und sicher« (Proust).
Dieser plötzliche Erinnerungsschock hielt bis zum letzten Löffel an; in die Realität fand ich erst zurück, als ich mir nach dem Abräumen durch den irritierend blondierten Kellner, einer funkelnden Goldammer in einem Taubenschlag, fest vornahm, diese Begebenheit nach der Heimkehr im Blaster unter obigem Stichwort zu verankern, wobei mir schon dort, in diesem prototypisch deutschen Speiselokal, durch den Kopf schoss, ich müßte diese Gelegenheit zugleich nutzen um dem Bibelmann gegenüber Abbitte für meine streckenweise arg überzogene Kritik an seinen Einträgen zum Thema 'Rindfleischsuppe' zu leisten.
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