Die Geschichte von einem wahrhaft unglaublichen Ereignis in der Weihnachtszeit
In einem Haus, ganz tief im Wald, lebten vier Tiere: ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn.
Früher einmal sollen sie als Musikgruppe zusammen unterwegs gewesen sein. Gar nicht so schlecht seien sie gewesen, sagen übrigens manche, aber auch nicht besonders gut, sagen andere.
Ihr größter Erfolg war jedenfalls eine Tournee durch Norddeutschland, die ihnen schlußendlich, sozusagen als »GAGE« , das Waldhaus eingebracht hatte, in dem sie jetzt lebten.
Der Esel, ein vornehmes und schon in Ehren ergrautes Tier, hatte früher in der Band Schlagzeug gespielt. Aus dem Alter war er längst heraus und inzwischen wurde seine Weisheit und Klugheit, von den Tieren ringsum im Wald, in den Feldern und Dörfern, gerühmt und sehr geschätzt.
Sie nahmen manchmal recht weite Wege in Kauf, um sich mit dem Esel auszutauschen und sich von ihm beraten zu lassen.
Früher hatte der Hund in dem Quartett die Gitarre bedient. Seit er mit den anderen Tieren in dem Waldhaus wohnte, hatte er ein anderes Talent entwickelt und war zu einem der besten Geschichtenerzähler, die man sich nur vorstellen kann,
geworden. Manche Tiere kamen von weither, um seinen Erzählungen zuzuhören; das konnten sowohl wahre Geschichten sein, wie solche von Begeben-heiten, die sich in der Nachbarschaft, im Lande oder am Königshof zugetragen haben. Aber auch die erfundenen Geschichten, wie Legenden, Sagen oder Märchen, wußte der Hund auf wunderbare Weise wiederzugeben.
Die Katze hatte, damals zu Musikantenzeiten, die Violine gespielt. Jetzt beschäftigte sie sich mit der Wahrsagerei, wie mit Kartenlegen, Pfotenlesen, und Traumdeutung. Außerdem besaß sie eine wunderbare, große und klare Kristallkugel. Aber ob sie damit wirklich in die Zukunft sehen konnte, wußte außer ihr niemand so ganz genau.
Jedenfalls hatte sie als Wahrsagerin gut zu tun und viele Tiere kamen gern zu ihr.
Als Sänger soll der Hahn nie besonders großartig gewesen sein, heißt es. Inzwischen liebte er moderne Musik, vor allem elektronische und kennt sich unheimlich gut mit den »neuen Medien« aus. So verwaltet er zum Beispiel, über das Internet, das Geld der vier Freunde, das er hauptsächlich in gewinn-bringenden Aktien angelegt hat.
Außerdem ist er allgemein ein begeisterter Technikfan
geworden.
An diesem Abend, es war kurz vor Weihnachten, genaugenommen: Sehr kurz vor Weihnachten, saßen der Esel, der Hund, die Katze und der Hahn, in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer.
Draußen schneite es schon seit dem Vormittag und der Schnee türmte sich bereits auf den Waldwegen einen Meter hoch. Hätte sich das freundliche Wildschweinmännchen Eber Edelfried nicht bereit erklärt, die Wege rund um das Waldhaus zu räumen, wären sie längst eingeschneit gewesen.
Jeder ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Der Esel saß in einer Ecke des großen, bequemen Sofas des Tisches und las, oft stirnrunzelnd, in dem Buch »Menschliche Kommunikation«, der Hund lag neben ihm auf dem Sofa und dachte über ein Erlebnis nach, von dem ihm am heutigen Tage das Schwein Bertha aus Hüpfdrübeln, einem Dorf jenseits des Waldes, erzählt hatte.
An der einen Stirnseite des Wohnzimmertisches saß die Katze und legte für sich Tarotkarten. Ab und zu fauchte sie dabei vor sich hin oder grummelte sich geheimnisvolle Schnurrlaute in den Bart.
Ihr gegenüber, an der anderen Stirnseite hockte der Hahn. Er trug Kopfhörer und hatte einen Walkman um den Bauch geschnallt. Vor ihm lag ein Note - Book auf
der Tischplatte und er hackte, offenbar im Rhythmus der Musik, die er über den Kopfhörer vernahm, mit seinem Schnabel auf der Tastatur des Kleincomputers herum.
hörten sie auf einmal ein Geräusch, das sich, außerhalb des Hauses, langsam aus der Ferne näherte: zunächst war es als leises Sirren und Pfeifen zu vernehmen.
Der Esel blickte von seiner Lektüre auf und sah verwirrt umher.
Der Hund, neben ihm auf dem Sofa, stelle - noch im Halbschlaf - die Ohren auf und begann angestrengt zu Lauschen.
Der Katze fiel die Tarot - Karte »DER TURM« aus der Hand und sie blickte auf.
Der Hahn bekam von alledem nichts mit, er tippte weiter mit seinem Schnabel auf die Tasten seines
kleinen Computers und bewegte sich ab und zu der Musik aus den Kopfhörern.
Das Geräusch draußen wurde lauter, jetzt war ein Kreischen zu vernehmen, das sich so anhörte, als wenn Stahl mit einem schweren und scharfen Werkzeug zerschnitten wird.
Der Esel rückte sein Buch zurecht. Der Hund wurde vollkommen wach und die Katze warf ihre Karten auf den Tisch.
Der Hahn merkte nichts.
Nun entwickelte sich das Geräusch zu einem Tosen und Toben, so als würde ein starker Sturm um das Haus herum wehen.
Der Esel setzte sich auf.
Der Hund sprang auf die Füße.
Die Katze starrte zum Fenster.
Der Hahn merkte nichts.
Nun jaulte es draußen und quietschte, so als versuchte ein Auto auf eisglatter Fahrbahn zum Stehen zu kommen.
Der Esel stand auf.
Der Hund sprang auf seine Füße.
Die Katze blickte verwirrt zur Decke.
Der Hahn merkte nichts.
Plötzlich hörten sie ein Knirschen und Krachen. Dann schepperte es und es schien, als ob die Erde bebe. Danach knallte es kurz.
Der Esel lief zur Tür.
Der Hund sprang zum Sofa und bellte.
Die Katze fauchte laut und sprang auf den Boden.
Der Hahn nahm den Kopfhörer ab und fragte: »Was ist denn jetzt los? Gerade wollte ich eine hochinteressante Message über das Inter - Net absenden, da habe ich ein eigenartiges Geräusch gehört. Habt ihr etwa ein altes Volkslied gesungen?«.
»Nein!«, antwortete der Esel, »da draußen geht etwas merkwürdiges vor!«.
»Das erinnert mich an eine Geschichte ...«, wollte der Hund sagen und wurde von der Katze unterbrochen, die rief:
»Ich glaube, die Geister kehren zurück zur Erde, um uns etwas mitzuteilen!«.
»Ach?« meinte der Hahn.
Von außen war ein grelles Licht zu sehen, das durch die Fenster schien.
Schnell erzählten Esel, Hund und Katze dem Hahn, was sie bisher wahrgenommen hatten.
Dann hörten sie draußen ein schnelles Getrampel.
»Hm, was kann das sein?« fragte der Esel.
»Ich sagte es doch,« antwortete die Katze aufgeregt und suchte schnell nach Atem, »die alten Geister kommen, um uns etwas mitzuteilen!«.
»Nana!« brummte der Esel: »Nun mal langsam!«.
»Mich erinnert das an eine Geschichte die ... . «
Aber der Hahn unterbrach ihn und rief aufgeregt: »Ich habe euch verstanden, Freunde und glaube, daß außerirdische Lebensformen auf der Erde landen!«.
Der Esel runzelte die Stirn und erwiderte: »Nicht so schnell, bis jetzt habe ich nur Laute vernommen, die sich ganz natürlich und normal anhörten.«.
Dann stapfte draußen etwas, ganz in der Nähe des Waldhauses, durch den Schnee.
»Da kommt jemand auf unser Haus zu!« stellte der Esel fest.
»Ich würde gerne noch eben die Geschichte...«., wollte der Hunde sagen, als die Katze aufgeregt dazwischen fuhr:
»Geister, ich sage ja: Geister! Sie sind gekommen!«.
»Unsinn! Blanker Unsinn!«, antwortete der Hahn. »Es handelt sich zweifellos um Außerirdische! Ich hoffe nur, sie sind uns freundlich gesonnen!«.
Die Vier hörten gleich darauf ein Klopfen:
»Tock, tock, tock!« an der Tür.
»Hm, es klopft! Einer muß aufmachen!«, meinte der Esel, aber die Katze schrie: »Nein, nein, nein!«, sie machte einen Buckel und keifte: »Laßt die Geister nicht ein! Laßt nur die Geister nicht ein!«.
»Quatsch!« meinte der Hahn, »Es handelt sich hier zweifellos um Außerirdische. Die können wir sowieso nicht aufhalten!«.
»Ich würde gerne mal eben die Geschichte von dem Schwein Bertha...!« gab der Hund von sich.
Da krachte es laut. Die Tür zerbarst und tausend Holzsplitter flogen herum.
Ein roter Blitz jagte durch das Haus:
Es krachte und schepperte an allen möglichen Stellen: Im Flur, im Wohnzimmer, in der Küche. In allen Räumen.
Dann ging die Toilettentür auf und knallte gleich darauf, ganz laut wieder zu.
»Was war das?« fragte der Esel.
»Geister, die uns besuchen!«, antwortete die Katze.
»Nein, das sind fremde Lebewesen von einem anderen Planeten!«, erwiderte der Hahn.
»Ich würde gerne eben mal schnell loswerden, was mir das Schwein Bertha mir heute Vormittag berichtet hat!«
meinte der Hund. Und der Esel antwortete: »Dann tue es jetzt! Im Moment scheint Dich keiner unterbrechen zu wollen!«.
»Heute Morgen kam das Schwein Bertha aus Hüpfdübeln zu mir,« erzählte der Hund. »Es teilte mir mit, daß es im Morgengrauen einen seltsamen Blitz am Horizont gesehen habe. Die Erscheinung sei näher gekommen und sie habe ein menschenartiges Lebewesen mit einer roten Mütze auf dem Kopf gesehen!«.
»Ein Geist! Zweifellos ein Geist!« schrie die Katze.
»Unsinn!« widersprach der Hahn, "Bertha hat ein UFO gesehen! Und das rote war bestimmt keine Mütze sondern der Astronautenhelm eines außerirdischen
Raumfahrers!".
Die vier Freunde schlichen sich langsam durch den Flur und blieben in gehöriger Entfernung von der Toilettentür stehen.
»Und was ist da gerade in unsere Toilette gerast?« fragte der Esel.
»Ein Geist!« behauptete die Katze und blickte ängstlich zur Toilettentür.
»Ein außerirdischer Besucher, bewaffnet mit einem Strahlengewehr!« beharrte der Hahn und zitterte am ganzen Körper.
»Ich weiß es nicht!« meinte der Hund und sein Nackenfell sträubte sich vor Angst.
»Einer von uns muß nachsehen!« beschloß der Esel und sah seine ängstlichen Mitbewohner kopfschüttelnd an.
»Der Hund!« rief die Katze.
»Der Hahn!« rief der Hund.
»Die Katze!« rief der Hahn.
Der Esel seufzte und schüttelte abermals den Kopf:
»Ich sehe selber nach!« sagte er und ging auf die Tür zu, »Es wird eine ganz natürliche Erklärung geben!«.
»Warte noch, wir anderen verstecken uns!« rief der Hahn und verschwand im Schirmständer. Der Hund duckte sich dahinter und die Katze versteckte sich hinter dem Hund.
Dann legte der Esel einen Vorderfuß auf die Klinke der Toilettentür..................... .
Da ging die Tür wie von selbst auf. Hund, Katze und Hahn schrien erschrocken auf, sogar der Esel trat einen Schritt zurück.
Im Türrahmen stand ein großer Mann, in einen roten Mantel gekleidet, mit einer roten Mütze auf dem Kopf und einem bärtigen und sehr freundlichen Gesicht.
»Der Weihnachtsmann!« staunte der Esel und Hund, Katze und Hahn hoben langsam ihre Köpfe.
»Richtig!« lachte der, mit einer tiefen, freundlichen Stimme. »Der bin ich!« Und dann fügte er hinzu: »Entschuldigt, Freunde, daß ich hier einfach so `reingeplatzt bin! Aber ich war gerade auf dem Weg zur Erde, um den Kindern ihre Geschenke zu bringen, da mußte ich plötzlich ganz, ganz dringend auf die Toilette! Und ich hatte wirklich keine Zeit mehr, euch vorher zu fragen!«
Jetzt mußten alle vier Tiere lachen. Auch Hund, Katze und Hahn kamen aus ihren Verstecken.
»Und was waren das für Geräusche, bevor du herein gerast gekommen bist, Weihnachtsmann?« fragte der Esel.
Der Weihnachtsmann öffnete die Haustür und wies nach draußen, auf den verschneiten Platz vor dem Haus.
Da stand der große, mit Geschenken vollbepackte Schlitten des Weihnachtsmannes, die sechs davor gespannten Rentiere scharrten ungeduldig mit den Hufen im Schnee.
»Naja, die Geräusche sind deswegen so schlimm gewesen, weil ich mit größtmöglicher Notfallgeschwindigkeit herunter fahren mußte!« erklärte der Weihnachtsmann. »So, jetzt vielen Dank dafür, daß ich Eure Toilette benutzen durfte! Jetzt muß ich aber schnell weiter, die Kinder warten schon auf mich!«. Mit diesen Worten ging er zum Schlitten und winkte den vier Tieren noch einmal zu. Dann sprang er auf den Fahrersitz und trieb die Rentiere an. Schnell erhob sich der Schlitten und verschwand am Himmel.
»Na, so was?« meinte der Esel und schloß die Tür.
Dann kehrten die Vier ins Wohnzimmer zurück und setzten sich wieder auf ihre Plätze.
Der Esel legte allerdings sein Buch zur Seite, nahm Schreibzeug und begann ein eigenes Buch zu schreiben, dem er die Überschrift gab: »Und es gibt ihn doch!«.
Der Hund kauerte sich wieder auf das Sofa und freute sich darauf, den Waldtieren am nächsten Morgen eine wahrhaft spannende und ungewöhnliche Geschichte erzählen zu können.
Die Katze nahm ihre Karten wieder auf und überprüfte sie dahingehend, ob sie einen Hinweis auf den überraschenden Besuch des Weihnachtsmannes übersehen hätte.
Der Hand schrieb eine E - Mail und setzte sie ins Internet. Der Titel lautete "Trotz Technikzeitalter:
Eine Wohngemeinschaft erhält Besuch vom Weihnachtsmann!".
Erst sehr spät in der Nacht gingen die vier Freunde
an diesem Tag ins Bett.
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