Fast alle waren wir Luftgitarristen in meiner Klasse, das heißt, eigentlich nur wir Jungen. Die gleichaltrigen Mädchen hatten uns, wie gesagt wurde, doch einiges an Reife voraus, und deshalb waren wir gut beraten, in deren Gegenwart unsere virtuosen Soli nicht zur Aufführung zu bringen. Allenfalls ein mitleidiges Lächeln hätten sie für unsere ekstatischen Verrenkungen erübrigt, obwohl jeder von uns in seinen Tagträumen, bei seinen imaginären Konzert-Auftritten, an ein bestimmtes Mädchen dachte, das seine Leidenschaft stimulierte und deren bewundernde Blicke er so sehnlichst begehrte. Goldi, der als einziger von uns eine real existierende elektrische Gitarre besaß, hatte uns nur scheinbar etwas voraus. Sein stockendes Durchbuchstabieren der immer gleichen Rocketüden war kaum geeignet, irgendjemandes Bewunderung zu wecken. Er hatte das aber auch gar nicht nötig, als der bestaussehendste Junge der Klasse besaß er zu jeder Zeit das Privileg, zwischen mehreren Verehrerinnen wählen zu können. Einmal in einer Anwandlung unerklärlicher Courage paßte ich Dorle, das bestaussehendste Mädchen der Klasse, in einer abgelegenen Ecke des Schulhofes ab und erklärte ihr in atemlos hervorgestoßenen und umständlich gewundenen Andeutungen meine Liebe. Sie erklärte mir ruhig und freundlich, daß sie sich sehr geschmeichelt fühle, aber daß ich jetzt wieder zu meinen Freunden zurückgehen solle, die in einer anderen Ecke schon auf mich und die Fortsetzung irgendeines dämlichen Kartenspiels warteten. Zu Hause legte ich als erstes “While My Guitar Gently Weeps” von den Beatles auf und spielte das wahrscheinlich genialste Luftgitarrensolo meines Lebens. Und als der letzte Ton des Songs verklungen war, herrschte für einen Moment Totenstille, dann meinte ich von ferne einen gewaltigen Applaus heranbrausen zu hören, und wie durch einen Nebel konnte ich im Publikum Dorle ausmachen, die lächelte und deren ganzer Stolz mir galt. Eine Luftgitarre, ein Luftschloß, eine Luftliebe.
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