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! schrieb am 15.2. 2009 um 14:46:41 Uhr über

Lublin

Von all den Zeugen, die geladen,

Vergeß ich auch die Zeugen nicht,

Als sie in Reihn den Saal betraten,

Erhob sich schweigend das Gericht.



Wir blickten auf die Kleinen nieder,

ein Zug zog paarweis durch den Saal.

Es war, als tönten Kinderlieder,

Ganz leise, fern, wie ein Choral.



Es war ein langer bunter Reigen,

Der durch den ganzen Saal sich schlang.

Und immer tiefer ward das Schweigen

Bei diesem Gang und Kindersang.



Voran die kleinsten von den Kleinen,

sie lernten jetzt erst richtig gehen

-Auch Schuhchen können lachen, weinen -.

Ward je ein solcher Zug gesehn!



Es tritt ein winzig Paar zur Seite,

Um sich ein wenig auszuruhn,

Und weiter zieht es in die Weite-

Es war ein Zug von Kinderschuhn.



Man sieht, wie sie den Füßchen passten-

Sie haben niemals weh getan,

Und Händchen spielten mit den Quasten.

Das Kind zog gern die Schuhchen an.



Ein Paar aus Samt, ein Paar aus Seiden,

Und eines war bestickt sogar

Mit Blumen, wie sie ziehn, die beiden

Sind ein schmuckes Hochzeitspaar.



Mit Bändchen, Schnallen und mit Spangen,

Zwergenhafte Wesen, federleicht-

Und vielsind viel zu lang gegangen,

Und sind vom Regen durchgeweicht.



Man sieht die Mutter auf den Armen

Das Kind, vor einem Laden stehn:

Die Schuhchen, die, die weichen, warmen,

Ach, Mutter, sind die Schuhchen schön!“



Wie soll ich nur die Schuhchen zahlen.

Wo nehm das Geld ich dafür her...“

Es naht ein Paar von Holzsandalen,

Es ist schon müd und schleppt sich schwer.

Es muß ein Strümpfchen mit sich schleifen,

Das wundgescheuert ist am Knie...

Was soll der Zug? Wer kanns begreifen?

Und diese ferne Melodie...



Auch Schuhchen können weinen, lachen...

Da fährt in einem leeren Schuh

Ein Püppchen wie in einem Nachen

Und winkt uns wie im Märchen zu.



Hier geht ein Paar von einem Jungen,

Das hat sich schon als Schuh gefühlt,

Das ist gelaufen und gesprungen

Und hat auch wohl schon Ball gespielt.



Ein Stiefelchen hat sich verloren

Und findet den Gefährten nicht,

Vielleicht ist er am Weg erfroren-

Ach, damals fiel der Schnee so dicht...



Zum Schluß ein Paar, ganz abgetragen,

Das macht noch immer mit, wozu?

Als hätte es noch was zu sagen,

Ein Paar zerrissener Kinderschuh.



Ihr heimatlosen, kinderlosen,

Wer schickt euch? Wer zog euch aus?

Wo sind die Füßchen, all die bloßen?

Ließt ihr sie ohne Schuhzu Haus...?



Der Richter kann die Frage deuten.

Er nennt der toten Kinder Zahl...

Ein Kinderchor. Ein Totenläuten.

Die Zeugen gehen durch den Saal.



Die Deutschen waren schon vertrieben,

Da fand man diesen schlimmen Fund.

Wo sind die Kinder nur geblieben?

Die Schuhe tun die Wahrheit kund:



Es war ein harter, dunkler Wagen.

Wir fuhren mit der Eisenbahn.

Und wie wir in dem Dunkel lagen,

so kamen wir im Dunkel an.



Es kamen aus den Läden allen

Viel Schuhchen an in einem fort,

Und manche stolpern schon und fallen,

Bevor sie treffen ein am Ort.



Die Mutter sagte: “Wieviel Wochen

Wir hatten schon nichts Warmes mehr!

Nun wird ich uns ein Süppchen kochen.“

Ein Mann mit Hund ging nebenher:



Es wird sich schon ein Plätzchen finden“,

So lachte er, „und warm ists auch,

Hier braucht sich keiner abzuschinden...“

Bis in den Himmel kroch ein Rauch.



Es wird euch nicht an Wärme fehlen,

Wir heizen immer tüchtig ein.

Ich kann Lublin nur warm empfehlen,

Bei uns herrscht ewiger Sonnenschein.“



Und es war eine deutsche Tante,

die uns im Lager von Lublin

Empfing und „Engelspüppchen“ nannte,

Um uns die Schuhchen auszuziehn,



Und als wir fingen an zu weinen,

Da sprach die Tante: „Sollt mal sehn,

Gleich wird die Sonne prächtig scheinen,

Und darum dürft ihr barfuß gehen...



Stellt euch mal auf und lasst euch zählen,

So, seid ihr auch hübsch unbeschuht?

Es wird euch nicht an Wärme fehlen,

Dafür sorgt unsere Sonnenglut...

Was, weint ihr noch? ‚s ist eine Schande!

Was tut euch denn, ihr Püppchen, weh?

Ich bin die deutsche Märchentante!

Die gute deutsche Puppenfee.



s ist Zeit, ihr Püppchen, angetreten!

Was fällt euch ein denn, hinzuknien.

Auf, lasst uns singen und nicht beten!

Es scheint die Sonne in Lublin!“



Es sang ein Lied die deutsche Tante.

Strafft sich den Rock und geht voraus,

Und dort, wo heiß die Sonne brannte,

Zählt sie uns nochmals vor dem Haus.



Zu hundert, nackt in einer Zelle,

Ein letzter Kinderschrei erstickt...

Dann wurden von der Sammelstelle

Die Schuhchen in das Reich geschickt.



Es schien sich das Geschäft zu lohnen,

Das Todeslager von Lublin.

Gefangenenzüge, Prozessionen.

Und- eine deutsche Sonne schien...



Wenn Tote einst als Rächer schreiten,

Und über Deutschland hallt ihr Schritt,

Und weithin sich die Schatten breiten-

Dann ziehen auch die Schuhchen mit.



Ein Zug von abertausend Zwergen,

So ziehen sie dahin in Reihn,

Und wo die Schergen sich verbergen,

Dort treten sie unheimlich ein.



Sie schleichen sich herauf die Stiegen,

Sie treten in die Zimmer leis.

Die Henker wie gefesselt liegen

Und zittern vor dem Schuldbeweis.



Es wird die Sonne brennend scheinen.

Die Wahrheit tut sich allen kund.

Es ist ein großes Kinderweinen,

Ein Grabgesang aus Kindermund...

Der Kindermord ist klar erwiesen.

Die Zeugen all bekunden ihn.

Und nie vergeß ich unter diesen

Die Kinderschuhe aus Lublin.





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