ein russischer Nachrichtendienstler. Er war Agent des Geheimdienstes KGB und Offizier des Geheimdienstes FSB. Später trat er als Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin und Buchautor in Erscheinung. Er starb durch eine Vergiftung mit Polonium-210.
Inhaltsverzeichnis
1 Leben
1.1 Karriere
1.2 Vom Agenten zum Kritiker des russischen Machtapparates
1.3 Kritik aus dem Londoner Asyl (ab November 2000)
1.3.1 Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser 1999
1.3.2 Organisation der Geiselnahme im Moskauer Theater 2002
1.3.3 Unterstützung von al-Qaida
1.3.4 Romano Prodis KGB-Komplizenschaft
1.3.5 Pädophilie-Anschuldigungen gegen Putin
1.3.6 Letzte, unveröffentlichte Recherchen
1.3.6.1 Zerschlagung von Jukos
1.3.6.2 Dänische Mohammed-Karikaturen
1.3.6.3 Ermordung von Anna Politkowskaja
1.3.6.4 Kooperation mit spanischen Behörden
1.4 Tod
2 Der Fall Litwinenko
2.1 Ermittlungen
2.2 Spekulationen über die Täterschaft
2.2.1 Litwinenko beschuldigt Putin
2.2.2 Spekulationen westlicher Medien
2.2.3 Spekulationen in Russland
2.2.4 Öffentliche Untersuchung am Londoner Strafgerichtshof
3 Verfahren gegen Lugowoi
3.1 Erklärung der britischen Staatsanwaltschaft
3.2 Die Beweislage
4 Dokumentarfilm zum Fall Litwinenko
5 Werke
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Leben
Karriere
Nach Abschluss der Mittelschule wurde Litwinenko 1980 in die Armee einberufen. Ab 1988 war er in der Abteilung für Spionageabwehr des sowjetischen Geheimdienstes KGB tätig. In verschiedenen Konfliktherden der Sowjetunion und später Russlands war er an Kampfeinsätzen beteiligt. Beim FSB, einer russischen Nachfolgeorganisation des sowjetischen KGB, war Litwinenko im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität eingesetzt.
Vom Agenten zum Kritiker des russischen Machtapparates
1998 trat Litwinenko erstmals als Kritiker des russischen Machtapparates an die Öffentlichkeit: Auf einer Pressekonferenz in Moskau beschuldigte er – zusammen mit Michail Trepaschkin und einigen anderen maskierten Geheimdienstlern – die Führung des Geheimdienstes FSB der Anstiftung zum Mord. Sie hätten von dieser den Auftrag bekommen, den damaligen Sekretär des Staatsicherheitsrats, Boris Beresowski, zu töten.[1]
Im März 1999 wurde Litwinenko erstmals verhaftet, in einem Strafverfahren im November desselben Jahres aber freigesprochen. Noch im Gerichtssaal wurde er erneut festgenommen, im Jahr 2000 schließlich aus der Haft entlassen. Litwinenko behauptete, die Anschuldigungen gegen ihn seien konstruiert gewesen. Und bei der Haftentlassung habe er sich verpflichten müssen, nicht aus der Russischen Föderation auszureisen. In der Folge wurde ein drittes Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Nach eigenen Angaben wurden Litwinenko und seine Familie vom FSB bedroht, was ihn noch im Jahr 2000 zur illegalen Ausreise bewogen habe.
Litwinenko traf am 1. November 2000 in London ein und beantragte politisches Asyl. Dieses wurde ihm und seiner Familie im Mai 2001 gewährt. In Großbritannien betätigte sich Litwinenko als Journalist und Buchautor, finanziert vom ebenfalls in London lebenden Boris Beresowski.[2] Im Oktober 2006 – wenige Wochen vor seinem Tod – erhielt Litwinenko die britische Staatsbürgerschaft. Laut Daily Mail betätigte sich Litwinenko in London als MI6-Agent.[3]
Kritik aus dem Londoner Asyl (ab November 2000)
Litwinenko machte eine Reihe von Anschuldigungen öffentlich, die seine früheren Geheimdienstkollegen von KGB und FSB und den früheren FSB-Chef Wladimir Putin belasten oder diskreditieren. Diese Behauptungen konnten bislang von unabhängigen Medien weder bestätigt noch widerlegt werden.
Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser 1999
Hauptartikel: Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser
Zusammen mit Juri Felschtinski, einem US-amerikanischen Historiker russischer Herkunft, verfasste er 2002 das Buch Eiszeit im Kreml. Das Komplott der russischen Geheimdienste (im russischen Original: ФСБ взрывает Россию). Die auf Menschenrechtsfragen spezialisierte russische Nachrichtenagentur Prima, die vom ehemaligen Sowjetdissidenten Alexander Podrabinek geleitet wird, ließ das Buch in Lettland drucken und wollte es in Moskau mit einer Auflage von 4400 Exemplaren verkaufen. Der Lastwagen mit der Auflage wurde indes im Rahmen einer Antiterror-Aktion beschlagnahmt.[4]
Die zentrale These des Buches ist, dass die Sprengstoffanschläge von 1999 auf Wohnhäuser in Moskau und anderen russischen Städten, bei denen rund 300 Menschen den Tod fanden, entgegen den Behauptungen von offiziellen russischen Stellen nicht von tschetschenischen Terroristen verübt wurden. Vielmehr gingen die Anschläge – so die Autoren – auf das Konto des russischen Geheimdienstes FSB und dienten im Rahmen einer Strategie der Spannung als Vorwand für die Entfesselung des Zweiten Tschetschenienkriegs.[5]
Dieselbe Theorie vertraten auch Mitglieder einer öffentlichen Kommission um Sergei Kowaljow. Ihre Mitglieder wurden von einer Reihe von Zwischenfällen heimgesucht:
Der Kommissionsvorsitzende Sergej Juschenkow wurde am 17. April 2003 erschossen.[6]
Der Ermittler der Kommission, Rechtsanwalt Michail Trepaschkin – wie Litwinenko ein ehemaliger FSB-Offizier – wurde im Oktober 2003 festgenommen, als die Polizei in seinem Auto eine Pistole fand. Vermutlich wurde sie ihm untergeschoben, doch wurde Trepaschkin im Mai 2004 wegen Verrats von Staatsgeheimnissen und illegalem Besitz von Munition zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt. Nach Angaben von Amnesty International war das Verfahren „offenbar politisch motiviert“ und entsprach „nicht den internationalen Standards für faire Verfahren“. Russische Menschenrechtsgruppen gingen davon aus, dass „die Anklagen gegen ihn konstruiert wurden, um zu verhindern, dass er seine Ermittlungen zu den 1999 verübten Bombenanschlägen auf Wohnhäuser fortsetzen konnte“, so Amnesty International.[7]
Das Kommissionsmitglied Juri Schtschekotschichin, Vize-Chefredakteur der Zeitung Nowaja Gaseta, starb am 3. Juli 2003. Offizielle Todesursache war eine seltene Hautveränderung, das sogenannte Lyell-Syndrom. Familie und Weggefährten vermuten jedoch, dass Schtschekotschichin vergiftet wurde.[8]
Organisation der Geiselnahme im Moskauer Theater 2002
Im Juni 2003 behauptete Litwinenko im Interview mit dem australischen TV-Sender SBS, dass mindestens zwei der Tschetschenen, die das Moskauer Musical-Theater erstürmt hatten, in Wahrheit für den FSB gearbeitet hatten und vom FSB zur Geiselnahme angestiftet worden waren. Angeblich konnten die beiden ihm bekannten Tschetschenen später nicht unter den Toten gefunden werden, weil sie vom FSB herausgeholt worden waren. Litwinenko war überzeugt, dass die Geiselnahme in Wahrheit eine geplante Aktion des FSB war.[9]
Unterstützung von al-Qaida
In einem Interview im Juli 2005 mit der polnischen Zeitung Rzeczpospolita warf Litwinenko dem von Putin geführten FSB vor, im Jahr 1998 Aiman az-Zawahiri und andere al-Qaida-Führer in der an Tschetschenien angrenzenden Teilrepublik Dagestan trainiert zu haben.[10]
Romano Prodis KGB-Komplizenschaft
Im April 2006 sorgten Anschuldigungen gegen den italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi für Aufmerksamkeit. Litwinenko habe vor seiner Ausreise im Jahr 2000 vom ehemaligen stellvertretenden Direktor des FSB, Anatoli Trofimow erfahren, dass Prodi mit dem KGB zusammenarbeitete. Dies erklärte der britische Europaabgeordnete Gerard Batten am 3. April 2006 im EU-Parlament.[11][12]
Pädophilie-Anschuldigungen gegen Putin
Litwinenko beschuldigte im Juli 2006 auf der Website der tschetschenischen Separatistenbewegung Wladimir Putin der Veranlagung zur Pädophilie.[13] Er verglich ihn mit dem bekannten ukrainischen Serienmörder und Kannibalen Andrei Tschikatilo.
Letzte, unveröffentlichte Recherchen
Zerschlagung von Jukos
Vor seinem Tod soll Litwinenko brisantes Material über die Zerschlagung des russischen Ölkonzerns Jukos gesammelt haben. Dies berichtete die britische Tageszeitung The Times. Litwinenko habe Unterlagen besessen, die bewiesen, dass mehrere Mitarbeiter des Unternehmens verschwunden oder gestorben seien und dass die russische Regierung an diesen Verbrechen direkt beteiligt gewesen sei. Die Akte habe Litwinenko dem früheren, mittlerweile in Israel lebenden Jukos-Vize Leonid Newslin übergeben.[14]
Dänische Mohammed-Karikaturen
Litvinenko zufolge war die Kontroverse über die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten im Jahr 2005 vom FSB orchestriert worden, angeblich, weil Dänemark sich geweigert hatte tschetschenische Terroristen an Russland auszuliefern. Allerdings räumt der Verfasser des Artikels kritisch ein, dass Litvinenko Verschwörungstheorien geradezu »geliebt habe«.[15]
Ermordung von Anna Politkowskaja
Eigenen Aussagen zufolge hat Litwinenko sich zuletzt auch mit dem Mord an der Moskauer Journalistin Anna Politkowskaja beschäftigt. Er soll sich am Tag seiner Vergiftung mit Polonium-210 mit dem italienischen Geheimdienstexperten Mario Scaramella getroffen haben, der ihm angeblich wichtige Unterlagen zu diesem Fall überreichte. Darin sollen Mitglieder einer Spezialeinheit des FSB als Urheber des Mordes an Politkowskaja angeführt werden. Litwinenko sei in diesen Unterlagen ebenso wie der in London lebende russische Oligarch Beresowski als nächstes Ziel von Anschlägen genannt worden.[16]
Kooperation mit spanischen Behörden
Laut einem Bericht der Tageszeitung El País informierte Litwinenko kurz vor seinem Tod die spanischen Behörden über Aufenthaltsort, Rolle und Aktivitäten zahlreicher Mitglieder der russischen Mafia. In einem Treffen im Mai 2006 soll er insbesondere Informationen über Izguilov, Zahkar Kalashov und Tariel Oniani weitergegeben haben.[17]
Tod
Das Grab Alexander Litwinenkos
Am 1. November 2006 ließ sich Litwinenko mit Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus einweisen. In den folgenden Tagen verschlechterte sich sein Zustand rasant. Die Mediziner gingen zuerst davon aus, dass Thallium für den körperlichen Verfall Litwinenkos gesorgt hatte. Erst wenige Stunden vor dem Ableben fand man große Mengen der radioaktiven Substanz Polonium-210 im Urin.[18]
Litwinenko starb am 23. November 2006 um 21:21 Uhr Ortszeit an den Folgen der durch Polonium verursachten Strahlenkrankheit. Nur wenige Stunden, bevor er das Bewusstsein verlor, erklärte Litwinenko in einem Interview mit der Times, dass er vom Kreml zum Schweigen gebracht worden sei.[19]
Die Beerdigung auf dem Londoner Highgate-Friedhof (lt. Merkur Online vom 7. Dezember 2006) wurde nach islamischem Ritus abgehalten (Litwinenko war kurz vor seinem Tod zum Islam übergetreten).[20][21]
Litwinenko hinterließ seine Frau Marina und einen zehnjährigen Sohn.
Der Fall Litwinenko
Ermittlungen
Die Ermittlungen im Fall Litwinenko werden von Scotland Yard geführt; die britische Polizeibehörde stufte den Tod am 6. Dezember 2006 als Mord ein.[22][23][24] Am darauf folgenden Tag eröffnete auch die russische Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Mordes an Litwinenko. Damit wird – falls die Ermittlungen zu einem offiziellen Ergebnis kommen – ein Prozess gegen mutmaßliche Täter in Russland möglich.[25]
Nach bisherigen Erkenntnissen wurde Litwinenko am 1. November 2006 in der Bar des Millennium Hotel mit Polonium-haltigem Tee vergiftet.[26] Hier traf er sich mit den russischen Geschäftsmännern (und früheren KGB-Mitarbeitern) Andrei Lugowoi und Dmitri Kowtun.[27] Möglicherweise war noch eine weitere Person namens „Wladislaw” involviert; diese steht im Verdacht, den kontaminierten Tee zubereitet und Litwinenko gegeben zu haben.[28][29] Nach dem Treffen im Millennium Hotel war Litwinenko mit Mario Scaramella zum Mittagessen in einer Sushi-Bar verabredet. Anschließend traf er sich mit dem tschetschenischen Rebellensprecher Achmed Sakajew.[30]
Im Visier von Scotland Yard steht insbesondere Lugowoi, vgl. unten „Verfahren gegen Lugowoi“. Aber auch Kowtun ist nicht unverdächtig, ließen sich doch Polonium-Spuren bei seinen Verwandten in Deutschland nachweisen.[31]
Spekulationen über die Täterschaft
Litwinenko beschuldigt Putin
Am 21. November – zwei Tage vor seinem Tod – diktierte Litwinenko seinem Vater einen Abschiedsbrief. Darin machte er den russischen Präsidenten Putin für seinen Tod verantwortlich:
„Während ich hier liege, höre ich in aller Deutlichkeit die Flügel des Todesengels. Möglicherweise kann ich ihm noch einmal entkommen, aber ich muss sagen, meine Beine sind nicht so schnell, wie ich es gerne hätte. Ich denke deshalb, dass es an der Zeit ist, ein oder zwei Dinge dem Menschen zu sagen, der für meinen jetzigen Zustand verantwortlich ist. Sie [Putin] werden es vielleicht schaffen, mich zum Schweigen zu bringen, aber dieses Schweigen hat einen Preis. Sie haben sich als so barbarisch und rücksichtslos erwiesen, wie Ihre ärgsten Feinde es behauptet haben. Sie haben gezeigt, dass Sie keine Achtung vor dem Leben, vor der Freiheit oder irgendeinem Wert der Zivilisation haben. Sie haben sich als Ihres Amtes unwürdig erwiesen, als unwürdig des Vertrauens der zivilisierten Männer und Frauen. Sie werden es vielleicht schaffen, einen Mann zum Schweigen zu bringen. Aber der Protest aus aller Welt, Herr Putin, wird für den Rest des Lebens in Ihren Ohren nachhallen. Möge Gott Ihnen vergeben, was Sie getan haben, nicht nur mir angetan haben, sondern dem geliebten Russland und seinem Volk.“
– Abschiedsbrief Litwinenkos, übersetzt von der AFP.[32]
Putin wies die Anschuldigungen bezüglich einer Beteiligung Moskaus an der Ermordung Litwinenkos als unbegründet zurück.[18]
Spekulationen westlicher Medien
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Das Medieninteresse für das Schicksal Litwinenkos entbrannte Mitte November 2006, nachdem sich dessen Zustand massiv verschlechtert hatte. Nach Angaben des Guardian stellte zu Beginn die PR-Agentur Chime Communications – im Auftrag von Beresowski – eine Kampagne auf die Beine. Die Agentur verbreitete Informationen über den Gesundheitszustand von Litwinenko mit Fotos aus dem Krankenhaus.[33]
Die meisten westlichen Medien heben das Interesse hervor, das „Moskau”, das „Putin-Regime”, der „russische Geheimdienst” an einer Beseitigung Litwinenkos gehabt haben könnte, wofür auch der Millionenwert des verwendeten Poloniums spricht.[34] [35] Allenfalls wurden die Täter auch in den Kreisen der russischen Mafia vermutet.[36] Erwähnt wird aber auch die in Russland verbreitete Theorie, dass eine andere Täterschaft bewusst den Verdacht auf „Moskau” lenken wollte.[33][37]
Laut der Theorie des US-Journalisten Edward Jay Epstein war Litwinenko in kriminelle Machenschaften wie den Schmuggel mit gefährlichen Materialien verwickelt. Epstein, der an einem Buch über den Gifttod arbeitet, behauptet in einem Artikel, dass Litwinenko in den Schmuggel des radioaktiven Polonium-210 verwickelt gewesen sei und sich dabei selbst vergiftet habe.[38]
Spekulationen in Russland
Der Berater des Präsidenten, Sergei Jastrschembski, vermutete in einer Reportage des russischen Staatssenders Westi ein Komplott gegen die Regierung: „Ich denke, wir haben es mit einer gut organisierten Kampagne oder einem konsequenten Plan zur Diskreditierung Russlands und seiner Führung zu tun.“[39]
Ende Dezember 2006 bezeichnete die russische Generalstaatsanwaltschaft Leonid Newslin als möglichen Auftraggeber für den Mord an Litwinenko. Der seit 2003 in Israel lebende ehemalige Mitbesitzer des Ölunternehmens Jukos hat die Verdächtigung zurückgewiesen.[40][41]
Der nationalbolschewistische Regierungskritiker Eduard Limonow wiederum stützte die These Litwinenkos und stellte Präsident Putin an den Pranger: „Das Argument all der Herren ist: Es war für Putin nicht nützlich, den Befehl zur Beseitigung Litwinenkos und Politkowskajas zu geben. Doch dieses Argument passt nicht für Herrn Putin und seine Umgebung. Die Jukos-Affäre hat dem Image Russlands und Putins gewaltigen Schaden zugefügt, hat sich negativ ausgewirkt auf die Entwicklung Russlands und wird sich noch weiter negativ auswirken. Trotzdem hat man die Jukos-Spitze mit unnützer Grausamkeit und Rachsucht verfolgt. Der Beschuss der Schule in Beslan, der Gasangriff auf das Kino Nord-Ost haben die unmenschlichen, tierischen Züge des Regimes gezeigt – sie waren völlig unnütz und wurden dennoch befohlen. Putin ist ein Mensch der Rache und der Emotionen. Litwinenko war im Jahr 2006 schon nicht mehr aktuell. Doch man hat Rache genommen für die Pressekonferenz des Jahres 1998, für sein Buch ‚Wie der FSB Russland in die Luft sprengt‘. Das war eine demonstrative, auf Schau angelegte Bestrafung – lange und quälend, zur Abschreckung.“[42]
Eine weitere Meinung vertritt Julia Latynina, die prominente russische Wirtschaftsjournalistin der Nowaja Gaseta und Buchautorin: „Das Verbrechen trägt die Handschrift einer aggressiven Fraktion innerhalb der Staatssicherheit, deren Ziel es ist, Putins Integrationsbemühungen gen Westen Einhalt zu bieten.“[43]
Öffentliche Untersuchung am Londoner Strafgerichtshof
Am 27. Januar 2015 begann am Londoner Strafgerichtshof eine öffentliche Untersuchung zu dem Fall. Die Untersuchung wurde durch eine Klage der Witwe, Marina Litwinenko, der im Januar 2014 durch das Londoner Obergericht stattgegeben wurde, erzwungen.[44]
Verfahren gegen Lugowoi
Scotland Yard besaß laut dem Guardian bereits im Januar 2007 genügend Beweise, um ein Auslieferungsgesuch für den nach Russland zurückgereisten früheren KGB-Mann Lugowoi zu beantragen.[45] Ende Mai 2007 schließlich – kurz vor dem Ende der Regierungszeit Tony Blairs – ersuchte London offiziell um Auslieferung Lugowois an Großbritannien.
Unter Berufung auf die Verfassung der Russischen Föderation, die eine Auslieferung russischer Staatsbürger an andere Staaten untersage, wurde dieses Auslieferungsgesuch abgelehnt. Gleichzeitig verwies die russische Generalstaatsanwaltschaft aber auf die Möglichkeit, in Russland ein Strafverfahren gegen Lugowoi zu eröffnen, wenn sie die nötigen Dokumente erhalte.[46]
Nach dem Amtsantritt der Regierung Gordon Brown verschärfte sich der Konflikt zwischen London und Moskau im Juli 2007. Am 16. Juli wies Großbritannien vier russische Diplomaten aus.[47] Moskau reagierte empört und kündigte „ernsthafte Konsequenzen“ an.[48] Als erster Schritt wurden am 19. Juli vier britische Diplomaten des Landes verwiesen. Außerdem kündigte Russland an, keine neuen Einreise-Visa für britische Amtsträger zu erstellen.[49]
Erklärung der britischen Staatsanwaltschaft
Der Vertreter der königlichen Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service), Sir Ken Macdonald, erklärte zum Fall Litwinenko:
„Ich habe heute beschlossen, dass die Beweise, die uns von der Polizei übergeben wurden, genügen, um Andrei Lugowoi des Mordes an Herrn Litwinenko mittels absichtlichen Vergiftens zu beschuldigen. Ich habe ferner beschlossen, dass die Strafverfolgung klar im öffentlichen Interesse ist. In dieser Lage habe ich die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft angewiesen unverzüglich Schritte zu unternehmen, um die baldige Auslieferung von Andrei Lugowoi durch Russland an das Vereinigte Königreich zu erreichen, damit er des Mordes angeklagt und schnell vor ein Londoner Gericht gestellt werden kann, um wegen dieses außerordentlich schweren Verbrechens angeklagt zu werden.“[50]
Die Beweislage
Wie die britische Zeitung The Guardian am 23. Mai 2007 berichtete, stützt sich die Anschuldigung gegen Lugowoi vor allem auf die Polonium-Spur, die der mutmaßliche Täter nach der Vergiftung hinterlassen hat.
Der Täter habe sich bei der Vergiftung selbst kontaminiert. In der Folge habe er in Restaurants, Hotelzimmern, Taxis, an Lichtschaltern, Banknoten, Quittungen von Kreditkarten und Flugtickets winzige Spuren von Polonium hinterlassen. Auch Personen, mit denen er in Kontakt gekommen sei, hinterließen danach Polonium-Spuren, allerdings in wesentlich geringerem Umfang. Ebenso scheide das Opfer, vom Zeitpunkt seiner Vergiftung an, über die Schweißdrüsen geringe Mengen Polonium aus.
Alle Polonium-Spuren führten zu Andrei Lugowoi. Dieser habe bei einem Treffen im Millennium Hotel Litwinenko das Polonium in eine Teekanne gegossen, so das Blatt.
Das amerikanische FBI habe Polonium 210, das von Russland aus in die USA exportiert wurde, mit dem Polonium verglichen, mit dem Litwinenko ermordet wurde. Dies versetze die britischen Ermittler in die Lage, sowohl den Reaktor zu identifizieren, aus dem das Polonium stammt, als auch das genaue Datum der Polonium-Produktion zu bestimmen.[51]
Dokumentarfilm zum Fall Litwinenko
Der Filmautor Andrei Nekrassow hat unter dem Titel Rebellion: die Affäre Litwinenko einen Dokumentarfilm zum Fall Litwinenko erstellt. Nekrassow begleitete Litwinenko in den letzten beiden Jahren vor dessen Tod. Der Film wurde am 26. Mai 2007 auf den Filmfestspielen von Cannes im Hauptprogramm außer Konkurrenz gezeigt.[52]
Werke
Александр Литвиненко, Юрий Фельштинский, ФСБ ВЗРЫВАЕТ РОССИЮ. Liberty Publishing House, New York 2002. ISBN 0-914481-63-0. Im Internet: terror99.ru (PDF; 925 kB).
Übersetzungen:
Blowing up Russia: Terror from Within. S P I Books, August 2002. ISBN 1-56171-938-2
Blowing up Russia. The Secret Plot to Bring Back KGB Terror. Gardners Books, January 2007. ISBN 1-903933-95-1
Blowing up Russia. The Secret Plot to Bring Back KGB Terror. Encounter Books, April 2007. ISBN 1-59403-201-7
Eiszeit im Kreml. Das Komplott der russischen Geheimdienste. Hoffmann und Campe, September 2007. ISBN 9783455500394
Александр Литвиненко, Лубянская преступная группировка (Gang from Lubyanka). 2002. Im Internet: compromat.ru, lib.aldebaran.ru.
Ein Buch über den Aufstieg Putins und den FSB war in Vorbereitung.
Literatur
Alex Goldfarb, Marina Litvinenko: Death of a Dissident: Alexander Litvinenko and the Death of Russian Democracy. The Free Press, 2007. ISBN 1-4165-5165-4
Weblinks
Literatur von und über Alexander Walterowitsch Litwinenko im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Website Aleksandr Litvinenko (russisch)
FAZ: Hintergründe zum Fall Litwinenko
Litwinenkos Lebenslauf (englisch)
The Times: Hintergrundbericht zu Litwinenkos Leben in Großbritannien (englisch)
Kommersant: Russia's Poisonous Foreign Policy vom 22. November 2006 (englisch)
Litwinenko-Stiftung (englisch/russisch) - von der Witwe Alexander Litwinenkos gegründet
russland.RU die Internet-Zeitung (deutsch) - Nachrichten, Analysen, Kommentare und Hintergründe zum Fall Litvinenko
BBC: Nachrichten, Analysen, Kommentare und Hintergründe zum Fall Litwinenko
zeit.de 13. Dezember 2012: Geheime Dokumente belasten Russland im Mordfall Litwinenko
Einzelnachweise
↑ Geheimdienst-Oberst: Ich sollte Litwinenko ermorden Auf: Welt Online vom 15. Februar 2007
↑ Wolfgang Koydl, Daniel Brössler: Geigerzähler und giftige Grüße aus Moskau In: Süddeutsche Zeitung vom 28. November 2006
↑ Revealed: Poisoned ex-Russian spy Litvinenko WAS a paid-up MI6 agent Daily Mail, 27. Oktober 2007
↑ Ex-spy's book 'seized' in Russia, BBC-News vom 30. Dezember 2003
↑ Rezension von „Eiszeit im Kreml“ auf buchwurm.info
↑ Russischer Parteiführer erschossen Auf: faz.net vom 17. April 2003
↑ Der Fall Trepaschkin bei Amnesty International Stand: Juni 2006
↑ Russia’s poisoning ‚without a poison‘ (russisch), BBC-News vom 6. Februar 2007
↑ Terrorism takes front stage – Russia’s theatre siege. Auf: SBS-TV vom 4. Juni 2003
↑ Kremlin Poison. Auf: Financial Sense vom 20. November 2006
↑ Buchausgabe von Gerard Battens Reden vor dem EU-Parlament 2004 – 2009, Seite 45
↑ Battens Redeprotokoll auf der Homepage des EU Parlaments
↑ Der Kreml-Tschikatilo. Auf: chechenpress.info vom 5. Juli 2006
↑ Ex-Spion recherchierte zu Skandal um Ölkonzern Yukos In: Die Welt vom 27. November 2006
↑ From Russia with lies, salon.com, 14. Dezember 2006
↑ Eine Spur des Todes durch London In: Die Presse vom 29. November 2006
↑ 09MADRID869 Auf: WikiLeaks: Depesche der US-amerikanischer Botschaft in Madrid vom 31. August 2009, online vom 7. Dezember 2010
↑ a b Ärzte finden radioaktive Substanz im Körper des toten Ex-Spions Auf: Spiegel Online vom 24. November 2006
↑ «Die Bastarde haben mich gekriegt» Auf: Spiegel Online vom 24. November 2006
↑ Litwinenko konvertierte auf Totenbett zum Islam Auf: Spiegel Online vom 4. Dezember 2006
↑ Was ex-spy trying to sell dirty bomb? Auf: Daily Express online vom 3. Dezember 2006
↑ Scotland Yard spricht von Mord am Ex-Spion Auf: netzeitung.de vom 6. Dezember 2006
↑ Scotland Yard spricht jetzt offiziell von Mord Auf: Spiegel Online vom 6. Dezember 2006
↑ Scotland Yard ermittelt offiziell wegen Mordes Auf: diepresse.com vom 7. Dezember 2006
↑ Russland eröffnet eigenes Ermittlungsverfahren Auf: Spiegel Online vom 7. Dezember 2006
↑ Tödlicher Drink im Fünf-Sterne-Hotel Auf: Spiegel Online vom 8. Dezember 2006
↑ Busticket weist auf Vergiftung in Hotelbar hin Auf: Spiegel Online vom 11. Dezember 2006
↑ Police match image of Litvinenko's real assassin with his death-bed description In: The Times vom 20. Januar 2007
↑ Fall Litwinenko - Mörder identifiziert Auf: n-tv.de am 20. Januar 2007
↑ Chronologie des Falls Litwinenko auf dw-world.de, 24. November 2006
↑ Scotland Yard unterstützt deutsche Ermittler im Fall Litwinenko Auf: dw-world.de vom 10. Dezember 2006
↑ Litwinenkos Abschiedsbrief
↑ a b Poisoned former KGB man dies in hospital In: The Guardian vom 24. November 2006
↑ Giftige Grüße aus Moskau Auf: Die Zeit online vom 28. November 2006
↑ Schwere Vorwürfe an Präsident Putin, NZZ, 28. Januar 2015
↑ Der Agent und Putin Auf: FAZ.net vom 25. November 2006
↑ Is Putin being set up? (Wird Putin kompromittiert?) Patrick Buchanan Auf: townhall.com vom 27. November 2006
↑ War Litwinenko Opfer oder Täter? Die Presse online vom 21. März 2008
↑ Необъяснимая смерть (Ein seltsamer Tod) Auf: vesti.ru vom 24. November 2006
↑ Moskau gibt Jukos-Manager die Schuld Auf: Spiegel Online vom 27. Dezember 2006
↑ Ex-Yukos-Miteigner Newslin als Mittäter bei Litwinenko-Mord verdächtigt Auf: RIA Novosti vom 28. Dezember 2006
↑ Демонстративная казнь (Eine demonstrative Bestrafung) Auf: grani.ru (russische Internetzeitung) vom 28. November 2006
↑ Ist alles nur eine Verschwörung von Putins Gegnern? Julia Latynina in FAZ.net vom 2. Dezember 2006
↑ Untersuchung zum Fall Litwinenko nach Jahren
↑ London fordert Auslieferung Lugowois Auf: Spiegel Online vom 26. Januar 2007
↑ Anklage gegen Andrej Lugowoj Auf: FAZ Online vom 22. Mai 2007
↑ Großbritannien verweist russische Diplomaten des Landes, Spiegel Online, 16. Juli 2007.
↑ London weist russische Diplomaten aus - Moskau ist empört, FAZ Online, 17. Juli 2007.
↑ Moskau schlägt zurück, Handelsblatt.com, 19. Juli 2007.
↑ Wortlaut der Erklärung Auf:BBC-online vom 22. Mai 2007
↑ Ian Cobain: The polonium-210 trail that police say led to Moscow In The Guardian online vom 23. Mai 2007
↑ Dokumentarfilm zu Giftmord an Kreml-Kritiker Litwinenko in Cannes Auf: Tagesanzeiger online vom 24. Mai 2007
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