Aus »Der Blaue Kristall«
Irgendwie schien der Tag alle Farbe verloren zu haben. Die Blumen waren langweilig und die Vögel sangen auch immer nur dieselben doofen Lieder. Bis morgen Abend... Und das ohne den blauen Kristall, ohne die Träume von gläsernen Minaretten und himmelsfarbenen Straßen und Plätzen. Ohne die sterngleich strahlenden Gestalten, die schwebende Treppen hinauf oder hinunterglitten, umflossen von ihren silbernen Gewändern. Ohne das blaue Glitzern und Funkeln des facettierten Himmels.
[...]
Ganz langsam sank er vom Himmel, schwebte über der Stadt, überblickte sie mit all ihrer Herrlichkeit. Ihm stockte der Atem. Etwas Schöneres und Staunenerregenderes hatte er noch nie gesehen. Nach einiger Zeit kam er auf dem Boden an, mitten auf einer breiten Straße ziemlich am Stadtrand. Einige Gestalten bewegten sich auf der Straße, in silberne Tücher gehüllt, die jedoch nicht an ihnen herabhingen, sondern sie umschwebten, wie von von einem starken, aber langsamen Wind bewegt. Die Wesen selbst waren nur entfernt menschenähnlich, sie leuchteten wie Magnesiumfeuer, sodaß man weder Gesichter noch einzelne Finger oder andere kleine Gliedmaßen erkennen konnte.
Cyrill ging los und begann, die Stadt zu erkunden.
[...]
Irgendetwas veränderte sich plötzlich. Cyrill spürte es, wie die seltsame Beklemmung in der Luft kurz vor einem Gewitter. Er sah nach oben und erstarrte.
Der Himmel zersplitterte, brach, und das immer feiner werdende Netz von Rissen hinterließ anstelle der Facetten nur eine gleichmaßige Färbung.
Ein Mensch fiel vom Himmel herab. Schneller als Cyrill selbst vor – er wußte nicht, wie lange es her war, da er diese seltsame Welt betreten hatte. Offenbar steuerte der Mensch seinen Flug, wollte nur schneller nach unten kommen. Er stürzte nicht ab.
Cyrill schätze, wo der Mensch aufkommen würde und rannte los.
Während er lief, sah er die Lichtgestalten auf die Straßen strömen, gestikulieren und nach oben zeigen. Wohl jedes Augenpaar war zum Himmel gerichtet, wenn sie denn Augen hatten. Wie Wind und Meeresrauschen erhob sich ein Stimmengewirr in der einst so stillen Stadt. Rufe, die nur Empörung ausdrücken konnten, wurden laut, auch Angstschreie und immer wieder
»Ki tu?«
»Ki tu?«
»Ki tu?«
– »Was ist das?«
Ihn bemerkten sie nicht; sie hatten ihn die ganze Zeit nicht bemerkt.
Cyrill bog um eine Straßenecke, sprang über einige Stufen und Mäuerchen und lief auf eine große Ansammlung von Lichtgestalten zu.
[...]
Sie kauerte voller Angst am Fuße einer weißen Mauer und die erzürnten Lichtgestalten drangen auf sie ein. Sie kamen näher und näher, ragten bedrohlich in den verblaßten Himmel. Immer näher rückten sie und immer, immer näher. Immer näher, bis das Mädchen erkennen konnte, daß sie keineswegs nur leuchteten, sondern unter dem Strahlenglast Struktur besaßen. Schon streckte der erste die Hand nach ihr aus, eine Hand, geformt wie ein Wurzelgeflecht, schauderhaft! Wie versteinert schaute sie in das strahlende Gesicht, das so schön war, wie die Hand scheußlich; in dem Augen saßen, die so blau waren wie Kobalt... Die Hand packte sie hart an der Schulter –
|